30 Jahre Mauerfall Angela Merkel: Auch in der DDR war ein «gelungenes Leben» möglich

uri

6.11.2019

Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel wohl auch als DDR-Bürgerin bereits ihren Traum erfüllen können. Allerdings frühestens vor fünf Jahren.
Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel wohl auch als DDR-Bürgerin bereits ihren Traum erfüllen können. Allerdings frühestens vor fünf Jahren.
Bild: Keystone/Archivbild

Anlässlich des nahenden 30. Jahrestages des Mauerfalls hat sich die deutsche Bundeskanzlerin Zeit für ein grösseres Interview genommen. Sie erzählt von einem Traum – und gibt den Ostdeutschen einen Rat.

Was der Mauerfall am 9. November 1989 für sie bedeutet, hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel aktuell im Interview mit dem «Spiegel» erzählt. Auf die Frage, was aus ihr geworden wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, antwortete die 65-Jährige: «Ich hätte immerhin schon meinen Traum verwirklichen können.»

In der DDR seien Frauen nämlich mit 60 Jahren in Rente gegangen. Anschliessend seien die Rentnerinnen dann in den Genuss der Reisefreiheit gekommen. «Ich hätte mir also schon vor fünf Jahren meinen Reisepass abgeholt und wäre nach Amerika gereist», präzisierte Merkel ihren grossen Wunsch.

Zuvor hätte sie sicher auch die Bundesrepublik angesehen, ihre erste grössere Reise habe sie aber in jedem Fall in die USA machen wollen: «Wegen der Grösse, der Vielfalt, der Kultur. Die Rocky Mountains sehen, mit dem Auto herumfahren und Bruce Springsteen hören – das war mein Traum.» Als «Freund kleinerer Autos» wäre sie sicher nicht in einem amerikanischen Strassenkreuzer gereist, «was Besseres als ein Trabant hätte es» aber «schon sein sollen», so Merkel.



«Glücksmoment in der deutschen Geschichte»

Die Tatsache, dass man nicht nach Amerika habe reisen können, sondern nur nach Ungarn und Bulgarien, habe den Alltag in der DDR aber nicht bestimmt. Noch heute würden viele Westdeutsche indes nicht verstehen, «dass es auch in einer Diktatur gelungenes Leben geben konnte.» Dass man auch in der DDR mit Freunden und Familie Geburtstage und Weihnachten gefeiert oder Traurigkeit geteilt habe. Weil diese Seite des persönlichen Lebens in der DDR von vielen Westdeutschen nicht wahrgenommen werde, würden manche Ostdeutsche heute mit einer Romantisierung reagieren, «nach dem Motto: Unser Leben in der DDR kann uns niemand nehmen.»



Die deutsche Einheit sei von Ost und West gemeinsam gestaltet worden, findet die Bundeskanzlerin. Die friedliche Revolution und der 9. November 1989 seien aber «das Werk der DDR-Bürger» gewesen. Für sie selbst markiere das Datum nach wie vor einen «Glücksmoment in der deutschen Geschichte». Bis zu diesem Zeitpunkt hätten etliche DDR-Bürger von Freiheit geträumt, dann hätten sie auch plötzlich öffentlich darüber sprechen können.

Merkel: Meinungsfreiheit nicht in Gefahr

«Wir konnten unsere Stimme erheben. Und auch heute kann jeder seine Stimme erheben», sagte Merkel und erteilte damit jenen eine Abfuhr, die die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr sehen. Es stimme nicht, dass der Meinungsfreiheit von einem sogenannten Mainstream Grenzen gesetzt werde, verdeutlichte die Kanzlerin. In der Demokratie müsse man damit rechnen, «Gegenwind und gepfefferte Gegenargumente zu bekommen». Sie wolle jeden dazu ermuntern, «seine oder ihre Meinung zu sagen». Allerdings müsse man dann Nachfragen auch aushalten und «gegebenenfalls sogar einen sogenannten Shitstorm».



Als «wirkliches Defizit» des wiedervereinten Deutschlands bezeichnete Merkel die Tatsache, dass es auch heute nur sehr wenige Ostdeutsche in die Spitzenpositionen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schafften: «Man muss halt schon klar und deutlich und manchmal ein bisschen laut sein, um Karriere zu machen – da kann ich uns Ostdeutsche nur ermuntern.»

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