Neuer britischer Premier Boris Johnson preist seine Wahl als «entscheidenden Moment»

SDA/dpa/uri

23.7.2019 - 13:13

Der nächste britische Premierminister heisst Boris Johnson. Der lautstarke Brexit-Wortführer hat einen harten Kurs in Sachen EU-Austritt versprochen, wenn nötig auch ohne Deal. Die Opposition fordert bereits Neuwahlen. 

Der ehemalige britische Aussenminister Boris Johnson hat das Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May für sich entschieden. Er ist damit Chef der Konservativen Partei und soll am Mittwoch von Königin Elizabeth II. zum Premierminister ernannt werden..

Johnson setzte sich bei der innerparteilichen Wahl mit 92'153 Stimmen gegen seinen Rivalen Jeremy Hunt durch, der 46'656 Stimmen erhielt. Die etwa 160'000 Parteimitglieder – das sind nach Angaben der Zeitung «Independent» 0,34 Prozent aller Wahlberechtigten – hatten mehrere Wochen Zeit, um sich zwischen Johnson und Hunt zu entscheiden.

Kurz nach Bekanntwerden des Resultates am Dienstagmittag bezeichnete Johnson seine Wahl als «entscheidenden Moment» in der Geschichte. Dies sei eine «ausserordentliche Ehre und ein Privileg». Zugleich räumte er ein, dass seine Wahl zum Tory- und Regierungschef nicht überall willkommen geheissen werde.



Johnson versprach, das Chaos um den EU-Austritt Grossbritanniens zu beenden und die Spaltung im Land zu überwinden. Die Ziele seien nun, den Brexit zu vollziehen, das Land zu vereinen und Oppositionschef Jeremy Corbyn zu besiegen, sagte der neue Chef der britischen Konservativen. Er wolle den Wunsch nach Freundschaft mit Europa und die Sehnsucht nach demokratischer Selbstbestimmung vereinen.

Corbyn fordert Neuwahlen

Zumindest bei Oppositionschef Corbyn stiess der Wunsch auf Einigkeit auf taube Ohren: Der Chef der Labour-Partei fordert bereits eine Neuwahl. Johnson sei von weniger als 100'000 Parteimitgliedern der Konservativen unterstützt worden und habe nicht das Land hinter sich gebracht, schrieb der Labour-Politiker auf Twitter.

Ein EU-Austritt ohne Abkommen, den Johnson nicht ausschliesst, bringe Jobverluste und steigende Preise. «Die Bevölkerung unseres Landes sollte in einer Parlamentswahl entscheiden, wer Premierminister wird», forderte er.

Er will Abkommen mit EU neu verhandeln

Johnson will das Abkommen über den EU-Austritt seines Landes mit Brüssel neu verhandeln. May war mit dem Deal im Parlament drei Mal gescheitert. Die Europäische Union lehnt aber jegliche Änderung an dem Abkommen ab. Johnson will daher am 31. Oktober notfalls ohne Austrittsvertrag ausscheiden. Das dürfte erhebliche negative Folgen für die Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche haben. 

Der Brexit-Hardliner wird wahrscheinlich viele Regierungsposten neu besetzen. Zeitungen spekulierten etwa über ein Comeback der früheren Brexit-Minister Dominic Raab und David Davis.

Am vergangenen Wochenende hatten bereits Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke angekündigt, von ihren Ämtern zurückzutreten, sollte Johnson gewählt werden. Es wird mit Rücktritten weiterer EU-freundlicher Minister gerechnet.



Johnson hat bereits angekündigt, die vereinbarte Schlussrechnung für den EU-Ausstieg in Höhe von 39 Milliarden Pfund (rund 47 Milliarden Franken) vorerst zurückzuhalten. Eine deutliche Senkung der Einkommenssteuer für gut verdienende Briten stellte er ebenfalls in Aussicht.

Als Aussenminister nicht in guter Erinnerung

Viele Tory-Abgeordnete trauen Johnson zu, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, wieder zurückzugewinnen. Der einst auch unter liberalen Wählern populäre Ex-Bürgermeister von London ist für seinen Wortwitz, aber auch für seine Tollpatschigkeit und teilweise Ignoranz bekannt.

Seine Zeit als Aussenminister ist in keiner guten Erinnerung geblieben. Wohl deshalb erwähnte er sie während des Wahlkampfs kaum. Johnson, der dafür bekannt ist, über die eigenen Füsse zu stolpern, hielt sich im gesamten Auswahlverfahren stark zurück.



Sein Erscheinungsbild hatte sich in den vergangenen Wochen auffallend geändert. Statt verwuschelter, blonder Haarmähne liess Johnson sich einen richtigen Haarschnitt verpassen. Ausserdem nahm er deutlich ab. Johnson lebt seit Monaten von seiner Frau getrennt und ist mit einer über 20 Jahre jüngeren Medienexpertin liiert.

Johnson gilt als pragmatisch

Johnson war der Frontmann der konservativen Brexit-Befürworter im Wahlkampf vor dem Referendum vor drei Jahren. Auch damals provozierte er: So verglich er die Ambitionen der EU mit dem Grossmachtstreben Hitlers und Napoleons. Den Briten versprach er, im Falle eines Brexits 350 Millionen Pfund (rund 390 Millionen Euro) an EU-Beiträgen pro Woche in das Gesundheitssystem zu stecken. Er verschwieg jedoch, dass London auch viel Geld von der EU bekommt.

Trotzdem gilt Johnson als pragmatisch, wenn es für ihn von Vorteil ist. Das dürfte ihm auch die Unterstützung einiger moderater Abgeordneter eingebracht haben. Fraglich ist, ob er all seine vollmundigen Versprechungen zum Brexit einhalten kann.



Am Mittwoch gibt May ihr Amt ab. Sie wird sich mittags ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten im Unterhaus stellen. Anschliessend hält sie vor dem Regierungssitz Downing Street eine Abschiedsrede und reicht dann bei der 93-jährigen Queen im Buckingham-Palast ihren Rücktritt ein. Die Königin wird direkt danach Johnson zum neuen Premier ernennen und ihn mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch von ihm wird dann eine Rede vor seinem Amtssitz erwartet.

Ablehnung des «Backstop»

Die Briten hatten im Juni 2016 nur mit knapper Mehrheit für eine Loslösung von der EU gestimmt. Das Parlament ist seitdem heillos zerstritten. Hinzu kam, dass May nach einer verpatzten Neuwahl im Sommer 2017 eine Minderheitsregierung anführte, die die Unterstützung der nordirischen Partei DUP benötigte.

Grösster Streitpunkt ist der Backstop – eine im Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Die Regelung sieht vor, dass Grossbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner befürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die Staatengemeinschaft fesseln und eine eigenständige Handelspolitik Grossbritanniens unterbinden. Für Johnson ist das Problem «fundamental» – er lehnt den Backstop rundweg ab.

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