Südkorea Angebliche Putschpläne sorgen für Aufregung in Südkorea

dpa

16.7.2018

Militärparade in Seoul (Archivbild).
Militärparade in Seoul (Archivbild).
Keystone

Wollte das Militär Proteste im vergangenen Jahr mit Waffengewalt niederschlagen? Plante es gar einen Putsch? Aufgrund Südkoreas Geschichte treffen gerade enthüllte Dokumente den Nerv vieler Menschen.

Eine Gruppe von Generälen lässt Panzer und Soldaten in Seoul aufziehen. Fallschirmjäger eröffnen das Feuer auf Demonstranten. Gepanzerte Fahrzeuge stehen vor den Universitäten, um protestierende Studenten einzuschüchtern.

Solche Szenen hat es in Südkorea nicht gegeben, seit das Land Ende der 1980er Jahre eine Demokratie wurde. Doch in der vergangenen Woche enthüllte Dokumente zeigen, dass das Militär plante, Soldaten zu mobilisieren, um Proteste im vergangenen Jahr einzudämmen. Einige Menschen sprechen gar von Putschplänen.

Erinnerungen an die brutalen, vom Militär unterstützten Diktaturen sind bei vielen Südkoreanern noch lebendig. Die meisten Experten halten einen Putsch heute allerdings für extrem unwahrscheinlich. Was steckt also hinter den Enthüllungen?

Aufkommen des Skandals

Die Kontroverse entbrannte vergangene Woche: Ein Mitglied der Regierungspartei veröffentlichte das Dokument einer militärischen Geheimdienstabteilung. Darin enthalten waren Pläne, Soldaten einzusetzen, wenn die Proteste im Zusammenhang mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts über die damalige Präsidentin Park Geun Hye in grossem Ausmass gewalttätig geworden wären. Park war wegen weitreichender Korruptionsvorwürfe Ende 2016 vom Parlament ihres Amtes enthoben worden, das Gericht entschied 2017 über ihr weiteres Schicksal.

In dem Dokument wird eine militärische Antwort auf die Proteste für und gegen Park durchgespielt. Nachdem das Gericht die formelle Amtsenthebung Parks bestätigt hatte, kam es zwar zu Protesten. Diese stellten aber keine Bedrohung für die nationale Sicherheit dar, so dass die Pläne in der Schublade blieben.

Der Aktivist Lim Tae Hoon analysierte das Dokument und kam zu dem Schluss, dass die Pläne vor allem gegen die Anti-Park-Fraktion gerichtet gewesen seien. Er verwies auf Überlegungen zum Kriegsrecht sowie Pläne zur Umgehung der normalen Befehlskette, um schnell eine grosse Anzahl von Soldaten in Seoul zu mobilisieren.

Lim vermutet, dass Mitglieder der Armeeführung einen Putsch planten, um Park an der Macht zu halten. «Es gab für die Armee keinerlei Grund, Pläne für die Stationierung von Soldaten zu entwickeln oder das Kriegsrecht zu erwägen», sagt er.

Nach einem öffentlichen Aufschrei ordnete Parks liberaler Nachfolger Moon Jae In eine Untersuchung an. Militärexperten halten die These von einem geplanten Putsch aber nicht für plausibel. Das Militär sei verpflichtet gewesen, sich auf aussergewöhnliche Situationen vorzubereiten, um die Ordnung aufrecht zu halten - so der Tenor.

Kim Dong Yub, ein ehemaliger Militärbeamter, sagt, es sei offensichtlich, dass die Urheber von der Vergangenheit stark beeinflusst seien. Doch es würde zu weit gehen, von Putschplänen zu sprechen. «Sie waren bereit für armselige und hektische Schritte für ihre Interessen, wenn das Gericht Parks Präsidentschaft gerettet hätte», sagt Kim, der heute Analyst am Institut für Fernoststudien in Seoul ist.

Ist ein Putsch möglich?

Keiner der fünf von der Nachrichtenagentur AP befragten Militärexperten sieht eine reelle Chance dafür, dass im Südkorea des 21. Jahrhunderts ein Putsch stattfindet. «Dafür ist nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent», sagt Kim Taewoo, ehemaliger Präsident des Koreanischen Instituts für Nationale Vereinigung.

Die Gründe sind vielschichtig. In einem extrem vernetzten Land wie Südkorea wäre es schwer, gross angelegte Putschpläne geheim zu halten. Ein schnelles Einrücken mit Panzern und Soldaten in Seoul würde vermutlich schon am chaotischen Verkehr hinein in die Hauptstadt scheitern. Vor allem aber würden viele der jungen Soldaten und Offiziere, die in einer vollwertigen Demokratie aufgewachsen sind, sich nicht gegen die eigenen Mitbürger wenden.

«Die Wahrnehmung der Bürgerrechte bei unseren Soldaten ist völlig anders als in der Vergangenheit», sagt der Militärexperte Kim Dae Young. «Wenn sie einen ungerechten Befehl erhalten würden, um die Waffen gegen ihre eigenen Mitbürger zu richten, also nicht gegen Nordkorea, dann bezweifele ich, dass sie so einer Anordnung folgen würden.» Derzeit umfasst das südkoreanische Militär mehr als 600 000 Soldaten, die meisten davon sind um die 20 Jahre alt und leisten ihre zweijährige Wehrpflicht.

Welche Rolle spielte das Militär in der Vergangenheit?

Die heftige öffentliche Reaktion auf das Dokument ist zumindest zum Teil in Parks Familiengeschichte begründet. Sie ist die Tochter des antikommunistischen Diktators Park Chung Hee. Der ehemalige General beherrschte das Land als Autokrat fast zwei Jahrzehnte. 1979 wurde er von seinem eigenen Spionagechef ermordet.

Park liess im Jahr 1961 Tausende Marineinfanteristen, Fallschirmjäger und andere Kampftruppen in den frühen Stunden des 16. Mai 1961 in Seoul einmarschieren. Es war der erste Militärputsch in der Geschichte des Landes.

Während seiner Herrschaft rief er immer wieder das Kriegsrecht aus und ging mit unerbittlicher Härte gegen Kritiker vor. Seine Diktatur rechtfertigte er mit der Bedrohung durch das kommunistische Nachbarland Nordkorea. Anhänger verehren ihn bis heute als Helden, der das Land mit hoher Geschwindigkeit industrialisierte.

Weniger als zwei Monate nach dem Tod Parks gab es im Dezember 1979 einen zweiten Putsch. Generalmajor Chun Doo Hwan ergriff die Macht. 1980 schlug das Militär in der Stadt Gwangju einen prodemokratischen Aufstand nieder und tötete mindestens 200 Menschen.

Nach massiven Strassenprotesten im Jahr 1987 sah sich Chungs Regierung aber gezwungen, direkte Präsidentenwahlen anzusetzen. Weil jedoch die liberalen Kandidaten sich gegenseitig die Stimmen wegnahmen, siegte am Ende Roh Tae Woo, der Chun bei seinem Putsch 1979 unterstützt hatte. Sowohl Chun als auch Roh wurden später verhaftet und erhielten wegen Bestechlichkeit, Hochverrats und anderer Vergehen Gefängnisstrafen.

Zurück zur Startseite