100 Jahre nach Massaker von TulsaDas Misstrauen sitzt tief
Von Cliff Brunt, AP
31.5.2021 - 06:05
Bis zu 300 schwarze Bürgerinnen und Bürger wurden vor 100 Jahren in Tulsa von einem entfesselten Mob umgebracht, während die Polizei zusah und sogar Waffen aushändigte. Die Wunden von damals sind immer noch zu spüren.
DPA, Von Cliff Brunt, AP
31.05.2021, 06:05
31.05.2021, 08:31
Von Cliff Brunt, AP
Der Polizeichef von Tulsa ist mittlerweile ein Schwarzer – es ist jene Stadt im US-Staat Oklahoma, die als Schauplatz eines rassistischen Massakers vor genau 100 Jahren in die Geschichte einging. Seitdem hat sich viel verändert, doch viele Schwarze dort misstrauen nach wie vor der Polizei.
Am 31. Mai und 1. Juni 1921 ging der von Schwarzen bewohnte Stadtteil Greenwood mit seiner Geschäftsstrasse, der Black Wall Street, in Flammen auf. Angesteckt wurden die Häuser von einem Mob Weisser, die nach Berichten über einen angeblichen Vergewaltigungsversuch eines Schwarzen an einem weissen Mädchen auf den Stadtteil vorrückten. Schätzungen zufolge kamen bis zu 300 schwarze Bürgerinnen und Bürger ums Leben, Tausende Schwarze verloren ihr Zuhause.
Die Behörden und die Sicherheitskräfte spielten dabei eine unrühmliche Rolle. Die praktisch nur von Weissen getragene Polizei gab Waffen an Hilfskräfte aus, von denen sich viele dann dem Mob anschlossen. In zahlreichen Berichten wird beschrieben, wie Männer mit Abzeichen Brände legten oder auf Schwarze schossen. Aus einem Text der Nachrichtenagentur AP über die damaligen Geschehnisse geht hervor, wie Schwarze zu Hunderten aus ihren Häusern vertrieben wurden und riefen «Nicht schiessen!», während sie durch die Flammen liefen.
Jahrzehntelang wurde das Massaker von Tulsa nahezu totgeschwiegen. Erst vor knapp zehn Jahren stellte sich der damalige Polizeichef Chuck Jordan vor die Menschen in Greenwood und bat um Verzeihung für die Rolle der Polizei. «Ich kann mich nicht für die Taten, Untätigkeiten oder Pflichtverletzungen jener einzelnen Polizisten oder ihres Chefs entschuldigen», erklärte Jordan. «Aber als euer jetziger Chef kann ich mich für unsere Polizei entschuldigen. Es tut mir leid und bedrückt mich, dass die Polizei von Tulsa ihre Bürger während der tragischen Tage von 1921 nicht beschützt hat.»
Einen herben Schlag erlitt das Verhältnis zwischen schwarzer Bürgerschaft und Sicherheitskräften erneut im Jahr 2016: Eine weisse Polizistin erschoss den unbewaffneten Schwarzen Terence Crutcher und wurde vom Tötungsvorwurf freigesprochen. Alte Wunden brachen wieder auf. «Ich glaube, dass der gewaltsame Tod meines Bruders tatsächlich ein Jahrhundert von Rassenspannungen blossgelegt hat», sagt Crutchers Zwillingsschwester Tiffany.
In einer Umfrage von Gallup-Tulsa Citivoice Index erklärten 2018 nur 18 Prozent der schwarzen Einwohner, dass sie der Polizei sehr vertrauten. Bei den weissen Einwohnern waren es 49 Prozent. Gar kein oder zumindest nicht viel Vertrauen hatten 46 Prozent der Schwarzen in Tulsa und 16 Prozent der Weissen.
Angespannte Beziehung zwischen Polizei und Schwarzen
Von 2020 zeigen Zahlen der Stadtverwaltung und der Bürgerorganisation CSC, dass schwarze Jugendliche ein mehr als dreimal so hohes Risiko hatten, festgenommen zu werden, wie weisse Jugendliche. Bei Erwachsenen waren die Zahlen nicht viel geringer.
Die Nachfolge Jordans trat dann im vergangenen Jahr Wendell Franklin an, ein Schwarzer. Das wird als Fortschritt gewertet, reicht den meisten aber bei Weitem nicht aus. «Ich denke, das ist etwas, was die Gemeinschaft braucht», sagt die 70-jährige Ina Sharon Mitchell aus dem Norden von Tulsa über die Personalie. «Aber wie weit reicht dieser Wandel denn wirklich, wenn man hinter die geschlossenen Türen schaut?»
Auch Tiffany Crutcher beschreibt die Beziehung zwischen Polizei und schwarzer Einwohnerschaft als nach wie vor angespannt. «Das Verhältnis ist gar nicht gut. Es gibt kein Vertrauen.» In Erinnerung an den Bruder rief sie die Terence-Crutcher-Stiftung ins Leben, die die Gräben der Angst und des Misstrauens überbrücken helfen soll.
Polizei mit rassistischen Vorbehalten
Aber stockender Fortschritt frustriert sie – und sie ist enttäuscht vom neuen Polizeichef Franklin. Er sehe nicht, dass die Polizei von Tulsa ein Problem mit rassistischen Vorbehalten habe, meint sie. Da helfe es auch nicht, wenn die Polizei einen Schwarzen an die Spitze setze. Das sei nur eine oberflächliche Geste.
«Es gibt noch viel zu tun», sagt Tiffany Crutcher. Dass Wendell Franklin dabei noch einen wichtigen Part einnehmen kann, glaubt Crutchers Mitstreiter Greg Robinson. Dass der neue Polizeichef aus ihren Reihen stammt, stimmt ihn optimistisch. Er hoffe, dass Franklin es schaffe, den Kurs zu den Veränderungen einzuschlagen, für die die Stiftung eintrete. «Bislang ist das noch nicht passiert, aber er ist auf jeden Fall jemand, der im Norden aufgewachsen ist. Er sollte das verstehen», erklärt Robinson. «Und ich hoffe, dass er mutig genug ist, uns wirklich einzubeziehen und einzubinden.»