US-WahljahrWarum Babynahrung für Joe Biden zum grossen Problem werden könnte
Von Paul J. Weber, AP
16.5.2022 - 23:55
In den USA ist Anfangsnahrung für Babys zu einer Mangelware geworden. Die oppositionellen Republikaner schlachten das für den Wahlkampf aus. Das schadet auch US-Präsident Joe Biden, der aber ein Versprechen abgab.
DPA, Von Paul J. Weber, AP
16.05.2022, 23:55
17.05.2022, 10:04
dpa/twei/dor
Hohe Inflation, teures Benzin, Gewaltkriminalität – vor den Zwischenwahlen in den USA finden die Republikaner so manche Missstände, die sie den regierenden Demokraten und Präsidenten Joe Biden ankreiden. Jetzt haben sie einen weiteren Punkt auf die Liste gesetzt: fehlendes Milchpulver für Babys.
«Dies ist doch kein Dritte-Welt-Land», kritisiert Elise Stefanik aus New York, die für die Republikaner im Repräsentantenhaus sitzt. «So etwas sollte in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht vorkommen.» Derzeit stehen Eltern auf der Suche nach dem Muttermilchersatz vor knapp bestückten, teils vor leeren Regalen, weil die Lieferkette ruckelt und einer der wenigen grossen Anbieter kürzlich Produkte zurückgerufen hat.
Im Wahljahr scheint das ein gefundenes Fressen für Vorwürfe der Republikaner, die Biden-Regierung sei unfähig, aktuelle Probleme schnell anzugehen. Tatsächlich muss sich Joe Biden in manchen Punkten eine zögerliche Reaktion anlasten lassen, etwa mit Blick auf die steigende Inflation.
US-Präsident Biden verspricht Besserung
Jetzt will das Weisse Haus einen solchen Fehler offenbar nicht noch einmal machen und geht die Milchpulver-Sache offensiv an. Biden betonte am Freitag, es gebe «nichts Dringlicheres, an dem wir arbeiten», als der Knappheit zu begegnen. Auf die Frage, ob die Regierung schneller hätte reagieren können, sagte er: «Wenn wir besser hätten Gedanken lesen können, hätten wir das wohl gekonnt. Aber wir haben schnellstens gehandelt, als das Problem offensichtlich wurde.»
Das Weisse Haus kündigte weiter an, dass Abbott, der grösste Hersteller von Säuglingsmilchnahrung in den USA, sich auf Preisnachlässe bis zum August eingelassen hat im Rahmen des WIC-Programms, das die Gesundheit von Frauen und kleinen Kindern sichern soll.
Einige Republikaner gehen indes so weit, dass sie die Knappheit bei der Anfangsnahrung an den Streitpunkt Migration knüpfen. Schon längst muss sich Biden von republikanischer Seite vorwerfen lassen, er lasse zu viele Migranten ins Land. Jetzt schlachten manche auch dieses Thema im Milchpulverfall aus.
FDA: Mehr Pulver importieren
Wegen der dramatischen Engpässe will die Regierung jetzt mehr Importe dieser Produkte zulassen. Die US-Arzneimittelbehörde FDA kündigte am Montag (Ortszeit) an, geltende Regeln für die Einfuhr zu diesem Zweck flexibler zu gestalten. FDA-Chef Robert Califf sagte: «Wir hoffen, dass dieser Aufruf an den Weltmarkt erhört wird und dass internationale Unternehmen die Gelegenheit nutzen, um die Versorgung mit Produkten zu verbessern, die für viele Kleinkinder die einzige Nahrungsquelle darstellen.»
Laut FDA werden normalerweise 98 Prozent der verbrauchten Säuglingsnahrung in den USA selbst hergestellt. Importe stammten bisher hauptsächlich von Handelspartnern in Mexiko, Irland und den Niederlanden, hiess es.
Demokraten wegen Milchpulver-Knappheit unter Druck
Am Donnerstag teilte die Abgeordnete Kat Cammack aus Florida ein Bild von Regalen aus einer Einrichtung von Grenzschützern in Texas mit vollen Boxen von Milchpulver. Ein Grenzbeamter habe ihr das geschickt, erklärte Cammack. Eine Reihe konservativer Internetnutzer und Medien sprangen auf das Posting auf, manche behaupteten dann, Biden lasse «Tausende» Paletten Babynahrung an die Grenze schaffen, während Eltern weiter nördlich Probleme hätten, Milchpulver zu finden.
Die Pressesprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, verwies bei einem ihrer letzten Auftritte vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt vergangene Woche auf eine rechtliche Verpflichtung der Regierung. Sie müsse für angemessene Versorgung der Flüchtlinge und Migranten sorgen, die an der Grenze festgenommen werden.
Dennoch lasse sich das Thema für den Wahlkampf gut ausnutzen, befinden Experten. «Es ist wieder eines dieser von Zeit zu Zeit auftauchenden Verbraucherthemen, die für die Leute gut verständlich sind», sagt der republikanische Strategieberater Matt Mackowiak. Die Demokraten müssten nun eine Lösung präsentieren. «Und sie müssen es schnell tun», betont er.
Knappheit an Milchpulver birgt «Gefahr für die Gesundheit»
In Washington mühen sich die Abgeordneten unterdessen um Klärung des Problems und schnelle Abhilfe. Informationen von der Lebensmittelbehörde und den Milchpulverherstellern werden angefordert, Untersuchungen eingeleitet. Die Knappheit an Milchpulver stelle «eine Gefahr für die Gesundheit und wirtschaftliche Sicherheit von Kleinkindern und Familien» dar, heisst es in einem Brief eines Abgeordnetenausschusses an den Präsidenten des Konzernbereichs Abbott Nutrition, Chris Calamari. Darin wird das Unternehmen aufgefordert, alle Dokumente zur Schliessung einer Produktionsanlage in Michigan zur Verfügung zu stellen.
Hintergrund der Engpässe ist der Ausfall einer Abbott-Fabrik im US-Bundesstaat Michigan. Der Produzent hatte mehrere Produktlinien zurückgerufen, nachdem womöglich wegen bakterieller Verunreinigungen vier Säuglinge erkrankt und zwei gestorben waren. Die Produktion in dem Werk in Michigan wurde vorerst komplett gestoppt. Die FDA einigte sich nach eigenen Angaben mit dem Hersteller nun auf diverse Vorkehrungen für eine Wiedereröffnung der Fabrik, wie die Behörde weiter mitteilte. Bis die Produktion dort aber wieder anlaufe und Säuglingsmilchnahrung in den Handel ausgeliefert werden könne, werde es mehrere Wochen dauern, teilte das Unternehmen mit.
Weil Abbott eines von nur einer Handvoll Unternehmen ist, die für den Löwenanteil des Milchpulvers auf dem US-Markt sorgen, fällt der Rückruf enorm ins Gewicht. Für die Demokraten ist das Anlass zu betonen, dass der Milchpulver-Mangel ein klarer Beleg für die Gefahren des Systems ist – wenn wenige grosse Unternehmen einen ganzen Markt kontrollieren. Das den Wählern zu erklären, bleibt aber die grosse Herausforderung.
Die Lieferkettenprobleme bei Milchpulver ebenso wie bei Mikrochips, Benzin und anderen Produkten hätten komplexe Gründe, erklärt der demokratische Senator Mark Kelly aus Arizona, der in diesem Jahr um seine Wiederwahl bangen muss. «Wir im Kongress müssen das angehen.» Die Engpässe bei den Lieferketten müssten aus dem Weg geräumt werden. «Aber nicht wegen einer Wahl», betont er, «sondern weil es sich auf das Leben der Menschen auswirkt.»