Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine befürchtet der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, Schäden für Menschen, Umwelt und Landwirtschaft in Milliardenhöhe. «Städte, Infrastruktur, ganze Industrien müssen wieder aufgebaut werden», sagte der Diplomat den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstagsausgaben). «Die Gesamtschäden werden erst sichtbar, wenn das Wasser abgelaufen ist.»
Nach der Explosion an dem ukrainischen Staudamm hatte die ukrainische Regierung laut Funke einen Antrag auf Soforthilfe beim deutschen Aussenministerium gestellt und unter anderem um Tanklaster für die Trinkwasserversorgung, Feuerwehrschläuche, Rettungsbojen, Motorpumpen für Schmutzwasser und Schwimmwesten gebeten.
Die Wiederaufbaukosten für die Ukraine allein in diesem Jahr betragen nach Angaben Makeievs 14,1 Milliarden Dollar (rund 12,8 Milliarden Franken). «Davon wurden 3,3 Milliarden Dollar bereits im Haushalt der Ukraine bereitgestellt. Gebraucht wird alles, von Trinkwasser-Filtern bis hin zu Schlauchbooten», sagte der Botschafter.
Makeiev sorgt sich auch um die Fischerei und Landwirtschaft in der überschwemmten Region. «Die Verluste für die Fischerei durch den Verlust aller biologischen Ressourcen werden gravierend sein. In der Region Cherson wurde bereits ein Fischsterben registriert», bedauerte er.
Vor allem die Getreideindustrie habe nun zu kämpfen. «Mehr als 20'000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, auf der sich der ukrainische Gemüseanbau konzentrierte, wurden für viele Jahre ausser Betrieb genommen», sagte Makeiev. «Die Getreidelager stehen unter Wasser. Nur wenige Schiffe in den Schwarzmeer-Häfen, die die ganze Welt mit Getreide beliefern, können beladen werden.»
Durch die Überflutung seien Transportwege blockiert, die Schliessung der Häfen im Schwarzen und Asowschen Meer «schädigt viele kleine und mittlere Unternehmen massiv».
Ausser den wirtschaftlichen Sorgen nennt der ukrainische Botschafter auch eine potenzielle Gefahr für Menschen durch Minen. «Russland hat am Ufer des Dnipro viele der international geächteten Anti-Personen-Minen verlegt. Durch die Überflutung wurden auch diese Minen erfasst, die jederzeit explodieren können», sagte Makeiev.
Die Weltbank hatte in einer Ende März veröffentlichten gemeinsamen Schätzung mit EU, UNO und ukrainischer Regierung die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine und die Erholung der Wirtschaft des Landes auf 411 Milliarden Dollar (gut 360 Milliarden Franken) beziffert - allein durch die Schäden aus dem ersten Kriegsjahr.
Der in russisch besetztem Gebiet liegende Kachowka-Staudamm am Fluss Dnipro war in der Nacht zum Dienstag zerstört worden, grosse Mengen Wasser traten aus. Tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Kiew und Moskau werfen einander gegenseitig vor, für den Vorfall verantwortlich zu sein.