Neue Horror-Kost Stephen King und der Junge, der die Toten sieht

Von Nico Pointner, dpa

27.3.2021 - 09:57

Unermüdlicher Schreiber: Stephen King. 
Unermüdlicher Schreiber: Stephen King. 
Bild: Keystone/EPA/Maja Hitji

Horror-Meister Stephen King lädt zur nächsten Geisterstunde: Sein neuester Roman handelt von einem Buben mit einem ganz besonderen Draht zu den Toten. 

27.3.2021 - 09:57

Jamie Conklin ist ein ganz normaler Junge. Er ist neun Jahre alt und lebt mit seiner Mutter in New York. Seinen Vater hat Jamie nie kennengelernt, aber da ist ja Tia, seine Mutter: Mit ihrem Job als Literaturagentin hält sie sich und ihren Sohn über Wasser.

Die beiden haben ein Geheimnis, auch wenn sie nicht gross darüber reden: Irgendwas stimmt nicht mit Jamie. Der Junge sieht nämlich tote Menschen.

Haben Sie ein Déjé-vu? Natürlich muss man bei «Später», dem neuen Roman von Stephen King, unweigerlich an den preisgekrönten Film «The Sixth Sense» von 1999 denken, an den kleinen Jungen Cole, der mit Verstorbenen reden kann, und Bruce Willis in der Rolle des Psychiaters, der der Sache auf den Grund geht.

Jamie Conklin hat diesen sechsten Sinn ebenfalls. In «Später» muss er aber ohne Bruce Willis an seiner Seite mit den Seelen fertig werden. Aber das ist für ihn alles gar nicht so schlimm wie es sich anhört. Jamie sieht die Geister kürzlich verstorbener Menschen.

Die Toten machen nicht viel

Auch wenn sie nicht immer einen appetitlichen Anblick bieten – etwa nach einem blutigen Verkehrsunfall – stehen die Toten in erster Linie nur in der Gegend herum. Und meist dort, wo sie aus dem Leben geschieden sind. Sie machen nicht viel.

Wenn sie Jamie erkennen, dann winken sie höchstens mal. Sie flanieren auch nicht sehr lange als Geister durch die Stadt, werden immer blasser, ihre Stimmen immer schwächer, und nach wenigen Tagen sind sie komplett verschwunden.



Während Normalsterbliche nur einen Hauch von Kälte spüren, wenn sie in die Nähe der Toten kommen, kann Jamie sie sehen und mit ihnen sprechen. Wobei von angeregten Unterhaltungen nicht die Rede sein kann, die Toten reagieren einsilbig und emotionslos.

Was aber entscheidend ist: Tote sagen immer die Wahrheit, sie müssen das tun.

Eine ganz schön nützliche Gabe

Dieser Zwang zur Wahrheit kann hilfreich sein, wenn etwa der alte Nachbar den Schmuck seiner kürzlich verstorbenen Frau sucht. Jamie fragt sie einfach, denn sie steht da ja gerade noch auf dem Gang neben ihm, aber das sieht nur der Junge.

Oder wenn der Lieblingsautor seiner Mutter plötzlich stirbt, ohne das letzte Buch seiner Bestseller-Saga zu vollenden, von dem sich die Agentin viel Geld erhofft hatte. Man fragt den toten Schriftsteller einfach, wie die Geschichte endet, und schreibt das Buch fertig.

Die Gabe kann also von Vorteil sein, was die Erwachsenen in Jamies Umgebung auch ausnutzen. Aber man sollte nicht zu viel Kontakt zu den Toten suchen. «Tote zu sehen bedeutet noch lange nicht, Tote zu kennen», das weiss Jamie selbst.



Auch böse Menschen sterben, etwa Terroristen oder Drogendealer. Und die sollte man nach ihrem Ableben nicht zu sehr ärgern. Denn dann legt man sich mit einem Gegner an, der nicht von dieser Welt ist und einen bis zum Ende seiner Tage heimsucht. Jamies Gabe wird ihm so zum Verhängnis.

Bibliographische Angaben
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Keystone

Stephen King: «Später.» Heyne-Verlag, 304 Seiten, ca. 31.90 Franken. ISBN 978-3-453-27335-1

King-Fans kommen auf ihre Kosten

Stephen King, mittlerweile 73 Jahre alt, schreibt und schreibt und schreibt. Der König des Horrors produziert die Gruselgeschichten am Fliessband, man könnte meinen, er sei selbst von Schreibdämonen besessen. Dabei überrascht King immer wieder mit spannenden Geschichten, wenn auch die Idee vom Jungen, der tote Menschen sieht, nicht ganz so neu ist.

«Später» ist ein Buch irgendwo zwischen Kriminalroman, Spukgeschichte und Biografie über die Kindheit eines Jungen, der mehr sieht als die anderen. Man fiebert mit Jamie Conklin mit, Seite für Seite. Wer den Stil des Kult-Schriftstellers mag, wird es, einmal angefangen, kaum noch zur Seite legen können.

Von Nico Pointner, dpa