Corona in Somalia Wo der Impfstoff als Letztes eintrifft

AP/toko

5.1.2021 - 00:00

Inlands-Flüchtlinge versammeln dich im Daynile-Lager in Mogadishu, Somalia. Während die reichen Länder mit dem Impfen begonnen haben, fürchten sich Experten vor einer unbemerkten Ausbreitung des Virus
Inlands-Flüchtlinge versammeln dich im Daynile-Lager in Mogadishu, Somalia. Während die reichen Länder mit dem Impfen begonnen haben, fürchten sich Experten vor einer unbemerkten Ausbreitung des Virus
Keystone/AP Photo/Farah Abdi Warsameh

Nach anfänglichen Schutzmassnahmen ist die Pandemie am Horn von Afrika inzwischen kaum noch ein Thema. Doch die Infektionszahlen steigen. Und ein Impfstoff ist hier noch lange nicht in Sicht.

Das Coronavirus hat Europa fest im Griff, in Somalia ist von einer Pandemie hingegen wenig zu spüren, vor allem weil viele Bewohner die Gefahr durch das Virus nicht ernstnehmen. Experten warnen vor unabsehbaren Folgen. «Unsere Bevölkerung nutzt definitiv keinerlei Schutzmassnahmen, weder Masken noch die Reduzierung von sozialen Kontakten», sagt der Corona-Krisenmanager der Regierung, Abdirisak Jusuf Hirabeh. Weder in der Hauptstadt Mogadischu noch andernorts im Land sei die Pandemie überhaupt Thema – und das, obwohl die Infektionszahlen anstiegen.

Das von drei Jahrzehnten Bürgerkrieg zerrissene Land am Horn von Afrika wird zu den letzten Staaten gehören, die Covid-19-Impfstoffe in grösseren Mengen erhalten werden. Da Teile von Somalia noch immer in der Hand der islamistischen Terrormiliz Al-Schabaab sind, ist das Risiko einer Virusverbreitung in entlegenen Gebieten hoch. Die Krankenhäuser und die medizinische Ausrüstung im Land reichten nicht aus, um Corona zu bekämpfen, sagt Hirabeh, der auch Direktor der Martini-Klinik in Mogadischu ist, des grössten Krankenhauses, das Covid-19-Patienten behandelt.

Bislang wurden in dem Land mit mehr als 15 Millionen Einwohnern erst weniger als 27'000 Corona-Tests durchgeführt. Das ist eine der niedrigsten Testraten weltweit. Weniger als 4800 Infektionsfälle wurden bestätigt, darunter mindestens 130 Tote. Manche befürchten, dass sich das Virus weitgehend unbemerkt in der Bevölkerung ausbreiten könnte.

Für den 45-jährigen Hassan Mohamed Yusuf, der in den Strassen von Mogadischu um Almosen bittet, ist die Angst zur Gewissheit geworden. «Am Anfang haben wir dieses Virus nur als andere Form der Grippe angesehen», sagt er. Dann starben drei seiner kleinen Kinder, nachdem sie an Husten und hohem Fieber erkrankt waren. Als Bewohner eines Vertriebenenlagers hatten sie keinen Zugang zu Corona-Tests oder ausreichender medizinischer Versorgung.

Eine Frau baut eine notdürftige Unterkunft im Daynile-Lager in Mogadischu. Das Coronavirus ist auf der Liste der Sorgen weit unten.
Eine Frau baut eine notdürftige Unterkunft im Daynile-Lager in Mogadischu. Das Coronavirus ist auf der Liste der Sorgen weit unten.
Keystone/AP Photo/Farah Abdi Warsameh

30'000 Zuschauer ohne Masken

Zu Beginn der Pandemie hatte die somalische Regierung zunächst versucht, die Verbreitung des Virus mit einigen Massnahmen einzudämmen, darunter die Schliessung aller Schulen und Streichung sämtlicher In- und Auslandsflüge. Über Handy-Nachrichten informierten die Behörden die Menschen über das Virus.

Aber von Abstandsregeln ist auf Strassen, Märkten und in Restaurants schon lange nichts mehr zu spüren. Am Donnerstag versammelten sich in einem Stadion in Mogadischu etwa 30'000 Zuschauer zu einem regionalen Fussballspiel – ohne Masken oder andere Anti-Corona-Massnahmen.

Moscheen in den muslimischen Land wurden zu keinem Zeitpunkt mit Auflagen belegt, aus Angst vor den Reaktionen. «Unsere Religion hat uns vor Hunderten von Jahren gelehrt, dass wir unsere Hände, Gesichter und sogar Beine fünf Mal am Tag waschen sollen und dass unsere Frauen Gesichtsschleier tragen sollten, weil sie oft schwächer sind», erklärt der Imam Abdulkadir Scheich Mohamud aus Mogadischu. «Das ist die gesamte Prävention für die Krankheit, falls sie wirklich existiert.»

Der Ladenbesitzer Ahmed Abdulle Ali aus der Hauptstadt sagt: «Ich habe es Allah überlassen, uns zu beschützen.» Die zunehmende Zahl hustender Menschen während der Gebete führt er auf die Jahreszeit zurück.

Der Arzt Abdurahman Abdullahi Abdi Bilaal, der in einer Klinik in Mogadischu arbeitet, sieht die Bevölkerung durch ihr junges Alter vergleichsweise gut geschützt: Mehr als 80 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner sind unter 30. «Das Virus ist hier, keine Frage, aber die Resilienz der Bevölkerung ist auf das Alter zurückzuführen», sagt er. Da in Somalia Leichen meist nicht obduziert würden, sei allerdings das tatsächliche Ausmass der Pandemie unklar.

«Wenig Vertrauen in die Impfstoffe»

Die nächste Herausforderung für die Regierung wird nicht nur darin bestehen, Covid-19-Vakzine zu beschaffen, sondern auch darin, die Menschen von der Impfung zu überzeugen. Das werde Zeit brauchen, «so wie es auch gedauert hat, unsere Leute von der Polio- oder Masernimpfung zu überzeugen», sagt Bilaal besorgt.

Der Corona-Beauftragte Hirabeh bestätigt, dass «unsere Bevölkerung wenig Vertrauen in die Impfstoffe hat». Viele Somalier hätten eine grosse Abneigung gegen Injektionsnadeln. Er rief zu Aufklärungskampagnen auf, um dies zu ändern.

Auch die Logistik eines Impfprogramms ist fraglich. Laut Hirabeh rechnet Somalia im ersten Quartal 2021 mit den ersten Impfstoffen. Er sorgt sich allerdings, dass das Land keine Möglichkeit hat, mit einem Serum wie dem von Pfizer umzugehen, das bei einer Temperatur von minus 70 Grad Celsius aufbewahrt werden muss. Für ein Dritte-Welt-Land wie Somalia wäre ein Impfstoff mit einer Kühltemperatur von minus zehn oder minus 20 Grad angemessen, sagt er.

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