Fragen und AntwortenDarum darf Syrien wieder in die Arabische Liga
Von Oliver Kohlmaier
19.5.2023
Brutales Vorgehen gegen das eigene Volk, blutiger Bürgerkrieg und ein zerstörtes Land. Dennoch darf Syriens Machthaber Assad wieder in der Arabischen Liga mitmischen. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Von Oliver Kohlmaier
19.05.2023, 13:12
19.05.2023, 14:15
Oliver Kohlmaier
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Syriens Machthaber Baschar al-Assad nimmt erstmals seit über zehn Jahren wieder an einem internationalen Gipfeltreffen teil.
Die Arabische Liga hatte Syriens Mitgliedschaft zuvor reaktiviert und ihn zum Gipfeltreffen nach Dschidda eingeladen.
Assad werden schwere Verbrechen gegen das eigene Volk vorgeworfen, unter anderem auch der Einsatz von Giftgas.
Die Wiederaufnahme hat wohl pragmatische Gründe. Vor allem im Westen bleibt Assads Regime unterdessen isoliert.
Die internationale Aufmerksamkeit gehört derzeit vor allem dem G-7-Gipfel in Hiroshima. Bei einem anderen Treffen im saudi-arabischen Dschidda jedoch geschieht derzeit historisches.
Nicht nur Syriens Machthaber Baschar al-Assad ist erstmals seit einem Jahrzehnt wieder auf grosser internationaler Bühne. Dies, nachdem die Arabische Liga die Mitgliedschaft seines Landes reaktiviert und ihn zum Gipfel nach Dschidda eingeladen hatte. Und das, obwohl nach wie vor Millionen Menschen unter Assads brutalem Regime leiden.
Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskjy ist am Freitag überraschend nach Dschidda gereist.
Zeit, um einen Blick auf die Arabische Liga zu werfen. Was ist das Gremium überhaupt? Was bedeutet Selenskjys Überraschungsbesuch und was bezweckt der Auftritt für die Region und für die vielen Menschen, die unter Schreckensherrschaft des syrischen Machthabers Assad leiden? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was ist die Arabische Liga?
Die Arabische Liga wurde kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs gegründet und hat ihren Sitz in der ägyptischen Metropole Kairo.
Die internationale Organisation soll die Beziehungen zwischen seinen Mitgliedern fördern, Streit schlichten und die Interessen der arabischen Welt nach aussen vertreten.
Ein erklärtes Ziel der Liga ist ferner die internationale Anerkennung der palästinensischen Autonomiegebiete. Mit der Reaktivierung Syriens hat die Arabische Liga nun wieder 22 Mitglieder.
Alle Mitgliedstaaten sind auch Mitglieder der Organisation für Islamische Zusammenarbeit.
Was ist bisher passiert?
Die Arabische Liga hat vor rund zwei Wochen beschlossen, Syrien wieder als vollwertiges Mitglied aufzunehmen und Machthaber Baschar al-Assad zum Gipfeltreffen in die saudi-arabische Hafenstadt Dschidda eingeladen.
Dort steht er nun höchstpersönlich im Mittelpunkt. Für den Machthaber ist die Teilnahme ein grosser symbolischer Erfolg.
Assad war international mehr als zehn Jahre stark isoliert. Seine Regierung hatte 2011 Proteste in Syrien brutal niedergeschlagen, die Arabische Liga setzte Syriens Mitgliedschaft noch im selben Jahr aus.
Assad werden schwerste Verbrechen vorgeworfen, etwa der Einsatz von Giftgas und Fassbomben gegen die syrische Bevölkerung. Zudem kommt es im Bürgerkrieg zum massiven Einsatz von Folter durch Regierungstruppen.
Assad kehrt zurück
Erstmals seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 nimmt Präsident Baschar al-Assad an dem Gipfel der Arabischen Liga in Saudi-Arabien teil.
19.05.2023
Worum geht es im syrischen Bürgerkrieg?
Seit nunmehr zwölf Jahren herrscht im Land ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungstruppen und verschiedenen oppositionellen Gruppen.
Im sogenannten Arabischen Frühling liess Assad 2011 friedliche Proteste gegen ihn mit extremer Härte und Gewalt niederschlagen, woraus sich der syrische Bürgerkrieg entwickelte.
Erschwert wird die Situation durch die indirekte oder direkte Beteiligung von Drittstaaten, die eigene Interessen verfolgen und in der Region um die Vorherrschaft ringen, etwa Türkei, Russland, Saudi-Arabien und Iran.
In dem blutigen Bürgerkrieg wurden rund eine halbe Million Menschen getötet— die Schätzungen gehen auseinander. Rund 14 Millionen Menschen wurden zudem vertrieben. Über 90 Prozent der Bevölkerung lebt mittlerweile in Armut, weite Teile des Landes sind zerstört.
Assads Anwesenheit beim Gipfel in Dschidda garantiert derweil keine Fortschritte bei der Beendigung des Krieges in Syrien. Auch ist unklar, ob die Organisation dem syrischen Machthaber Zugeständnisse bei Themen wie der Zukunft syrischer Flüchtlinge oder dem zunehmenden Handel mit dem Aufputschmittel Captagon abringen kann.
Die Captagon-Pillen überschwemmen derzeit Syriens Nachbarländer. Assads Regime soll sich und den Krieg mutmasslich mithilfe der Hisbollah unter anderem über den Drogenhandel finanzieren.
Warum darf Syrien wieder mitmachen?
Neben den andauernden bewaffneten Auseindersetzungen mit Oppositionellen geht Assads Regime immer wieder brutal gegen die eigene Bevölkerung vor. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert, wenngleich die Gewalt im Land zuletzt etwas abgenommen hatte.
Warum also darf Assad nun wieder mitmachen? Immerhin hatten die meisten arabischen Nachbarn in der Region die Opposition unterstützt.
Die Wiederaufnahme hat wohl pragmatische Gründe. Nach zwölf Jahren Krieg hat sich bei den Mitgliedern der Arabischen Liga die Ansicht durchgesetzt, dass Assad die beherrschende Kraft im Land bleiben dürfte. Seine Truppen kontrollieren mit Verbündeten etwa zwei Drittel des Landes.
Ausgerechnet Saudi-Arabien erwies sich als eine treibende Kraft hinter der Reaktivierung von Syriens Mitgliedschaft. Das Königreich hatte die Beziehungen zu Assads Regierung im Jahr 2012 abgebrochen. Danach setzte Riad sich lange offen für den Sturz des Machthabers ein und unterstützte im syrischen Bürgerkrieg Rebellengruppen.
Nun ist es der Regionalmacht – auch angesichts der militärischen Erfolge des von Russland und dem Iran unterstützten Assad – offenbar wichtiger, sich als Vermittlerin in der Region zu präsentieren. Das Königreich hofft etwa, durch den erneuten Dialog den Einfluss Irans zu verringern. Offiziell ist jedoch nicht bekannt, ob Syriens Rückkehr in die Liga an Bedingungen geknüpft ist.
Ist Assad nun rehabilitiert?
Lange Zeit war Assad auch in der arabischen Welt geächtet. Die Teilnahme am Gipfel in der saudi-arabischen Hafenstadt markiert die Rückkehr Assads auf die grosse diplomatische Bühne nach Jahren weitgehender Isolation. Er zeigte sich jahrelang nur selten öffentlich und reiste offiziell lange Zeit nur ins verbündete Russland und nach Iran. Ab 2018 trieben aber etwa die Emirate eine Normalisierung voran.
Zu den Gegnern der Wiederannäherung an Syrien zählt indes Katar. Das Golfemirat will seine Beziehungen zu Damaskus zunächst nicht normalisieren, stellt sich aber der Wiederaufnahme in die Arabische Liga nicht entgegen.
Ausserhalb der Arabischen Liga, vor allem im Westen, herrscht derweil Unverständnis über die Quasi-Rehabilitierung Assads und Syriens. Der US-Kongress spricht etwa von einem «schweren strategischen Fehler» auch die Europäische Union hat die Reaktivierung der Mitgliedschaft scharf kritisiert.
Die EU und USA hatten umfassende Sanktionen gegen Syrien verhängt, Gespräche oder Zusammenarbeit mit der Assad-Regierung sind ein absolutes Tabu.
Doch Ende November könnte Assad auch wieder auf westliche Staats- und Regierungschefs treffen: Er ist zur Weltklimakonferenz COP28 in Dubai eingeladen, an der etwa auch US-Präsident Joe Biden teilnehmen könnte.
Auch syrische Oppositionelle zeigten sich entsetzt. Im Nordwesten des Landes, der weiter unter Kontrolle von Rebellen steht, gab es wiederholt Massenproteste gegen Assads Rückkehr in die Arabische Liga.
Mohammed Ghanem vom Syrian American Council etwa sagte dem arabischen TV-Sender Al-Jazeera, mit der Entscheidung sende die Arabische Liga die «blutgetränkte Botschaft», dass man offenbar trotz Mord und Zerstörung wieder mit «offenen Armen» empfangen werde.
Was will Selenskyj in Dschidda?
Am Freitag ist auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj überraschend in Dschidda eingetroffen. Den Grund für seine Reise lieferte er dabei per Tweet gleich selbst: «Unsere Prioritäten sind die Rückkehr unserer politischen Gefangenen von der Krim und den zeitweilig besetzten Gebieten, die Rückkehr aller Gefangenen und gesetzwidrig Deportierten», schieb Selenskyj.
Beginning my first-ever visit to the Kingdom of Saudi Arabia to enhance bilateral relations and Ukraine’s ties with the Arab world. Political prisoners in Crimea and temporarily occupied territories, the return of our people, Peace Formula, energy cooperation. KSA plays a…
— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) May 19, 2023
Saudi-Arabien spiele eine «bedeutende» Rolle, fügt er hinzu. Man sei bereit, die Zusammenarbeit auf eine neue Stufe zu heben. Der Präsident will zudem über die Friedensformell sprechen sowie über Kooperation im Energiebereich im Hinblick auf den kommenden Winter.