Drei Monate im Amt «Eine Runde Golf kann man Biden schon gönnen»

Von Gil Bieler

20.4.2021

US-Präsident Joe Biden verlässt den Golfplatz in Wilmington, Delaware. 
US-Präsident Joe Biden verlässt den Golfplatz in Wilmington, Delaware. 
Bild: AP Photo/Patrick Semansky

Vor drei Monaten ist Joe Biden ins Weisse Haus eingezogen. Zeit für eine erste Bilanz: USA-Expertin Claudia Franziska Brühwiler von der Uni St. Gallen über Bidens Vorbilder, seine Kritiker – und Trump. 

Von Gil Bieler

20.4.2021

Frau Brühwiler, am Wochenende hat Joe Biden seine erste Runde Golf seit Amtsantritt gespielt. Was meinen Sie, hat er sich das verdient?

(lacht) Also … man muss sehen: Es sind sehr besondere Umstände, unter denen er sein Amt angetreten hat. Viele Kommentatoren meinen, selten habe ein US-Präsident unter solchem Druck gestanden während seiner ersten 100 Tage. Es fallen auch immer wieder Vergleiche zu Franklin D. Roosevelt, der 1933 während der Grossen Depression ins Weisse Haus einzog. Bei Biden sieht man, dass er sich auf die grossen Brocken konzentriert und dort vorwärtsmachen will – und mittlerweile hat er einige seiner selbstgesetzten Ziele bereits übertroffen. Da kann man ihm eine Runde Golf durchaus gönnen.

Zur Person
Claudia Franziska Brühwiler, USA-Expertin der Universität St. Gallen.
zVg

Claudia Franziska Brühwiler ist Lehrbeauftragte für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen amerikanischer Konservatismus und amerikanische politische Kultur.

Mit «übertroffen» meinen Sie die Corona-Impfkampagne, oder?

Genau. Bei seiner ersten offiziellen Pressekonferenz im Amt konnte er mit einigem Stolz verkünden, dass das Ziel von 100 Millionen Impfdosen relativ schnell erreicht wurde. Für die ersten 100 Amtstage hat er dieses Ziel dann verdoppelt. In den USA werden pro Tag über drei Millionen Impfdosen verabreicht – wenn man den Vergleich mit Europa zieht, muss man da schon den Hut ziehen.

Sie haben die Stimulus-Pakete angesprochen: Eines über 1,9 Billionen Dollarzur Linderung der Corona-Folgen wurde bereits verabschiedet, ein 2-Billionen-Infrastrukturprogramm ist aufgegleist. Was sagt das über Bidens politischen Kurs aus?

Vergleiche drängen sich zu den Präsidentschaften von Roosevelt und von Lyndon B. Johnson auf. Sie waren die letzten, die grosse Infrastruktur- und Sozialreformen auf den Weg gebracht haben; Roosevelt mit dem New Deal, Johnson mit der Great Society – wobei Letzteres aufgrund des Vietnamkriegs nach einigen Jahren nicht mehr bezahlbar war. Auch bei der Administration Biden sieht man jetzt, dass diese zu Beginn auf Projekte von nationaler Bedeutung fokussiert. Der Wille zum Wiederaufbau ist gross, und Biden orientiert sich wohl an linksliberalen Vorbildern der US-Geschichte.

«Biden orientiert sich wohl an den linksliberalen Vorbildern der US-Geschichte»

Die Republikaner verteufeln normalerweise alles, was mit Staatsausbau oder Sozialhilfen zu tun hat. Trotzdem haben sie noch keinen Weg gefunden, um Biden etwas entgegenzuhalten, oder?

Beim 1,9-Billionen-Dollar-Stimulus zur Bekämpfung der Coronakrise hat Biden einen Schleichweg gefunden, um das Paket ohne Republikaner durch den Senat zu bringen. Wie er das beim noch grösseren Infrastrukturprojekt schaffen will, ist eine offene Frage. Aber es ist sicher so, dass diese Pakete viele progressive Ansätze beinhalten und aus sozialpolitischer Sicht ambitioniert sind. Zugleich ist das Konjunkturprogramm auf zehn Jahre angelegt – was davon am Ende wirklich übrig bleibt, das muss sich erst noch zeigen. Ich würde also noch nicht von einem Erfolgsprojekt sprechen.

Der republikanische Senator John Thune räumte ein, es sei schwierig, gegen Bidens Politik anzukommen: «Wer Geld ausgibt, macht sich natürlich beliebt», findet er. Ist es wirklich so einfach?

(lacht) Biden macht ja nichts anderes, als Wahlversprechen einzulösen – was letztlich jeder Präsident versucht. Jeder tritt an mit einem Wahlprogramm, das die Mehrheit überzeugen soll. Wenn man das Biden jetzt zum Vorwurf machen will, da beisst sich die Katze in den Schwanz.

Eines seiner grossen Versprechen war es ja auch, die gespaltene Nation wieder zu einen. Wie sieht da seine Bilanz soweit aus?

Das ist eine Herkulesaufgabe, die kein Mann allein bewältigen kann. Wir haben gerade erst im Rahmen des Gerichtsprozesses zum gewaltsamen Tod von George Floyd gesehen, wie die Emotionen hochkochen und in Gewalt umschlagen können. Ausserdem gab es jüngst mehrere Massenschiessereien, die das Problem mit Waffengewalt aufgezeigt haben. Solche gesellschaftlichen Kernprobleme zu lösen, wird nicht einfach sein. Das Recht, eine Waffe zu tragen, ist ja auch durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs gestützt. Wenn Biden, wie angekündigt, schärfere Waffengesetze durchsetzen will, dann wird er sicherlich mehr Widerstand erfahren.



Gegenwind droht ihm auch, wenn er Unternehmen und Reiche stärker besteuern will, um sein Infrastrukturprogramm zu finanzieren.

Natürlich, die tiefe Besteuerung von Unternehmen ist ja eine Doktrin der Republikaner. Nur wird es für sie je nach Verfahren schwierig, Gegenwehr zu leisten – schliesslich haben sie in keiner Parlamentskammer mehr eine Mehrheit.

Wird es auch schwierig, diese Steuerpolitik der eigenen Wählerbasis zu erklären?

Nicht unbedingt. Republikanische Wähler haben diese Art der Wirtschaftspolitik seit Jahrzehnten unterstützt. Es kommt auch darauf an, wie man diese begründet: Normal sprechen die Republikaner davon, ein günstiges Wirtschaftsklima schaffen zu wollen, was im Interesse aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei. Das überzeugt dann viele Amerikanerinnen, die oft wirtschaftsliberaler eingestellt sind als wir in Europa.

Wie steht es denn um Bidens Rückhalt in der Demokratischen Partei? Der linke Flügel war ja nicht gerade Feuer und Flamme für seine Kandidatur.

Bis jetzt gibt es da keine Brüche zu beobachten, denn aufgrund der Pandemie werden Grabenkämpfe derzeit hintangestellt. Zugleich muss man sehen, dass Biden vieles gemacht hat, was dem progressiven Flügel gefällt: Unter ihm treten die USA wieder der WHO und dem Pariser Klimaabkommen bei, zudem hat er ein Dekret von Donald Trump aufgehoben, wonach transsexuelle Menschen nicht mehr Militärdienst leisten durften. Und trotzdem: Wegen der Migrationspolitik, vor allem der Situation an der Südgrenze, wo viele Migrant*innen vor der Grenze warten, gab es schon offene Kritik aus der eigenen Partei, dass Biden zu wenig unternehme. Es herrscht also nicht nur eitel Sonnenschein.

Gerade beim Flüchtlingsthema überträgt Biden seiner Vizepräsidentin Kamala Harris die Verantwortung – wie bewerten Sie diesen Schritt?

Für Harris ist es gut, wenn sie ein wichtiges Dossier erhält, immerhin hat sie Ambitionen, die über diese Vizepräsidentschaft hinausgehen. Das bedingt dann eben auch, dass man sich profilieren kann. Biden will mit ihr eine ähnliche Zusammenarbeit etablieren, wie er sie seinerzeit als Vize mit Präsident Barack Obama hatte: Auch Biden hat damals wichtige Themen wie das Konjunkturprogramm übernommen. Daher kann man es nun auch als Vertrauensbeweis sehen, dass er Kamala Harris mit so einem wichtigen Thema betraut.

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Dennoch: Die Stolpergefahr für Harris ist gross, oder?

Es gab tatsächlich schon Unstimmigkeiten. Viele nahmen an, dass sich Harris unmittelbar mit dem befassen würde, was derzeit an der Grenze zu Mexiko geschieht. Aber bis heute ist sie noch nie vor Ort gereist. Stattdessen heisst es nun, ihre Aufgabe sei es, eine mittelfristige Strategie zu entwickeln. Das hat für Verwirrung gesorgt und ihr sicherlich nicht geholfen. Hier zeigt sich auch, dass die Administration in diesem Thema noch nicht so trittsicher ist.

Biden hat auch gesagt, dass er häufiger eine Brücke zu den Republikanern schlagen möchte. Mit Blick auf die Billionenpakete scheint es aber eher so, als ziehe er seine Linie durch.

Das progressive Lager der Demokraten hatte vor der Wahl sogar befürchtet, dass Biden zu konziliant, zu kompromissbereit auftreten würde – was sich nicht bewahrheitet hat. Was auffällt: Biden ist ein Pragmatiker. Es ist ihm zwar sicherlich ein Anliegen, den Dialog mit den Republikanern zu suchen, aber wenn er von deren Seite keine entsprechenden Signale erhält, dann gehen seine sachpolitischen Interessen vor. An seiner ersten Pressekonferenz im Amt hat er ja betont: Es gehe ihm darum, durchzusetzen, was machbar sei. Im Moment bedeutet das, dass der Brückenschlag warten muss.



Und mit Blick auf die internationale Politik: Lässt sich hier schon ein Kurs feststellen?

Da fiel zumindest bislang noch nicht so vieles auf. Er hat gemacht, was er angekündigt hatte: die USA zurück in die WHO und das Klimaabkommen geführt. Ausserdem hat er den Truppenabzug aus Afghanistan angekündigt, wobei dieses Ziel ja auch schon von Trump ausgegeben wurde. Und was nicht zu unterschätzen ist: Biden hat einen neuen Umgangston etabliert. Wir reden ja heute nicht mehr darüber, dass der US-Präsident Verbündete der USA brüskiert oder sogar beleidigt hätte. Aber die internationale Bühne muss angesichts der grossen Herausforderungen zu Hause warten.

«Ted Cruz vermisst doch Donald Trump erst recht nicht»

Jetzt fällt mir auf, wir haben kaum über Donald Trump gesprochen …

… das ist doch auch einmal schön, oder?

Zumindest ist es noch ungewohnt. In der Schweiz nimmt man Trump gar nicht mehr so richtig wahr. Hat er sich effektiv so zurückgezogen, oder habe ich da etwas übersehen?

Nun, einerseits gab es im Senat den Freispruch in seinem zweiten Impeachment-Verfahren. Und andererseits hatte er einen grossen Auftritt an der konservativen CPAC-Konferenz, wo er regelrecht umjubelt wurde. Da hat er auch angedeutet, dass man noch von ihm hören werde – bloss haben wir noch nicht erfahren, was das konkret heisst. Ich glaube, wenn wir in eineinhalb Jahren auf die Midterm Elections, die traditionellen Zwischenwahlen eines Teils des Parlaments, zugehen, wird sein Name wohl wieder öfter auftauchen. Spätestens dann.

Aber vermisst ihn überhaupt jemand in der Republikanischen Partei, ausser seiner loyalen Anhänger Ted Cruz oder Lindsey Graham?

Die vermissen ihn doch erst recht nicht, denn gerade Ted Cruz oder Josh Hawley haben eigene Interessen und Ambitionen für Grösseres. Und viele andere in der Partei haben sich nach dem Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar schon gefragt: Kann man sich diesen Präsidenten noch leisten? Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die Partei da positioniert: Wo sie sich von Trump abzugrenzen versucht und wo sie versuchen wird, seine Positionen – und damit seine Wählerinnen und Wähler – zu übernehmen.