Aufräumen nach Explosion Beiruter Hafen ist mehrere Meter tief mit Chemikalien vergiftet

dpa/tsha

18.1.2021 - 18:00

Grosse Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat lösten im August die Explosionskatastrophe im Hafen Beiruts aus. Noch immer lagern dort Chemikalien – mit grossen Gefahren für Menschen und Umwelt.

Mit Chemikalien kennt sich Michael Wentler aus. Wenn es hochgiftige Stoffe zu bergen gibt, dann kümmert sich der Diplom-Ingenieur für Umwelt- und Entsorgungstechnik mit seiner Firma Höppner aus dem deutschen Winsen darum. So wie derzeit im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut. Doch was Wentler hier vorgefunden hat, war für den Fachmann eine «furchtbare Situation», wie er sie bei der Lagerung von Gefahrgut noch nie erlebt hat.

Wentler watet an diesem Tag in dicken Stiefeln über matschige Erde, die rotbraun und schwarz gefärbt ist. «Es sieht aus, als hätte es hier gebrannt», erzählt er. «Aber das kommt von der Säure und den über viele Jahre hier austretenden verschiedenen Chemikalien.»



Sein Unternehmen birgt und entsorgt gemeinsam mit der norddeutschen Firma Combi Lift 52 Container mit Gefahrgut, insgesamt mehr als 1000 Tonnen, die im Beiruter Hafen lagern. Grosse Teile davon sind hochgiftige, zersetzende und leicht entzündbare Stoffe, die schon seit zehn bis 20 Jahren hier liegen, ohne dass jemals besondere Schutzmassnahmen ergriffen worden wären. Die Container waren grosser Hitze genauso ausgesetzt wie heftigen Regenfällen. Dann kam es im Hafen im vergangenen August zur verheerenden Explosionskatastrophe.

Woher die Stoffe stammen, ist unbekannt

Zum Teil hatten die Chemikalien schon Kanister und Container zerfressen und waren ausgelaufen. Als Wentler am Anfang zwei Kanister mit Salzsäure hochhub, fielen diese auseinander. Er selbst stand beim Entladen des Containers knietief in der ätzenden Chemikalie.

Woher die Stoffe im Einzelnen stammen und warum sich hier niemand darum gekümmert hat, ist unklar. Darauf gebe es keine klare Antwort, da dieses schon vor vielen Jahren passiert sei, sagt der amtierende libanesische Minister für öffentliche Arbeiten, Michel Nadschar. Eine Erklärung sei, dass manchmal das Ladungsverzeichnis eines Schiffes nicht dem tatsächlich importieren Material entspreche.

Wentlers Firma erhielt den Auftrag nach der Explosionskatastrophe, bei der mehr als 190 Menschen starben. Die Detonation war so heftig, dass sie grosse Teile des Hafens und der umliegenden Wohngebiete völlig zerstörte. Noch immer stapeln sich im Hafen die Trümmer.

Schleppende Ermittlungen

Ausgelöst worden sein soll die Explosion durch grosse Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die ebenfalls über Jahre ungesichert im Hafen gelagert worden waren. Die libanesischen Ermittlungen in diesem Fall kommen seit Monaten nicht voran. Noch immer ist völlig unklar, wie genau es zur Katastrophe kam. Viele Libanesen sehen darin ein eklatantes Beispiel für das Versagen ihres Staates, der fest im Griff von Klientelwirtschaft und Korruption ist.



Wentler glaubt, auch die jetzt entsorgten Stoffe hätten bei unglücklichen Umständen eine Detonation auslösen können, etwa wenn Stoffe unbeabsichtigt gemischt worden wären. Die Umweltschäden sind bereits beträchtlich. Ein Beispiel: Viele der in den Containern gelagerten Behälter mit 1000 Litern Salzsäure seien über die Jahre ausgelaufen und in den Boden versickert, sagt Wentler. Die gesamte Erde dieses Hafenbereichs sei massiv kontaminiert. «Sie müsste etwa drei bis vier Meter tief abgetragen werden», erklärt der Fachmann.

Chemikalien im Mittelmer

An anderer Stelle floss Salzsäure über eine unbestimmte Zeit von einem höher gelagerten Container nach unten und riss einen anderen auf, in dem russischer Wodka transportiert wurde. Hunderte Flaschen liegen noch herum, Marke Stolichnaya, abgefüllt im Jahr 2010.

Auch die Gefahr für Menschen war hoch. Neben Salzsäure fanden Wentler und sein Team Flusssäure und Methylbromid, beides toxisch. «Flusssäure ist ein starkes Kontaktgift und durchdringt schnell die Haut», erklärt Wentler. Schon durch kleine Mengen können Verätzungen entstehen. Wenn er Feierabend macht, brennen ihm immer wieder die Augen. Regelmässig ständen über dem Gebiet auch «Nebel von Säure».



Bis Ende dieses Monats will Wentlers Firma die Arbeiten abschliessen. Die Abfälle und Gefahrgüter werden dann nach Deutschland verschifft und entsorgt. Mit hoher Gewissheit seien die über Jahre ausgelaufenen Chemikalien aber schon längst ins Mittelmeer gelangt, sagt Wentler. Mit Sorge beobachtet er die Angler, die unweit vom Hafen ihr Jagdglück versuchen. Er selbst, sagt er, esse in Beirut keinen Fisch.

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