Politik Brisantes Völkermord-Verfahren: Israel vor dem UN-Gericht

SDA

26.1.2024 - 06:05

ARCHIV - Das Logo des Internationalen Gerichtshofs (l) und der Vereinten Nationen. Foto: Peter Dejong/AP/dpa
ARCHIV - Das Logo des Internationalen Gerichtshofs (l) und der Vereinten Nationen. Foto: Peter Dejong/AP/dpa
Keystone

Israel wird wegen der Angriffe im Gazastreifen des Völkermordes vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag beschuldigt. Südafrika hatte das Land Ende Dezember verklagt. Nach den Anhörungen wird es am Freitag eine Vorentscheidung geben. Worum geht es? Und was sind mögliche Folgen? Fragen und Antworten zu der hochbrisanten Klage:

Keystone-SDA

Was ist der Internationale Gerichtshof?

Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Dieses Weltgericht ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der sich ebenfalls in Den Haag befindet. Dieser befasst sich mit individuellen Anklagen, während der UN-Gerichtshof über Konflikte zwischen Staaten entscheiden soll. Sowohl Israel als auch Südafrika durften jeweils einen Richter zusätzlich zum permanenten Kollegium von 15 Richtern entsenden. Südafrika vertritt Dikgang Ernest Moseneke (76), ein ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof des Landes. Israel schickte ebenfalls einen früheren Richter am Obersten Gerichtshof, Aharon Barak (87), einen Überlebenden des Holocaust.

Was wirft Südafrika Israel vor?

In der 84 Seiten langen Klageschrift beschreibt Südafrika die Gewalt Israels gegen Palästinenser im Gazastreifen als Taten mit dem Charakter eines Völkermords. Israel töte Palästinenser, «füge ihnen schweren geistigen und körperlichen Schaden zu und schaffe Lebensumstände, die auf ihre physische Zerstörung zielen».

Südafrika nennt die hohe Zahl von Todesopfern, israelische Bombenangriffe, erzwungene Flucht, Angriffe auf Krankenhäuser und Geburtskliniken sowie die Blockade des Gebiets, die zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser geführt hat. Das Land zitiert UN-Experten, Zeugen und Hilfsorganisationen. Inzwischen ist die Opferzahl nach Angaben der Behörden, die von der islamistischen Hamas kontrolliert werden, auf mehr als 25 000 gestiegen. Zehntausende wurden demnach verletzt.

Auch werden Äusserungen israelischer Minister als Beleg für die Absicht des Völkermords angeführt. Südafrika spricht von «direkter und öffentlicher Anstiftung zum Völkermord». Zitiert werden Drohungen, Gaza unbewohnbar zu machen, sowie Forderungen von rechtsextremen Ministern, Palästinenser dauerhaft zu vertreiben. Unter dem Eindruck des Massakers vom 7. Oktober, bei dem Terroristen der islamistischen Hamas und anderer Gruppierungen in Israel mehr als 1200 Menschen getötet und rund 250 verschleppten, hatte Verteidigungsminister Joav Galant etwa von «menschlichen Tieren» gesprochen und erklärt: «Wir werden alles auslöschen.»

Was ist die Grundlage der Klage?

Südafrika beruft sich auf die UN-Völkermordkonvention. Beide Staaten haben diese Konvention unterzeichnet und sich damit nicht nur verpflichtet, keinen Völkermord zu begehen, sondern auch diesen zu verhindern und zu bestrafen. In der Konvention wird Völkermord definiert als eine Handlung, «die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören».

Israel ist durch diese Beschuldigung im Kern getroffen: Der Staat war schliesslich nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge des Völkermordes an den Juden durch die deutschen Nazis gegründet worden.

Was ist die Reaktion Israels?

Israel weist die Vorwürfe als haltlos zurück und beruft sich auf das Recht zur Selbstverteidigung nach den Angriffen vom 7. Oktober. «Israel ist im Krieg mit Hamas, aber nicht mit dem palästinensischen Volk», erklärten die Rechtsvertreter vor Gericht. Israel tue alles, um zivile Bürger zu schützen. Die hohe Zahl von zivilen Opfern gehe auf das Konto von Hamas: «Hamas hat systematisch und unrechtmässig seine militärische Infrastruktur eingebettet in Schulen, Moscheen, Krankenhäuser und andere kritische Stellen. Das ist eine geplante, abscheuliche Methode der Kriegführung.»

Worüber werden die Richter zunächst entscheiden?

An diesem Freitag geht es zunächst um einen Eilantrag Südafrikas. Das hatte acht konkrete Massnahmen gefordert, um die Rechte der Palästinenser zu schützen. Und dazu gehört auch, dass die Richter das sofortige Ende der militärischen Handlungen anordnen sollen.

In dieser Phase des Verfahrens werden die UN-Richter noch nicht feststellen, ob tatsächlich Völkermord verübt wurde. Sie werden zunächst prüfen, ob möglicherweise die Völkermord-Konvention verletzt wurde. Das ist eine niedrige Schwelle für eine Entscheidung. Aber auch dafür gilt, dass es Hinweise auf eine Absicht Israels geben muss, die Palästinenser auszulöschen.

Dann entscheiden die Richter über die geforderten Massnahmen. Sie könnten Israel auferlegen, die Gewalt sofort zu beenden, um weiteren Schaden zu verhindern. Aber die Richter können auch selbst eigene Massnahmen anordnen.

Was geschieht nach einer Entscheidung?

Jede Entscheidung des UN-Gerichts ist bindend. Die Richter haben zwar keine Machtmittel, um die Durchsetzung zu erzwingen. Doch der internationale Druck auf Israel würde sich erhöhen und eine negative Entscheidung könnte dem Ruf des Landes schaden.

Wann wird über die Hauptklage Völkermord entschieden?

Ein solches Verfahren kann sich über Jahre hinziehen. Ausserdem kann Israel zunächst auch die Zuständigkeit des Gerichts anfechten.

Warum klagt ausgerechnet Südafrika?

Jeder Unterzeichnerstaat der Völkermordkonvention kann eine solche Klage einreichen. Südafrika ist ein kräftiger Unterstützer der Rechte der Palästinenser. Das Land vergleicht seine Apartheid-Vergangenheit mit dem Umgang Israels mit den Palästinensern.