Afghanistan-Konferenz Gewalt, Korruption, Corona – Hilfe für ein Land mit ungewisser Zukunft

dpa/gbi

29.11.2020 - 00:03

Wenn die Kinder vor Hunger nur noch wimmern. Wenn irgendwo wieder eine Bombe hochgeht – für viele Afghanen ist das Alltag. Trotz der Geberkonferenz in Genf bleibt die Not im Land erdrückend.

Für Afghanistan gibt es keine Verschnaufpause. Nach Jahrzehnten der Bürgerkriege, nach Dürren und nun mit der Corona-Pandemie sind mittlerweile mehr als elf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Das ist über ein Viertel der Bevölkerung.

Gut die Hälfte der Menschen lebt an der Armutsgrenze. Die internationale Staatengemeinschaft muss daher noch einmal tief in die Tasche greifen.

Bei einer virtuellen Konferenz am Dienstag in Genf versprachen Geberländer dem Land rund drei Milliarden Dollar an Hilfen für das kommende Jahr. Ähnliche Beträge pro Jahr bis Ende 2024 wurden in Aussicht gestellt, aber an Bedingungen geknüpft: dass Afghanistan Frieden mit den militant-islamischen Taliban erreicht, die Korruption bekämpft und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wahrt.

Auch die Schweiz wolle einen «klaren Entwicklungsplan» für ganz Afghanistan sehen, mit «umsichtigen und realistischen» Zielen, sagte Aussenminister Ignazio Cassis. Die Mittel müssten alle Afghanen erreichen, auch in konfliktbedingt schwer zugänglichen Gebieten.

Bundesrat Ignazio Cassis (l.) bespricht sich vor der Konferenz in Genf mit dem afghanischen Aussenminister Mohammad Hanif Atmar. 
Bundesrat Ignazio Cassis (l.) bespricht sich vor der Konferenz in Genf mit dem afghanischen Aussenminister Mohammad Hanif Atmar. 
Bild: Keystone/Valentin Flauraud

Das alle vier Jahre stattfindende Treffen sollte eigentlich das letzte sein, da Afghanistan anstrebt, ab 2025 auf eigenen Füssen zu stehen – dies betont Präsident Aschraf Ghani. Die Spendenbereitschaft der Staaten nimmt aber ab: Bei der Geberkonferenz 2016 waren für vier Jahre rund 15 Milliarden Dollar zusammengekommen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Das UNO-Welternährungsprogramm (WFP) bietet Afghanistan auch Hilfe zur Selbsthilfe, zum Beispiel in der Provinz Badachschan im Nordosten des Landes. Witwe Sang-e Mah, Mutter von fünf Kindern, nahm dort an einem Training zum Obstanbau teil.

Die 38-Jährige erhielt Geld und kaufte Samen für 30 Apfel- und Aprikosenbäume. «Wenn sie gross sind, habe ich Obst für die Kinder, ich kann den Rest auf dem Markt verkaufen und von dem Geld andere Sachen für meine Familie kaufen.»

Die Dürren 2018 und 2019 haben das Land schwer gebeutelt. Im Frühjahr ging es langsam wieder aufwärts – dann kam die Corona-Pandemie. Angehörige im Ausland verloren ihre Arbeit und konnten kein Geld mehr nach Hause schicken, Tagelöhner in den Städten fanden keine Jobs mehr, die Nahrungsmittelpreise explodierten, weil die Grenzen geschlossen wurden und Nachschub fehlte. Dazu kommt der bewaffnete Konflikt, in dem jeden Tag Menschen sterben.



Gefechte, Bombenangriffe und gezielte Tötungen sind Alltag in Afghanistan, ein Grossteil der überwiegend jungen Bevölkerung ist damit aufgewachsen. Seit der US-geführten Invasion nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und ihrer Vertreibung aus Kabul kämpfen die Taliban gegen die vom Westen gestützte Regierung. Auch die Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) ist im Land aktiv. Erst am Wochenende griff der IS die Hauptstadt mit Raketen an, zahlreiche Menschen wurden getötet und verletzt.

Friedensgespräche mit Taliban auf der Kippe

Ein Deal mit den USA verpflichtete die Taliban Ende Februar zur Aufnahme von Friedensgesprächen mit Kabul. Der Auftakt Mitte September weckte neue Hoffnung auf ein Ende des Konflikts. Ein Waffenstillstand ist jedoch nicht in Sicht.

Die Verhandlungen könnten sich noch lange hinziehen, sagt der renommierte Experte Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network. «Man muss auch damit rechnen, dass sie wegen Differenzen gelegentlich unterbrochen werden und während dieser Zeit weiter gekämpft wird.»

Vor der Geberkonferenz hatten die Staaten einen entschiedenen Kampf gegen Korruption gefordert. Am Sonntag hob Präsident Aschraf Ghani dafür eine neue Kommission ins Amt. Eine von vielen.

Ein Security-Mitarbeiter begutachtet in der afghanischen Hauptstadt Kabul einen Bus, der von einer Rakete getroffen wurde. 
Ein Security-Mitarbeiter begutachtet in der afghanischen Hauptstadt Kabul einen Bus, der von einer Rakete getroffen wurde. 
Bild: AP Photo/Mariam Zuhaib

Durch die zahlreichen Institutionen seien die Antikorruptions-Bemühungen «zahnlos», kritisiert Expertin Muska Dastageer. «Vor der Konferenz wurde sicher erwartet, dass die Spendenmüdigkeit und Enttäuschung insbesondere über die immer noch grassierende Korruption die Geber möglicherweise entmutigen könnte, Zusagen auf dem Niveau der Vorjahre zu machen».

Kriegswirtschaft begünstige die Korruption, erklärt Ruttig. «Die Korruption in den afghanischen Institutionen ist ein ganz grosses Problem, das beseitigt werden muss, um eine Effektivität der Hilfe zu erreichen». Der Experte sieht auch bei der internationalen Gemeinschaft eine Mitschuld. «Die Geberländer haben Korruption zu grossen Teilen sogar geduldet, weil sie der Ansicht waren, dass bestimmte Verbündete nur gekauft werden können».

Die Staatengemeinschaft investiert in eine ungewisse Zukunft Afghanistans – auch wegen des geplanten Abzugs der Nato-Streitkräfte. Doch Hilfsgelder können auch Druckmittel sein, wenn die Taliban wieder an der Regierung beteiligt sein sollten, sagt Ruttig. Das Land ist weiter zerstört worden, auch der Frieden wird Geld kosten. «Die Geberländer haben eine Verantwortung dafür, was aus Afghanistan in den letzten 20 Jahren seit der Intervention geworden ist, und können sich nicht einfach zurückziehen.»

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