Supreme Court Amerikaner rüsten sich für neuen Abtreibungsstreit

AP/toko

21.5.2021 - 00:00

Pro-Choice-Aktivisten protestieren 2019 vor dem Supreme Court in Washington, DC. 
Pro-Choice-Aktivisten protestieren 2019 vor dem Supreme Court in Washington, DC. 
EPA/SHAWN THEW/KEYSTONE (Symbolbild)

Das höchste US-Gericht beschäftigt sich wieder mit dem Abtreibungsrecht – notorisch ein heisses Thema. Erst Recht in einem Jahr mit Kongresswahlen wie 2022 – und just dann wird wohl das Urteil fallen. Abtreibungsgegner und -befürworter laufen sich jetzt schon warm.

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Abtreibungsgegner in den USA wittern Morgenluft, Befürworter sind besorgt. Und beide Seiten rüsten sich für eine neue grosse Debatte. Hintergrund ist die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, sich mit einem umstrittenen Gesetz im Bundesstaat Mississippi von 2018 zu befassen, das Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche mit wenigen Ausnahmen verbietet. Das Gesetz liegt wegen des anhängigen Rechtsstreites auf Eis.

Das neunköpfige Richtergremium wird wahrscheinlich im Herbst eine Anhörung dazu abhalten und das Urteil im Frühjahr 2022 fällen – in einem Jahr mit Kongresswahlen. Und so bereiten sich Aktivisten auf beiden Seiten schon jetzt darauf vor, das Thema Abtreibung zu einem zentralen Punkt im Wahlkampf zu machen.

Macht der Evangelikalen

Vor allem Evangelikale haben seit Jahrzehnten darauf hingearbeitet, dass die historische Gerichtsentscheidung im Fall Roe gegen Wade von 1973 gekippt wird. Sie sprach den amerikanischen Frauen das verfassungsmässige Recht auf Abtreibung zu jedwedem Zeitpunkt zu, bevor ein Fötus ausserhalb des Mutterleibes lebensfähig ist. Das heisst, die Grenze liegt ungefähr bei 24 Wochen.



Was Abtreibungsgegner ermutigt: Unter Präsident Donald Trump haben sich die Mehrheitsverhältnisse im höchsten Gericht, dem Supreme Court, verändert: Sechs der Richterinnen und Richter sind konservativ, drei liberal. Wenn sie das Gesetz in Mississippi bestätigen, könnte es der erste Schritt zur möglichen Aufhebung des Urteils von 1973 sein. So warnen denn auch Abtreibungsbefürworter, dass dieser Fall die grösste Bedrohung für das geltende Recht seit Jahrzehnten sei.

Beide Seiten sagen, dass sie schon jetzt voller Schwung seien. Schon allein, dass die Richter überhaupt über das Gesetz beraten würden, sei eine «riesige Sache», sagt Katherine Beck Johnson vom konservativen Family Research Council. Es unterstreiche, dass «wir zum ersten Mal in einer langen Zeit eine Anti-Abtreibungsmehrheit im Supreme Court haben. Es wird die Wählerbasis dazu ermuntern, wählen zu gehen und für Republikaner zu stimmen.»

Aktivisten wollen Wähler mobilisieren

Jennifer Dalven von der Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union (ACLU) nennt es dagegen «wirklich alarmierend», dass sich der Gerichtshof des Falles annehme. «Mehr als 40 Jahre lang hat der Supreme Court festgestellt, dass Bundesstaaten Abtreibungen vor der Lebensfähigkeit (des Fötus) nicht verbieten können. Es gibt einfach keinen Weg für das Gericht, zugunsten von Mississippi zu entscheiden, ohne Roe gegen Wade auszuhöhlen.»

Viele Verfechter des Abtreibungsrechts rufen ihre Unterstützer schon jetzt zum Mobilisieren von Wählern auf. «Es hat niemals eine wichtigere Zeit gegeben, demokratische Frauen, die für Abtreibungswahlfreiheit eintreten, in örtliche und nationale Ämter zu wählen», hiess es in einer Erklärung der Gruppe Emily's List. «Wenn Oberste Gericht Roe gegen Wade streicht, brauchen wir jede Hilfe, die wir kriegen können.»

Auch wenn das Gericht nicht ausdrücklich die 1973er Entscheidung aufheben würde, könnte ein Aufrechterhalten des Gesetzes in Mississippi den Grundstein für die Zulassung weiterer Einschränkungen beim Abtreibungsrecht legen. In vielen republikanisch regierten US-Staaten sind schon Gesetze mit Restriktionen verabschiedet worden, in manchen Fällen etwa würden sie Abtreibungen schon nach sechs Wochen Schwangerschaft verbieten. 

US-weite Umfragen haben indes wiederholt gezeigt, dass eine Mehrheit der Amerikaner die derzeit US-weit geltenden Regeln auf der Basis des Urteils im Fall Roe gegen Wade unterstützt. So äusserten etwa bei einer Erhebung des Forschungsinstituts Pew Research Center im April 59 Prozent der Befragten die Ansicht, dass Abtreibungen in den meisten Fällen legal sein sollten, 39 Prozent hatte eine gegenteilige Meinung. 

Manche Abtreibungsgegner sind vor diesem Hintergrund eher skeptisch, dass der Gerichtshof das Urteil von 1973 ganz aufheben könnte. «Der Supreme Court hat niemals die öffentliche Meinung angeführt, sondern ist ihr gefolgt, wenn es um grössere Fragen wie Sklaverei, Homoehen und Frauenrechte ging», sagt Robert Jeffress, Pastor einer Megakirche in Texas, der Trump unterstützt hat. «Solange 70 Prozent der Amerikaner gegen die Aufhebung von Roe (gegen Wade) sind, wird es nicht geschehen. Worauf Konservative realistischerweise hoffen können ist, dass das Gericht den Mississippi-Fall benutzt, um uneingeschränkte Abtreibung in unserem Land zu zügeln.»

«Wie den Weg eines Hurrikans vorauszusagen»

Tatsache ist auch, dass der Gerichtshof trotz seiner konservativen Mehrheit nicht immer so gestimmt hat, wie es sich die Republikaner – und Trump – erhofft haben. So erlitt der seinerzeitige Präsident bei seiner Anfechtung des Wahlergebnisses vom November 2020 nur Schlappen. 

«Vorauszusagen, was der Supreme Court in der Frage der Abtreibungsregulierung eines Bundesstaates tut, ist so schwer, wie den Weg eines Hurrikans vorauszusagen», sagt denn auch Ralph Reed, Vorsitzender der konservativen Faith and Freedom Coalition und langjähriger Trump-Verbündeter. Reed räumt ein, dass das Thema Abtreibung nur bei einer kleinen Minderheit von Wählern höchste Priorität habe, aber in vielen engen Kongress- und Gouverneursrennen «könnte es theoretisch am Ende ausschlaggebend sein». Als mögliche Beispiele dafür gelten die Senatsrennen 2022 in Pennsylvania, North Carolina, Georgia und Florida. 

Abtreibungsbefürworterin Kelly Baden von der Einrichtung Strategic Initiatives and Services, einem Strategiezentrum für liberale Parlamentarier in den Kongressen der US-Staaten, läuft sich vorsichtshalber schon jetzt warm. Es sei schon viel verloren worden, sagt die mit Blick auf die Welle von Anti-Abtreibungsgesetzen in republikanisch geführten Bundesstaaten. «Aber wir haben die Macht, es zurückzugewinnen. Wenn uns die Gerichte im Stich lassen, können und müssen wir in die Wahllokale gehen.»