Vollgas-Programm Amerika, der Impfchampion

dpa/red

25.4.2021

Yeah! Stahlarbeiter Demetrius Buttelman freut sich in einem Impfzentrum in Elmont, New York, sichtlich über die erhaltene Corona-Impfung. 
Yeah! Stahlarbeiter Demetrius Buttelman freut sich in einem Impfzentrum in Elmont, New York, sichtlich über die erhaltene Corona-Impfung. 
Bild: Keystone/EPA

Die Amerikaner halten nicht viel von Bürokratie. Das zahlt sich in der Corona-Krise aus: In den ersten 100 Amtstagen von Präsident Biden wurden schon 200 Millionen Impfdosen gespritzt. Wieso geht das so schnell?

Die Nacht ist längst über New York hereingebrochen, aber zum Eingang des Stadions Citi Field strömen weiterhin Menschen. Vor der Corona-Pandemie konnten hier 40'000 Zuschauer die Baseball-Spiele der New York Mets sehen, seit Februar wird hier stattdessen geimpft. Und zwar rund um die Uhr. Im Stadion stehen einige Menschen Schlange, doch die Abfertigung geht schnell.

Bayro sitzt am Eingang und wartet. Der 49-Jährige ist schon geimpft, heute hat er seine Tochter zum Termin mitgebracht. Bayro schwärmt von der «unglaublich effizienten» Impfkampagne in den USA. Bei seiner eigenen Spritze sei alles ganz schnell gegangen: «Ich bin um 8:30 Uhr reingegangen, um 8:37 Uhr hatte ich meine Impfung.»

«Warum? Weil es New York ist»

Warum es nun, nach mehr als einer halben Million Corona-Toten, in den USA scheinbar so gut laufe? Bayro meint, die neue Regierung habe «Tempo gemacht». Er ist wie viele New Yorker kein Fan des Ex-Präsidenten Donald Trump. Bayro findet, dank der neuen Regierung von Präsident Joe Biden würden lokale Behörden mit Washington endlich Hand in Hand arbeiten.

Ein Beispiel dafür seien 24-Stunden-Impfzentren, wie in diesem Stadion. Sie seien wichtig. «Warum? Weil es New York ist. Wir sind die ganze Nacht wach. Wir arbeiten lange», sagt Bayro. «So leben wir hier. Wir leben schnell. Also müssen wir auch jetzt schnell sein.»

Im New Yorker Citi-Field-Stadion wird normalerweise Baseball gespielt – und Siege der Mets werden mit Feuerwerk gefeiert.
Im New Yorker Citi-Field-Stadion wird normalerweise Baseball gespielt – und Siege der Mets werden mit Feuerwerk gefeiert.
Bild: Keystone/AP

Ein Tempo, bei dem man aus Schweizer Sicht neidisch werden könnte: Hierzulande beginnen die Kantone erst damit, auch abends oder am Wochenende zu impfen. Vielerorts mangelt es nicht etwa am Personal oder dem Willen, sondern vielmehr am Impfstoff, wie eine Umfrage von «blue News» unter den Kantonen zeigte. 

Auch in den USA kamen die Impfungen zu Beginn nur schleppend voran, doch nach dem Machtwechsel im Weissen Haus nahm die Impfkampagne rasant an Fahrt auf. Biden drehte an vielen Stellschrauben. Er kaufte Hunderte Millionen Impfdosen verschiedener Hersteller, spannte die Apotheken im Land als Impfstationen ein, liess die Katastrophenschutzbehörde Massenimpfzentren errichten, rekrutierte in grosser Zahl Impfer.



Bidens erstes Ziel, innerhalb seiner ersten 100 Tage im Amt 100 Millionen Impfdosen zu verabreichen, wurde schon nach knapp 60 Tagen erreicht. Der Präsident verdoppelte das Ziel daraufhin auf 200 Millionen Impfdosen. Mittlerweile ist auch das geschafft, nach gut 90 Tagen im Amt. Biden verkündete den Meilenstein am Mittwoch, kurz vor Erreichen der 200-Millionen-Marke.

Im Schnitt bekamen in den USA zuletzt gut drei Millionen Menschen pro Tag eine Impfung, an manchen Tagen mehr als vier Millionen. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen hat bereits mindestens eine Impfdosis erhalten, bei den über 65-Jährigen sind es mehr als 80 Prozent.

Viele Schwächen – aber eine wesentliche Stärke

Die Pandemie hat zwar einige Schwächen der USA auf schmerzliche Weise offengelegt: etwa die Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems, die mangelnde soziale Absicherung vieler Amerikaner, Kinderarmut oder die systematische Benachteiligung von Schwarzen und Latinos. Beim Impfen aber entpuppt sich ein Wesenszug des Landes als besondere Stärke: unbürokratisch, pragmatisch und teils unkonventionell an manches heranzugehen, ganz ohne strikte Vorschriften und Regularien.

Die Biden-Regierung hat früh damit begonnen, Impfstoffe direkt an Apotheken im Land auszuliefern. Viele Apotheken in den USA sind Teil von Drogerien oder Supermärkten. Das heisst, Amerikaner können sich unweit von daheim – gleich neben Waschmittel oder Tiefkühlpizza – impfen lassen und davor oder danach noch einkaufen gehen.

Die Regierung hat dafür gesorgt, dass auch pensionierte Ärzte und Pfleger Impfungen spritzen können. In vielen Impfzentren im Land sind ausserdem Freiwillige für logistische Aufgaben im Einsatz – viele von ihnen haben im Gegenzug für ein paar Stunden Mitarbeit eine Impfung bekommen, früher als sie sonst dran gewesen wären.

Die Impfung kommt per Truck

Impftermine mitten in der Nacht gibt es nicht nur in New York, sondern auch an anderen Orten im Land. Mobile Impftrucks wiederum rollen durch ländliche Gebiete. Im Bundesstaat Maryland etwa klappert eine mobile Einheit unter anderem gezielt entlegene Geflügelbetriebe ab, um dort Arbeiter zu impfen, die andernfalls womöglich nicht den Weg zur nächsten Impfstelle antreten würden.

Bei der Vergabe der Impfdosen wurde in den USA von Anfang an die Impfberechtigung nicht streng geprüft, also ob jemand zu einer bevorzugten Gruppe gehört, mit Vorerkrankung oder Risikoberuf. Diverse Bundesstaaten öffneten ihre Impfungen nach und nach für alle, ohne jede Priorisierung nach Alter, Gesundheitszustand oder Beruf, und gewährten teils auch bewusst Menschen aus anderen Staaten eine Spritze. Auch das beschleunigte das Prozedere.

Umfrage
Wie macht sich Joe Biden als US-Präsident?

Seit Montag sind alle Amerikaner ab 16 Jahren berechtigt, einen Impftermin zu vereinbaren. Möglich ist das aber nur durch genügend Nachschub an Impfstoff.

Biden hat früh versprochen, bis Ende Mai genügend Impfstoff für alle rund 260 Millionen Erwachsenen in den USA zu haben. Insgesamt 600 Millionen Impfdosen sicherte sich die Regierung von Moderna und Biontech/Pfizer – Präparate, bei denen jeweils zwei Spritzen nötig sind. Dazu kommen 100 Millionen Dosen von Johnson & Johnson – jenem Impfstoff mit Einmalspritze.

Das Mittel von Johnson & Johnson wird in den USA derzeit wegen vereinzelter medizinischer Komplikationen zwar nicht gespritzt. Grosse Auswirkungen auf das Impfprogramm des Landes hat das aber nicht, weil genug Impfdosen der anderen Hersteller da sind.

Ein Fünftel traut den Impfungen nicht

Trotz ihrer Vorräte dürften die USA bei ihrer rasanten Impfkampagne allerdings bald an ihre Grenzen stossen: dann nämlich, wenn alle Impfwilligen eine Spritze bekommen haben und der Rest der Bevölkerung eine Impfung verweigert. Die Skepsis gegenüber den eilig entwickelten Präparaten ist gross in den USA. Gut 20 Prozent der Bevölkerung sagen einer aktuellen Umfrage zufolge, dass sie keine Impfung wollen.

Die Regierung müht sich, auch Zweifler zu einer Spritze zu bringen. Biden appellierte am Mittwoch an alle Arbeitgeber, Angestellte bezahlt fürs Impfen freizustellen und ihnen auch kein Gehalt zu streichen, wenn sie wegen Impfnebenwirkungen ausfallen. Kleineren Betrieben gewährt der Staat Hilfen, um impfbedingte Arbeitsausfälle aufzufangen.

Biden mahnte: «Kein arbeitender Amerikaner sollte einen einzigen Dollar seines Gehaltsschecks verlieren, weil er seine patriotische Pflicht erfüllt, geimpft zu werden.»