Regierungskrise Boris Johnson gerät ins Schleudern – und zwei Minister treten zurück

dpa

5.7.2022 - 19:25

Boris Johnson, Premierminister von Grossbritannien, ist erneut in einen Skandal verstrickt.
Boris Johnson, Premierminister von Grossbritannien, ist erneut in einen Skandal verstrickt.
Bild: Keystone/Pool Reuters/AP/John Sibley

Ein von Johnson geförderter Abgeordneter muss nach Belästigungsvorwürfen gehen. Sein Büro versucht, die Sache zu erklären – und wird von einem früheren Staatssekretär blossgestellt. Der Rücktritt zweier Minister setzt Johnson noch mehr unter Druck.

5.7.2022 - 19:25

Grossbritannien stürzt in eine Regierungskrise. Begleitet von scharfer Kritik an Premierminister Boris Johnson haben Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid ihre Ämter niedergelegt. Er habe das Vertrauen in den Regierungschef verloren, schrieb Javid in seinem am Dienstagabend veröffentlichten Rücktrittsschreiben.

Unter Johnsons Führung werde die Konservative Partei von der Öffentlichkeit weder als wertegeleitet angesehen noch diene sie dem nationalen Interesse. Auch nach dem parteiinternen Misstrauensvotum, das Johnson kürzlich knapp gewann, habe der Premier keinen Kurswandel eingeleitet. «Mir ist klar, dass sich diese Situation unter Ihrer Führung nicht ändern wird», schrieb Javid.

Finanzminister Sunak betonte, er sei immer loyal zu Johnson gewesen. «Aber die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass die Regierung richtig, kompetent und ernsthaft handelt.» Der Sender Sky News zitierte ein namentlich nicht genanntes Regierungsmitglied, dass Johnson nun kaum noch im Amt zu halten sei.

Wusste Boris Johnson seit 2019 Bescheid?

Der Druck auf den Premier hatte zuletzt wegen des Skandals um sexuelle Belästigung durch ein führendes Tory-Fraktionsmitglied wieder deutlich zugenommen. Der Premierminister entschuldigte sich am Abend und sagte, die Berufung von Chris Pincher zum sogenannten Vize-Whip sei ein Fehler gewesen. Er habe in dem Fall aber nicht gelogen, betonte Johnson in der BBC. Die Whips – auf Deutsch wörtlich Peitschen – sollen für Fraktionsdisziplin sorgen.

Zuvor hatte Johnsons Sprecher eingeräumt, dass der Premierminister bereits 2019 über Anschuldigungen gegen seinen konservativen Parteifreund Chris Pincher informiert worden sei. Bisher hiess es, Johnson seien keine konkreten Vorwürfe bewusst gewesen.

Sajid Javid (links) und Rishi Sunak (Mitte) stehen nicht länger hinter dem britischen Premierminister Boris Johnson.
Sajid Javid (links) und Rishi Sunak (Mitte) stehen nicht länger hinter dem britischen Premierminister Boris Johnson.
Bild: Toby Melville/PA Wire/dpa

Pincher hatte wichtige Posten in Partei und Regierung inne, bevor ihn Johnson im Februar zum stellvertretenden Fraktionsgeschäftsführer machte, der eine entscheidende Rolle beim Durchsetzen der Fraktionsdisziplin spielt. Pincher wird vorgeworfen, zwei Männer begrapscht zu haben. Vergangene Woche trat er zurück.

Zunächst erklärten Kabinettsmitglieder, Johnson sei sich der Vorwürfe nicht bewusst gewesen, als er Pincher im Februar auf den Fraktionsposten hievte. Am Montag räumte ein Sprecher dann ein, Johnson habe von Anschuldigungen gewusst, die jedoch entweder geklärt oder nicht bis zu einer formellen Beschwerde verfolgt worden seien.

Johnsons Büro eiert herum

Dem widersprach McDonald. Er schrieb, es habe ein formelle Beschwerde über Pincher gegeben, der im Ergebnis auch nicht entlastet worden sei. «Herr Johnson ist persönlich über die Einleitung und das Ergebnis der Untersuchung informiert worden», schrieb McDonald.

Stunden später änderte Johnsons Büro seine Darstellung ein weiteres Mal und gestand ein, Johnson sei tatsächlich persönlich informiert worden. Kabinetts-Staatssekretär Michael Ellis sagte im Unterhaus, der Premier habe sich vergangene Woche aber nicht gleich daran erinnern können.

Viele in der Partei sind frustriert, dass Regierungsmitglieder Aussagen Johnsons in der Öffentlichkeit vertreten mussten, die einen Tag später schon wieder geändert wurden. Der langjährige Johnson-Kritiker Roger Gale warf dem Regierungschef vor, Staatssekretäre ausgeschickt zu haben, um für ihn zu lügen. Damit habe er den Ruf der Partei ruiniert. «Das darf so nicht weitergehen», sagte der Abgeordnete.

Öffentlicher Auftritt von Jonson am Mittwoch geplant

Johnson hatte zudem gezögert, Pinchers Parteimitgliedschaft auszusetzen. Kritiker werfen dem Premier vor, er wolle verhindern, dass Pincher als Abgeordneter zurücktritt. Das würde zu einer Nachwahl für den Parlamentssitz führen, nachdem die Konservativen erst Mitte Juni zwei Nachwahlen krachend verloren hatten.

Für Mittwoch (16.00 Uhr MESZ) ist ein Auftritt Johnsons im Parlamentsausschuss geplant. Die traditionelle Befragung vor dem sogenannten Liaison Committee im Unterhaus ist einer der Höhepunkte des Jahres im britischen Parlament. Bei keiner anderen Gelegenheit hat der Regierungschef so wenig Möglichkeiten, unangenehmen Fragen auszuweichen. Das Ereignis wird daher auch als «grilling» bezeichnet.

dpa