US-ZwischenwahlenJoe Biden kann aufatmen – und sich auf was gefasst machen
Von Christiane Jacke, dpa
13.11.2022 - 19:54
Enges Rennen um US-Kongress – Entscheidung wohl erst im Dezember
Erste Ergebnisse signalisierten am Mittwoch, dass die Republikaner bei den Zwischenwahlen in den USA leichte Zugewinne verbuchten, während die Demokraten besser abschnitten als erwartet.
09.11.2022
Noch sind nicht alle Stimmen der Midterms ausgezählt, doch ist bereits klar: Die republikanische Welle bleibt aus – die Demokraten behalten sogar ihre Mehrheit im Senat. Präsident Biden bricht gestärkt zu einem Gipfelmarathon auf. Dabei warten zu Hause einige Probleme.
DPA, Von Christiane Jacke, dpa
13.11.2022, 19:54
13.11.2022, 20:00
DPA, smi
Joe Biden lässt sich feiern. Dafür, dass eine Katastrophe ausgeblieben ist. Als der US-Präsident zwei Tage nach den Zwischenwahlen vor Anhängern spricht, spottet er über Umfragen und jene, die ein Desaster für seine Demokraten vorausgesagt hatten.
Der 79-Jährige ist gut gelaunt, beschwingt, zu Scherzen aufgelegt. Bei den «Midterms» in der Mitte seiner Amtszeit blieb die befürchtete Klatsche aus. Heute bekam Biden sogar die heissersehnte Nachricht, dass seine Demokraten die Mehrheit im Senat verteidigen Konnten. Das hilft auch bei den Auftritten auf der Weltbühne in den kommenden Tagen. Doch wer denkt, es sei nun alles gut für ihn, der täuscht sich.
Biden ist länger im Ausland unterwegs: eine Woche, zwei Kontinente, drei Gipfel. Nach einem Stopp bei der Weltklimakonferenz in Ägypten an diesem Freitag reist er weiter nach Asien: erst zum Asean-Gipfel nach Kambodscha, dann zum G20-Gipfel nach Bali.
Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, wertet den Ausgang der «Midterm»-Wahlen als «Rückenwind» für den Trip: Der Präsident gehe mit dem Gefühl auf diese Reise, «dass das amerikanische Volk ihn in einer sehr starken Position auf die Weltbühne schickt».
Der Demokrat trifft auf dem Trip diverse Staats- und Regierungschefs, unter anderem Chinas Präsidenten Xi Jinping. Bei vielen dieser Gespräche hätte es Biden in eine schwierige Lage versetzt, wenn er bei der Wahl schwer abgestraft worden wäre oder die erste nationale Abstimmung seit der Attacke auf das Kapitol am 6. Januar 2021 erneut in Chaos ausgeartet wäre.
Als Anhänger von Bidens Amtsvorgänger Donald Trump damals aus Wut über den Ausgang der Präsidentenwahl den Kongresssitz in ein Schlachtfeld verwandelten, fügten sie auch dem Bild der US-Demokratie bleibenden Schaden zu, im In- und Ausland.
Doch eine gewichtige Frage bleibt. Als Biden nach seinem Amtsantritt der Welt versicherte, Amerika sei nach den Trump-Jahren zurück als verlässlicher internationaler Partner, da fragten manche: Für wie lange? Dies Unbehagen treibt viele Partner weiter um.
Im Repräsentantenhaus wollen die Republikaner zurückschlagen
Die Wahlnacht lief für Bidens Demokraten zwar deutlich besser als erwartet. Dass viele demokratische Kandidaten deutlich stärker abschnitten als gedacht und dass viele von Trump unterstützte republikanische Kandidaten durchfielen, ist ein echter Erfolg für Biden.
Im Senat konnten die Demokraten ihre Mehrheit verteidigen und damit einen wichtigen politischen Sieg eingefahren. Es gelang ihnen, im Bundesstaat Nevada einen hart umkämpften Senatssitz zu halten, wie die Nachrichtenagentur AP und die grossen US-Fernsehsender am Samstagabend (Ortszeit) übereinstimmend auf Grundlage von Stimmauszählungen meldeten. Damit kommen die Demokraten auf die nötige Zahl an Senatoren, um die Kongresskammer zu kontrollieren.
Es sieht dagegen danach aus, dass die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren. Das wäre historisch gesehen keine Überraschung. Aber es ist unbequemer in Zeiten, in denen Biden es dort mit einer grossen Gruppe radikaler Republikaner zu tun hat, die sich rächen wollen für das, was Trump in einem demokratisch dominierten Kongress erlitten hatte.
Viele von ihnen lechzen nach parlamentarischen Untersuchungen – zur Lage an der US-Südgrenze, zur FBI-Durchsuchung bei Trump, zu Geschäften von Bidens Sohn Hunter. Die ganz Radikalen wollen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden. All das würde seiner Regierung viel Arbeit bescheren und Nerven kosten. Und je knapper die mögliche Mehrheit der Republikaner ausfällt, umso mehr Gewicht bekommen diese radikalen Stimmen – weil ohne sie nichts geht.
Trump übt weiterhin Druck aus
Es rumort in der Republikanischen Partei. Konservative Kommentatoren machen Trump öffentlich dafür verantwortlich, dass die Republikaner nicht abgeräumt haben wie erwartet. Ob sich auch Parteigrössen von ihm abwenden werden, ist offen, besonders nachdem sich die Partei selbst nach der Kapitol-Attacke nicht von ihm lossagte.
Trump hat für kommenden Dienstag eine «grosse Ankündigung» in Aussicht gestellt. Erwartet wird, dass er dort seine Präsidentschaftsbewerbung für 2024 erklärt; falls er es sich nach den Niederlagen einiger seiner Kandidierenden nicht noch anders überlegt. Trump hat vermutlich bewusst jenen Tag gewählt, an dem Biden beim G20-Gipfel ist und er ihm dort die Schau stehlen kann.
Es könnte also sein, dass Trump wieder täglich in der politischen Debatte auftaucht und auch Biden ihm damit kaum aus dem Weg gehen kann. Selbst wenn andere Republikaner gegen Trump ins Rennen gehen – als Favorit dafür gilt Floridas Gouverneur Ron DeSantis, dann hat Biden es möglicherweise nur mit einer zivilisierteren und smarteren Variante von Trump zu tun – und weiter mit Trumpismus.
Kandidiert Trump, sind die Demokraten unter Zugzwang
Prescht Trump mit seiner Präsidentschaftsbewerbung vor und folgen ihm womöglich andere Republikaner, dann setzt das auch Biden unter Druck, zu erklären, ob er noch einmal antritt. Biden will sich nicht drängen lassen. «Ich habe es nicht eilig, diese Entscheidung heute, morgen oder wann auch immer zu treffen, ganz gleich, was mein Vorgänger tut», sagte er am Tag nach der Wahl. «Meine Absicht ist es, wieder zu kandidieren. Aber ich habe grossen Respekt vor dem Schicksal. Und dies ist letztlich eine Familienentscheidung.» Er werde Anfang des neuen Jahres verkünden, ob er noch einmal kandidiere.
Das unverhofft starke Abschneiden der Demokraten hat Bidens Position in dieser Frage verbessert. Es entkräftet aber nicht die Vorbehalte in seiner eigenen Partei. Biden ist der älteste US-Präsident aller Zeiten. Am 20. November wird er 80. Zum Start einer zweiten Amtszeit wäre er 82. Unter Demokraten gibt es einige, die meinen, er sei schlicht zu alt und zu wenig schwungvoll für eine zweite Amtszeit.
Das Problem ist nur: Wer könnte stattdessen aussichtsreich antreten? Die natürliche Nachfolge wäre Bidens Stellvertreterin Kamala Harris, die in den vergangenen zwei Jahren aber eine schwache Figur machte. Es wäre schwierig, sie gesichtswahrend aus dem Rennen zu nehmen, falls Biden verzichtet. Es gibt zwar einige andere Demokraten, die in Frage kämen. Doch die Partei wäre gut beraten, jemanden gezielt aufzubauen statt einen offenen Wettstreit zu starten.
Die US-Demokratie ist weiter angeschlagen
Biden trat an mit dem Ziel, das Land zu versöhnen, zu einen, Ruhe reinzubringen nach vier Trump-Jahren. Davon ist er weit entfernt. Einige Hardliner konnten sich bei den Wahlen zwar nicht durchsetzen. Es kam auch nicht zu Chaos oder Gewalt, zu Übergriffen gegen Wahlhelfer oder Protesten gegen Wahlergebnisse – all das schien zuvor möglich.
Aber ein Drittel der Wähler vertrat bei Nachwahlbefragungen die Meinung, Biden sei nicht rechtmässig im Amt. Und Dutzende Kandidaten, die das Resultat der Präsidentenwahl 2020 anzweifeln, setzten sich durch: Nach einer Aufstellung der «Washington Post» sitzen mindestens 145 von ihnen künftig im Repräsentantenhaus. Die amerikanische Demokratie ist noch lange nicht geheilt. Der Trumpismus lebt.
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