Garten der Gärten Kew Gardens – royale Pflanzenoase im Londoner Grossstadtdschungel

Christoph Driessen, dpa

22.8.2020

London ist toll, aber anstrengend. Wer zwischendurch etwas Erholung sucht, wird Kew Gardens lieben: Ein Idyll, das nicht nur ausgewachsene Botaniker verzaubert.

Etwa 15 Meter hoch ist die Palme im berühmten Palm House der Londoner Kew Gardens, und deshalb wird in den nächsten Jahren irgendwann der Moment kommen, in dem Will Spoelstra sie fällen muss. «Sonst könnte sie irgendwann durchs Glasdach brechen», sagt der Pflanzenfachmann. «Ist natürlich furchtbar, so eine ikonische Palme umzulegen. Das bricht einem das Herz.»

Egal ob Farn-Fetischist, Edelweiss-Ästhet oder Rosen-Jünger: Für Pflanzenfreunde jeder Art gibt es nichts Grösseres als die Royal Botanic Gardens in London. Das königliche Kew. Der Garten der Gärten. Eine riesige Parkanlage mit gewaltigen Gewächshäusern aus der Zeit von Queen Victoria (1819 bis 1901).

Zu der Zeit, als das britische Empire ein Viertel der Welt umfasste, nahmen sich die Botaniker von Kew vor, ein Imperium der Pflanzen zu schaffen. Sämtliche Arten sollten in ihren geheizten und berieselten Kunstwelten unter Londons meist bewölktem Himmel vertreten sein.

Das Empire ist nun schon lange Geschichte, aber der Anspruch von Kews Botanikern ist geblieben. Allein die Orchideen-Kollektion – die älteste der Welt – zählt mehr als 5'000 Arten.

Reise in eine andere Welt

«Es ist heute nicht mehr möglich, alle Spezies der Welt zu zeigen, aber wir haben noch immer den Ehrgeiz, einen relevanten Teil auszustellen», sagt Will Spoelstra. Darüber hinaus sei die Millennium Seed Bank ein wichtiger Bestandteil von Kew. «Dort speichern wir Samen» – von möglichst allen Pflanzenarten der Erde.

London ist toll, aber anstrengend. Wer zwischendurch etwas Erholung sucht, wird Kew Gardens lieben: Ein Idyll, das nicht nur ausgewachsene Botaniker verzaubert.
London ist toll, aber anstrengend. Wer zwischendurch etwas Erholung sucht, wird Kew Gardens lieben: Ein Idyll, das nicht nur ausgewachsene Botaniker verzaubert.
Bild: Getty Images

Ein Besuch in den Gewächshäusern ist ein Erlebnis mit allen Sinnen. Man öffnet die Tür und befindet sich in einer anderen Klimazone. Feuchtwarme Hitze und Blütenduft umfangen den Besucher.

Ein feiner Regenschleier geht aus dem Blätterhimmel nieder. Wunderbar nostalgisch muten die geschwungenen viktorianischen Wendeltreppen an. Sie führen hinauf zu den Galerien unter dem Glasdach, von denen aus Besucher auch die höchsten Palmenspitzen begutachten können.

Die älteste Topfpflanze der Welt

Das Palm House ist Will Spoelstras Reich. Es gilt als ältestes noch existierendes Gewächshaus der Welt. Die Konstruktion aus Stahl und Glas wurde in den 1840er-Jahren errichtet. Es war das erste Gewächshaus dieser Grösse: 110 Meter lang, 30 Meter breit und 19 Meter hoch. Der 32 Jahre alte Spoelstra ist hier Supervisor.

Der langlebigste Bewohner ist noch älter als das Gebäude: Es handelt sich um eine Encephalartos altensteinii, die 1773 von Kews erstem Pflanzenjäger Francis Masson (1741 bis 1805) in Südafrika eingetopft wurde und 1775 in Kew Gardens ankam. Seitdem hat sie das Gelände nicht mehr verlassen und gilt heute als älteste Topfpflanze der Welt.

Spannende Arbeit im künstlichen Regenwald

«Ich liebe es, hier sozusagen im tropischen Regenwald zu arbeiten und bin unglaublich an Palmen interessiert», sagt Spoelstra. «Ich finde, sie sind sehr besonders, sehr majestätisch und fast wie von einem Bildhauer gestaltet.» Viele Besucher bitten den Mann mit dem grünen Daumen um Tipps für ihre eigenen Pflanzen.

Mitunter beschäftigen den Botaniker auch weniger nette Besucher: «Die Leute versuchen schon ab und zu, was mitgehen zu lassen, zum Beispiel im Wasserlilien-Haus. Darauf müssen wir ein Auge haben.»

Stutzen unter Schmerzen

In den kommenden Jahren steht eine Renovierung des Palm House an, so wie dies mit dem Temperate House, dem grössten noch erhaltenen Gewächshaus des 19. Jahrhunderts, schon geschehen ist. Das Haus ist wunderbar hergerichtet worden, aber die dort ausgestellten Pflanzen sind jetzt durchweg kleiner als vor einigen Jahren, sie müssen erst wieder wachsen. Der alte Bestand wurde grossenteils aussortiert.

So wird es auch den Palmen von Will Spoelstra ergehen: Die grössten werden nicht gerettet werden können. «Das wird hart.»

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