Der fatale Machtwechsel 1933Hitler am Ziel, die Republik am Ende
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30.1.2023 - 00:00
Vor 90 Jahren wird der Nationalsozialist Adolf Hitler Reichskanzler. Damit beginnt der Weg in Diktatur, Krieg und Völkermord. Was lehrt uns der Untergang der Weimarer Republik heute?
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30.01.2023, 00:00
30.01.2023, 09:07
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Der 30. Januar 1933 ist in Berlin ein frostiger Wintertag. Vormittags empfängt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler, Kopf der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), und Franz von Papen, Reichskanzler a.D. Noch am selben Tag titelt die «Spandauer Zeitung»: «Hitler Reichskanzler». Darunter beschreibt das Blatt die Stimmung: «Ein dichter Nebel lagert in diesen Tagen über dem politischen Deutschland. Völlig dunkel ist der Weg in die Zukunft.»
90 Jahre nach diesem fatalen Januarmorgen am Ende der Weimarer Republik ist bekannt, wohin der Weg führte – in Diktatur, Krieg und Völkermord. Millionen Menschen wurden verfolgt, bekämpft und ermordet, Europa zerstört, Deutschland geteilt. Und obwohl die zwölf Jahre des sogenannten Dritten Reichs inzwischen von allen Seiten durchleuchtet scheinen bis hin zu Hitlers Schäferhund, bleiben zentrale Fragen. Wäre das alles zu verhindern gewesen? Und könnte es sich in diesen Zeiten von Krieg und Krise wiederholen?
«In den 1950er und 1960er Jahren herrschte die These vor, dass diese Republik von Anfang an zum Scheitern verurteilt war wegen der Fehler in der Verfassung, der Krisen und der Folgen des Versailler Vertrags», sagt der Berliner Historiker Thomas Sandkühler. «Heute sieht man die Weimarer Republik in einem deutlich helleren Licht als demokratische Neugründung. Damit hat der 30. Januar allerdings fast noch eine höhere Qualität mit diesem Absturz in die Diktatur, weil die Demokratie durchaus Überlebenschancen gehabt hätte.»
Die Vorgeschichte
Die 1918 gegründete Weimarer Republik kämpft von Anfang an mit den Folgen des Ersten Weltkriegs, Hyperinflation, Putschversuchen und politischen Morden. Die Weltwirtschaftskrise 1929 und die folgende Massenarbeitslosigkeit bringen sie endgültig ins Schlingern. Die NSDAP, 1928 bei nur 2,6 Prozent, kommt bei der Reichstagswahl im September 1930 bereits auf 18,3 Prozent der Stimmen. Zugleich erreicht die Kommunistische Partei Deutschlands 13,1 Prozent. Zwischen den Extremen findet die Mitte keinen Regierungskonsens mehr.
Der 85 Jahre alte Reichspräsident Hindenburg ernennt in schneller Folge rechts-konservative Kanzler ohne parlamentarische Mehrheit, die per Notverordnung regieren und sich nur wenige Monate halten. Die Bürger wählen wieder und wieder. Im Juli 1932 wird die NSDAP erstmals stärkste Partei mit 37,4 Prozent der Stimmen. Im November 1932 abermals Reichstagswahl, die NSDAP wieder vorn, aber nur noch mit 33,2 Prozent.
Nun glauben einige, der Höhepunkt des Nazi-Aufschwungs sei vorbei und man könnte die Episode vielleicht aussitzen. «Das hätte bedeutet, einen Verfassungsbruch in Kauf zu nehmen, nämlich die Durchführung von Neuwahlen hinauszuzögern und darauf zu warten, dass der Rückhalt für die NSDAP schwindet», sagt Historiker Sandkühler. «Gerade die SPD hat sich jedoch verweigert, ein solches Notstandsregime in Kauf zu nehmen. Darin liegt eine gewisse Tragik.»
Der Machtwechsel
Reichskanzler wird Ende 1932 zunächst der frühere General Kurt von Schleicher. Doch sein Vorgänger Franz von Papen will zurück an die Macht und paktiert mit Hitler. Am 28. Januar tritt von Schleicher zurück. Hindenburg akzeptiert Hitler als Reichskanzler, von Papen wird Vize.
«Dass Hitler die Reichskanzlerschaft bekommt, ist eine Intrige alter Eliten», sagte der Potsdamer Historiker Martin Sabrow vor einigen Tagen bei einer Veranstaltung in Berlin. Die etablierte Rechte – selbst ohne Sympathie für die Republik und auf dem Weg in die Autokratie – ist sich sicher, den als Emporkömmling verachteten «Führer» unter Kontrolle zu haben. Es kommt anders.
Im Rückblick geradezu atemberaubend schnell übernehmen Hitlers Leute die Kontrolle. Am Abend des 30. Januar ziehen NS-Fackelträger durchs Brandenburger Tor. Am 1. Februar löst Hindenburg den Reichstag auf und plant nochmals Neuwahlen, am 5. März. Binnen weniger Tage werden die Pressefreiheit beschnitten, Schlüsselpositionen der Polizei an Nazis vergeben, Schiessbefehl erteilt, Zehntausende Angehörige der SA – der paramilitärischen Einheit der NSDAP – zu Hilfspolizisten erklärt. Quasi amtlich drangsalieren sie nun politische Gegner. Kommunisten und Sozialdemokraten werden verprügelt, verhaftet, erschossen. Hitler fliegt im Wahlkampf im Privatflugzeug kreuz und quer durchs Land. Die Propaganda zeigt jubelnde Massen.
Am 27. Februar, nur Tage vor der Wahl, wird der Reichstag in Brand gesetzt, unter nie ganz geklärten Umständen. Die Nazis sprechen von einem kommunistischen Komplott und nutzen den Vorwand für eine noch schärfere Gangart. Am Wahltag legt die NSDAP deutlich zu auf 43,9 Prozent. Mit der Deutschnationalen Volkspartei hat sie eine knappe Mehrheit. Hitler braucht das Parlament aber letztlich nur noch einmal: für das sogenannte Ermächtigungsgesetz vom März 1933. Die KPD kann ihre Mandate schon nicht mehr wahrnehmen, die SPD stimmt gegen die Vorlage – alle anderen Parteien votieren für das Ende der Demokratie.
Vielen scheint dieser Umbruch das kleinere Übel zur dauernden Unsicherheit. «Es gibt kaum noch eine gesellschaftlich relevante Gruppierung ausserhalb der Arbeiterbewegung, die für die Demokratie im klassischen Sinne eintritt», sagt Sabrow. Am Ende bahnt eine Mischung von Begeisterung und Hoffnung, Angst und Opportunismus, Gleichgültigkeit und Neugier Hitler den Weg.
Die Lehren
Im Januar 2023 hängt zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin ein Plakat der Jusos an Laternenpfosten: «Rechts wählen ist so 1933 – Keine Stimme der AfD». Die Warnung vor Extremismus, Unregierbarkeit und Demokratieverdruss ist allgegenwärtig. Die rechten Regierungen in Italien oder Schweden scheinen wie düstere Vorboten. Aber sind da wirklich Parallelen?
«Die Situation am Ende der Weimarer Republik ist doch eine grundsätzlich andere», sagt der Historiker Hans-Ulrich Thamer. Die wesentlichen Unterschiede für ihn: Die Mitte ist heute stabiler und prodemokratisch, sowohl im Parteiengefüge als auch in der Gesellschaft; anders als die Weimarer Republik ist die Bundesrepublik in multinationale Bündnisse eingebunden; und es gibt nicht diese Militarisierung der Gesellschaft oder paramilitärische Einheiten, die das Gewaltmonopol des Staats infrage stellen.
Wichtiger noch: Die Furcht vor einer Wiederholung – «eine der Urängste und Dauerängste der Bundesrepublik» – habe eine «tief sitzende Immunisierung» bewirkt, meint Thamer. Es gebe gesellschaftliche Gegenwehr gegen Rechts. Wenn die Demokratie in Gefahr gerät, dann wohl nicht wieder auf dieselbe Weise. «Geschichte wiederholt sich nicht», sagt der 80-jährige Historiker. «Das ist zumindest eine Erwartung, die man einigermassen begründet haben kann. Allerdings sollte man niemals nie sagen.»
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