«Dieser Krieg bringt nichts» Russinnen wollen ihre Ehemänner von der Front holen

klm

15.1.2024

Ein Soldat verabschiedet sich im Oktober 2022 von seiner Freundin in einer U-Bahn-Station in Moskau.
Ein Soldat verabschiedet sich im Oktober 2022 von seiner Freundin in einer U-Bahn-Station in Moskau.
Imago/Pond5 Images

Was sie machen, ist gefährlich: Einzelne Russinnen sprechen sich auf Telegram und in deutschen Medien gegen Wladimir Putin und dessen Angriffskrieg aus. 

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Auf Telegram gibt es einen Kanal für die Frauen von russischen Soldaten. 
  • Darin organisieren sich die Frauen und fordern die Rückkehr ihrer Männer.
  • Mehrere Frauen erzählen, wie sie mit der schwierigen Situation umgehen – und wie schwer es sei, sich zu wehren.
  • Das grösste Problem: Auf Proteste und Kritik folgen in Wladimir Putins Russland oft Gefängnisstrafen – oder Schlimmeres.

Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. In seinen Reden und durch seine Propagandist*innen schwört der russische Präsident Wladimir Putin dabei auf die bedingungslose Unterstützung der Russ*innen. 

Wie ein Kanal auf dem russischen Nachrichtendienst Telegram zeigt, regt sich aber etwa unter der weiblichen Bevölkerung Widerstand. Über 40'000 Mitglieder zählt der geschlossene Kanal «Der Weg nach Hause». Darin tauschen Ehefrauen und Freundinnen von Soldaten an der Front ihre Erlebnisse aus und planen, wie sie die Männer wieder nach Hause holen könnten. 

Dass das gefährlich sein kann, weiss etwa die 32-jährige Anna. Sie ist eine von mehreren Frauen, mit denen «Bild» über ihre Erlebnisse gesprochen hat. «Dieser Krieg bringt meinem Volk nichts», wird Anna zitiert. «Die Ukrainer sind unsere Brudernation, und wenn sie uns nicht wollen, würden wir sie deshalb nicht angreifen – aber jetzt darüber zu reden, kommt einer Inhaftierung gleich.» 

Schweigen, um die Kinder zu schützen

Jeden Tag werde die Situation schlimmer. Sie müsse aber genau abwägen, wie sie sich dazu äussert: «Ich will meine Kinder nicht in Gefahr bringen.» Zum Kriegsbeginn seien innerhalb eines Monates ihr Mann, ihr Bruder und all ihre männlichen Freunde einberufen worden. Zunächst habe sie den Krieg unterstützt. Doch dann seien die Monate immer länger geworden.

«Nachts bekam ich Panikattacken», erzählt Anna von ihrem Alltag. «Ich dachte, ich würde ersticken, ich bekam keine Luft. Sechs Monate vergingen und es stellte sich heraus, dass er nie nach Hause zurückkehren würde. Sie machten ihn zum Sklaven und ich beschloss, dass ich das nicht akzeptieren möchte.» Deshalb habe sie sich mit anderen Frauen abgesprochen und «eine Gruppe gebildet». 

Die 28-jährige Irina sei von Anfang an gegen den Konflikt gewesen. Sie habe sich deswegen schon früh eingesetzt und russische Politiker kontaktiert.

Irina will offen protestieren

«Einige von ihnen sagen uns direkt: Niemand wird euch unterstützen, denn die Rückkehr eurer Ehemänner bedeutet, dass die Ehemänner der anderen Frauen dann an die Front müssen», so Irina zu «Bild». «Fordert lieber daher die Regierung auf, den Krieg zu beenden, sich an den Verhandlungstisch mit der Ukraine zu setzen.»

Irina ruft deswegen jetzt zum Protest auf: «Wir müssen Putin ändern, auf die Strasse gehen, die lebenswichtigen Quellen blockieren und die Bevölkerung wird aufwachen.» Auch ihr sei bewusst, welche Gefahr dabei droht. In Russland werde man nach solchen Aussagen schnell verhaftet.

Wegen «Diskreditierung der russischen Armee» oder der Vertretung des Westens kann man zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Manche Frauen, die gegen den Krieg protestierten, seien spurlos verschwunden.

Paulina (30) stehe laut «Bild» immer noch hinter Wladimir Putin. Sie sei stolz darauf, dass ihr Mann losgezogen sei, «um sein Heimatland zu verteidigen». Aber: «Seit mein Mann im Krieg ist, habe ich nicht normal geschlafen. Was morgen passieren wird, welche Neuigkeiten sie uns über unsere Ehemänner bringen werden, gibt uns Frauen keine Ruhe.» Sie wünsche sich deshalb eine Veränderung der Einsatzbedingungen. So sei ihr Mann seit dem Beginn des Krieges nur einmal für zwei Wochen nach Hause zurückgekehrt. 

Die Menschenrechtsaktivistin Elena Popova glaubt, dass die Ehefrauen der Soldaten durchaus etwas bewegen könnten, wenn sie sich organisieren würden. «Sie können nicht jeden verhaften, jeden ins Gefängnis stecken. Wir sprechen von mehreren Hunderttausend Menschen.» Aber das sei einfacher gesagt als getan, denn: «Das Hauptproblem besteht darin, dass die Ehefrauen der Mobilisierten sehr verschlossen sind und nicht offen reden wollen. Viele Frauen kennen nicht mal ihre Rechte.» 

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