Abenteurer Samuel Häde «Es gibt schon eine extreme Spaltung in der Gesellschaft»

Christina Rauscher/Teleschau

17.8.2024

«Man weiss nie, auf wen man auf so einer Reise als Nächstes trifft»: Filmemacher Samuel Häde auf seinem Trip durch die USA.
«Man weiss nie, auf wen man auf so einer Reise als Nächstes trifft»: Filmemacher Samuel Häde auf seinem Trip durch die USA.
NDR

Filmemacher Samuel Häde hat auf seiner Backpacker-Reise quer durch Amerika Erfahrungen gemacht, die auch ihn überraschten und noch lange beschäftigen werden. Im Interview verrät der Abenteurer, was er unterwegs alles erlebt hat – auch unter Trump-Anhängern.

Christina Rauscher/Teleschau

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  • Filmemacher Samuel Häde erkundet in seiner neuen Doku das Leben und die Kultur der jungen Generation in den USA auf einer Reise von New York bis San Francisco.
  • Er begleitet dabei illegale Sprayer, reist mit Christen im Beichtbus und filmt beim Burning-Man-Festival, um Einblicke in verschiedene Lebenswelten zu bieten.
  • Die Doku «Young Adventurers Amerika – mit dem Rucksack von Ost nach West» wird am 29. August im NDR-Fernsehen ausgestrahlt und ist ab dem 22. August in der ARD-Mediathek verfügbar.

Samuel Häde hat mehr als nur Sehnsuchtsorte im Visier. Als einer der «Young Adventurers» der ARD hat es sich der 30-Jährige zur Aufgabe gemacht, das Leben und die Kultur ferner Länder auf aussergewöhnliche Weise zu erkunden.

Auf seinen bisherigen Abenteuern ist der Filmemacher mit einem Esel zu den Nomaden Afghanistans gereist, hat Japan per Anhalter kennengelernt und ist 400 Kilometer durch die Sahara gelaufen. In seiner neuen Doku durchquert der Journalist das Backpacker-Ziel Amerika von New York bis San Francisco und zeigt auf, wie die junge Generation lebt und was sie bewegt.

Häde begleitet illegale Sprayer durchs nächtliche New York, reist mit einer Gruppe gläubiger Christen im Beichtbus durch Virginia, besucht ein Rodeo in Arthur County, Nebraska, und filmt auf dem Burning-Man-Festival in der Wüste Nevadas. Für «Young Adventurers Amerika – mit dem Rucksack von Ost nach West», einer Gemeinschaftsproduktion von NDR und WDR, hat Samuel Häde rund 8500 Kilometer zurückgelegt, ist durch 15 US-Staaten getourt und hat Dinge erlebt, die in keinem Reiseführer zu lesen sind. Das NDR-Fernsehen zeigt die intensive Doku am Donnerstag, 29. August, um 20.15 Uhr. In der ARD-Mediathek ist der Film bereits ab Donnerstag, 22. August, zu sehen.

Samuel Häde, in Ihrem Film kratzen Sie nicht an der Oberfläche, Sie gehen tiefer und bieten viele unerwartete und sehr persönliche Einblicke. Wie kommen solche intensiven Begegnungen zustande?

Samuel Häde: Zugang zu bestimmten Szenen zu bekommen, kann ziemlich herausfordernd sein, insbesondere, wenn es sich um geschlossene Gruppen handelt, wie zum Beispiel die Sprayer aus New York. Oft sind diese Personen sehr verschwiegen und reserviert, doch in diesem Fall hatte ich Glück, und ein Bekannter in Berlin hat mich mit Graffiti-Künstlern aus Brooklyn vernetzt. Man weiss aber nie, auf wen man auf so einer Reise als Nächstes trifft. Um spontan authentische Momente festhalten zu können, habe ich die Kamera immer griffbereit, auch wenn ich per Anhalter reise. Ich liebe es, zu trampen. So komme ich unweigerlich mit interessanten Menschen ins Gespräch, die jeweils einen unterschiedlichen Background haben, und lerne immer neue Perspektiven kennen.

So lernten Sie zum Beispiel die Gedankenwelt junger Priester kennen, die einen Krankenwagen zum mobilen Beichtstudio umgebaut haben und damit durch Virginia touren ...

Ja, die Community of Jesus Crucified hat sich als ein wahrer Glücksgriff herausgestellt. Virginia liegt im Herzen des Bible-Belts, einer Region, in der viele gläubige Christen leben. Die Mitglieder der Gemeinschaft haben für mich ganz gut die Werte repräsentiert, die dort vorherrschen. Vor allem hat mich gewundert, dass sich so junge Leute für den Lebensweg eines Priesters entscheiden, mit allen Herausforderungen, die das so mit sich bringt. Das steht in krassem Kontrast zu den typischen Vorstellungen, die man oft von der jungen Generation Amerikas hat. Es war schon faszinierend zu sehen, wie stark der Glaube und die Hingabe in diesen jungen Menschen verankert sind und wie gross die Bereitschaft ist, für ihre Überzeugung persönliche Opfer zu bringen.

Mit welchen Erwartungen sind Sie gestartet?

Häde: Vor meiner Reise hatte ich die USA noch nicht kennengelernt und mein Bild des Landes war, ehrlich gesagt, kein besonders gutes, weil es mehr von der Berichterstattung in den Medien geprägt war als von eigenen Erfahrungen. Doch ich hatte beschlossen, diese vorgefassten Meinungen abzulegen und unvoreingenommen auf das Land zu blicken. Mein Ziel war es, herauszufinden, wie die junge Generation der Amerikaner wirklich tickt.

Und was fanden Sie heraus?

Das Ergebnis lässt sich nicht in eine Kategorie einordnen. Amerika ist ein riesiger Melting-Pot und auch irgendwie ein verrücktes Experiment, das in konstantem Wandel ist. Es gibt atemberaubende Landschaften und aussergewöhnlich freundliche, kreative, talentierte und sehr hilfsbereite Menschen. Allerdings kann ich nicht ausschliessen, dass mein Fazit anders ausgefallen wäre, wenn ich eine andere Hautfarbe oder eine andere Geschlechteridentität gehabt hätte.

Was hat Sie auf Ihrer Reise am meisten überrascht?

Häde: Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit Trump-Wählern eine gemeinsame Ebene finden kann. Die Republikaner, die ich getroffen habe, waren wirklich extrem freundliche Menschen und sehr umgänglich. Ich war nach den Gesprächen nicht immer ihrer Meinung, aber dass man sie auch verstehen kann, hat mich positiv überrascht.

Haben Sie ein Beispiel?

In Nebraska haben die Republikaner das Sagen, und ich bin mit gemischten Gefühlen dorthin gereist. Aber die Leute waren sehr offen, reflektiert und gar nicht so radikal in ihrer Meinung, wie ich es erwartet hatte. Ein gutes Beispiel ist der Rancher Ryan, der offen zugegeben hat: «Stimmen wir für Donald Trump? Ja. Aber finden wir alles gut, was er macht? Nein.» Allerdings haben die Demokraten anklingen lassen, dass man aus Umweltschutzgründen verstärkt auf Fleischalternativen schauen soll. Wenn das die Lebensgrundlage ist, mit der ein Rancher seine Familie ernährt, kann er das nicht mit sich vereinbaren. In einem solchen Kontext ist es nachvollziehbar, dass die Menschen Prioritäten setzen und das kleinere Übel wählen, selbst wenn sie nicht mit allem einverstanden sind, was ihr Kandidat vertritt.

Wie denkt die junge Generation auf dem Land?

Hier ist mir das Gespräch mit Tiana in Nebraska besonders in Erinnerung geblieben. Die 18-Jährige hat mir erzählt, dass sie nur einen einzigen Tag im Jahr freinimmt, um schwimmen zu gehen, und sonst jeden Tag im Jahr auf dem Feld arbeitet. Auf dem Land erntet harte Arbeit immer noch viel Respekt. Diese Mentalität, sich richtig ins Zeug zu legen, wurde den Menschen im Mittleren Westen seit Generationen eingeimpft. Man könnte ja meinen, dass gerade jüngere Menschen damit brechen und sagen, hey, ich möchte so ein bisschen mein Leben leben und nicht nur arbeiten. Bei Tiana hatte ich jedoch den Eindruck, dass sie tief in den Werten ihrer Familie verwurzelt ist und sie auch weiterträgt. Es war fast so, als würde ihr Grossvater aus ihr sprechen, er hätte vermutlich dieselben Aussagen verwendet.

Welchen Unterschied haben Sie im Vergleich zur Stadt festgestellt?

Es gibt schon eine extreme Spaltung in der Gesellschaft. Am Gespräch mit Tiana ist gut abzulesen, dass die Menschen in Nebraska fest im Sattel sitzen, mit ihrem Patriotismus, mit ihren Vorstellungen, dass harte Arbeit wichtig ist im Leben, und auch mit ihren christlichen Glaubensvorstellungen. Das ist selbst in der jungen Generation fest verankert und nicht einfach wegzudenken. LGBTQ ist beispielsweise für viele in Nebraska ein No-Go-Thema. Da heisst es, die Leute können hinter verschlossenen Türen machen, was sie wollen, aber man möchte damit nicht konfrontiert werden. Im Vergleich zu den Menschen in der Stadt sind sie auf dem Land also deutlich konservativer und weniger offen, was Lebensentwürfe betrifft, die nicht der christlichen Norm entsprechen.

Der Mann, der das Attentat auf Donald Trump verübt hat, soll erst 20 Jahre alt gewesen sein. Wie passt das ins Bild der jungen Generation Amerikas?

Natürlich merkt man hier und da, wie gespalten das Land ist, aber solche radikalen Meinungen sind mir auf meiner Reise nicht untergekommen. Von den Graffiti-Künstlern hätte man vielleicht am ehesten erwartet, dass sie ihr Talent und die Leinwände New Yorks nutzen, um eine politische Message zu verbreiten. Doch ihnen ist der Wahlkampf ziemlich egal gewesen. Viele, mit denen ich mich unterhielt, wollten eigentlich gar nicht über Politik reden oder waren das Thema leid. Es ist eher so, dass man auf viele Verschwörungstheoretiker trifft. Auf dem Burning-Man-Festival in der Wüste Nevadas trifft man auf Besucher mit den ungewöhnlichsten Vorstellungen und Überzeugungen.

Die da wären?

Da gibt es sehr viele Menschen, die an Ausserirdische oder an Reptiloiden glauben, darunter versteht man Hybridwesen, halb Alien und halb Mensch, die auf der Erde leben sollen. Mir sind tatsächlich Leute begegnet, die mehr oder weniger offen darüber gesprochen haben, dass sie Erfahrungen mit E.T.s gemacht hätten und manche auch schon von Ausserirdischen entführt worden sein sollen. Man hört also wirkliche Absurditäten, aber mir ist nichts untergekommen, was in eine radikale Richtung geht oder mit dem Attentat auf Donald Trump in Verbindung gebracht werden könnte.

Beim Burning Man haben 70'000 Menschen in Black Rock City, Nevada, gefeiert. Michael, der das Festival besucht hat, beschreibt es in Ihrer Doku als lebensveränderndes und bewusstseinserweiterndes Erlebnis. War es das für Sie auch?

Für mich persönlich war es keine transformative Erfahrung. Aber ich kann auf jeden Fall nachvollziehen, warum das für viele Menschen so ist. In unserem Alltag sind wir ständig mit Aufgaben und Pflichten konfrontiert und müssen funktionieren, um den Anforderungen unserer Gesellschaft gerecht zu werden. Beim Burning Man entsteht ein Raum, in dem Menschen nicht in vorgegebene Muster passen müssen. Sie können authentisch, sie selbst sein, ihre gewohnten Rollen hinter sich lassen und sich neu entdecken. Ich halte es für wertvoll, dass es solche Orte gibt, die Menschen die Möglichkeit bieten, aus ihrem Alltag auszubrechen und neue Perspektiven zu gewinnen.

Das Festivalticket hat umgerechnet 530 Euro (505 Franken) gekostet ...

Ja, es sind vor allem Wohlhabende, die sich das leisten können. Ich finde es auch ein bisschen scheinheilig, dass auf der einen Seite die Maxime «Leave no trace», also hinterlasse keine Spuren, propagiert wird, während andererseits pro Burning Man 100.000 Tonnen Treibhausgase freigesetzt werden. Zwar wird grosse Mühe darauf verwendet, keinen Müll zu hinterlassen, doch die Praxis zeigt oft eine andere Realität. Weil die Teilnehmenden wegen starker Regenfälle vier Tage dort festsassen und der Sturm einiges weggeweht hat, ist auch vieles in der Wüste geblieben. Die Umweltbilanz ist also ernüchternd und das Mega-Event dadurch auch kritisch zu sehen.

Während des Trips stecken Sie des Öfteren in Schwierigkeiten, unter anderem geht Ihnen auf dem Appalachian Trail mitten in der Wildnis das Wasser aus, und in Nebraska werden Sie von einem Gewitter überrascht. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?

Ich neige zum Optimismus und bin überzeugt, dass sich die Dinge letztendlich fügen werden. Es ist jedoch wichtig, rational zu bleiben. Der Sturm beim Burning Man hat das Erlebnis zweifellos intensiviert. Wenn die Bedingungen herausfordernd werden und die heitere Fassade ins Wanken gerät, werden auch die Prinzipien auf den Prüfstand gestellt: Gehen sich jetzt alle an die Gurgel oder ist man immer noch so eine glückliche Community? Letztendlich habe ich eine beeindruckende Solidarität erlebt. Die Teilnehmer haben ihre Vorräte geteilt und sich gegenseitig unterstützt.

In den Canyonlands in Utah sind Sie einer weiteren feierfreudigen Gruppe begegnet. Welches Verhältnis hat die junge Generation zur Natur?

Die Leute sind sehr respektvoll und nehmen auch wirklich alles wieder mit. Sie haben zwar mit Volleyballnetz und Musikanlage gross aufgefahren und den Komfort des modernen Lebens mitgenommen, weil man nicht auf die Annehmlichkeiten verzichten möchte, die man so aus dem Alltag kennt. Aber ich denke, dass die Menschen, die so einen Trip machen, das in einem starken Bewusstsein für die Natur tun und ihr auch nicht schaden würden.

Auf dem Green River gab es sogar Dosenbier ...

Man hat alles Mögliche an Getränken dabei, nimmt das dann aber auch wieder mit. Genauso wie die eigenen Exkremente. Da wird nicht irgendwo hinter den Busch gemacht, sondern in die tragbare Toilette, die man mitbekommen hat und die man hinterher auch wieder mitnimmt. So penibel wird darauf geachtet, dass man wirklich nichts da lässt, was da nicht hingehört.

Wie haben Sie die Zeit dort erlebt?

Die Natur dort ist atemberaubend und unglaublich lebendig. In unserem hektischen Alltag verbringen wir die meiste Zeit vor dem Bildschirm und nehmen die Schönheit der Welt kaum wahr. Die gigantische Landschaft der Canyonlands lässt einen erkennen, dass man Teil von etwas Grösserem ist. Erst in solchen Momenten wird mir bewusst, dass wir auf einem kleinen, blauen Planeten leben, der sich um die Sonne dreht. Diese Erkenntnis kann ich nicht am Bildschirm gewinnen. Sie entsteht erst, wenn man hinausgeht und die Welt unmittelbar erlebt. Für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar.

Welche Abenteuer planen Sie jetzt?

Im Dezember erscheint meine nächste Doku. Dafür war ich im Nordosten Indiens, an der Grenze zu Bhutan, Bangladesch und Myanmar. Erst bin ich von Neu-Delhi aus mit dem Zug nach Assam gefahren und dann gemeinsam mit Einheimischen den Brahmaputra, den drittgrössten Fluss Indiens, auf einem selbst gebauten Bambus-Floss hinab getrieben. Ohne Nahrung und Wasser mitzunehmen, waren wir darauf eine Woche unterwegs und haben uns unter anderem von Grashüpfern und rohem Fisch ernährt. Ausserdem bin ich vor einigen Monaten nach Tiflis gezogen, um den Kaukasus besser kennenzulernen. Von dieser Basis aus möchte ich weiter als Dokumentarfilmer tätig sein, auch um denjenigen eine Stimme zu geben, die oft ungehört bleiben. Letztendlich ist, Dokus zu drehen, für mich mehr als ein Beruf. Es ist meine Inspiration, mein Antrieb und meine grösste Leidenschaft.


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