Schreckensszenario Atomkrieg: Nato beginnt Übung
Die Nato beginnt an diesem Montag ihr jährliches Manöver zur Verteidigung des europäischen Bündnisgebiets mit Atomwaffen. An der Übung «Steadfast Noon» werden nach Bündnisangaben in den kommenden zwei Wochen bis zu 60 Flugzeuge beteiligt sein.
17.10.2022
Ein Atomkrieg in Europa galt viele Jahre als absolut unwahrscheinlich. Durch Russlands Angriffskrieg hat sich diese Einschätzung geändert. Die Nato plant und übt nun für den Ernstfall. Was steckt dahinter?
Inmitten massiver Spannungen mit Moskau wegen des Ukraine-Kriegs hat die Nato am Montag das Atomwaffen-Manöver «Steadfast Noon» zur nuklearen Abschreckung begonnen. Geübt wird vor allem im Luftraum über Belgien, Grossbritannien und der Nordsee. Angesichts der zuletzt aufgeheizten Rhetorik des Kremls, aber auch von US-Präsident Joe Biden, birgt das Manöver reichlich Konfliktpotenzial. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten.
Worum geht es bei «Steadfast Noon»?
«Steadfast Noon» ist ein jährlich stattfindendes Routine-Manöver der Nato in Westeuropa und soll bis Ende Oktober andauern. Zwar macht die Nato keine Angaben zum konkreten Übungsszenario und den Details. Nach Angaben von Militärexperten wird dabei aber unter anderem geübt, wie man Atomwaffen sicher aus unterirdischen Magazinen zu Flugzeugen transportiert und unter Kampfjets montiert. Die Übungsflüge werden ohne Bomben absolviert.
Wer nimmt an der Nato-Übung teil?
Laut Nato beteiligen sich 14 der 30 Mitgliedsstaaten an dem Manöver, darunter neben der Türkei auch die fünf Staaten der sogenannten «nuklearen Teilhabe». Das sind Belgien, Deutschland, die Niederlande, Italien, und die Türkei: In diesen Ländern sollen unbestätigten Angaben zufolge US-Atomwaffen lagern, die von den nationalen Streitkräften im Ernstfall eingesetzt werden. Die Nato will mit der nuklearen Teilhabe ihr Abschreckungspotenzial erhöhen.
Welche militärische Ausrüstung kommt zum Einsatz?
Bis zu 60 Flugzeuge sollen an den Nato-Übungen in diesem Jahr beteiligt sein. Neben Kampfjets seien auch Überwachungs- und Tankflugzeuge beteiligt. Aus den USA kämen wie in den vergangenen Jahren Langstreckenbomber vom Typ B-52. Sie würden von der Minot Air Base in North Dakota starten, hiess es.
Schauplatz der Manöver wird den Angaben zufolge insbesondere der Luftraum über Belgien, Grossbritannien und der Nordsee sein.
Was hat die Übung mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?
Die Nato betont, dass «Steadfast Noon» keine Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei und dass keine scharfen Waffen zum Einsatz kämen. «Bei der Übung, die bis zum 30. Oktober läuft, handelt es sich um eine Ausbildungsmassnahme, die in keinem Zusammenhang mit dem aktuellen Weltgeschehen steht», teilte das Bündnis bereits am vergangenen Freitag mit.
Allerdings erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auch: «Es würde ein sehr falsches Signal senden, wenn wir nun auf einmal eine routinemässige, seit Langem geplante Übung wegen des Krieges in der Ukraine absagen würden.» Das entschiedene, berechenbare Verhalten der Nato sei der beste Weg, um Eskalationen zu verhindern.
Die Nato gibt an, trotz der veränderten Sprache des Kremls keine Veränderung in dessen nuklearer Haltung zu sehen. «Aber wir bleiben wachsam», so Stoltenberg.
Was ist in diesem Jahr anders?
Die Nato hat das Manöver explizit angekündigt. Das war in den vergangenen Jahren nicht der Fall. Damit soll laut Experten einerseits verhindert werden, dass sich Russland provoziert fühlt und es zu militärischen Fehleinschätzungen kommt. Andererseits will die Nato dem Kreml unmissverständlich klarmachen, dass sie auf das Schreckensszenario Atomkrieg gut vorbereitet ist.
Bei einem als geheim eingestuften Treffen der sogenannten Nuklearen Planungsgruppe hatten die Verteidigungsminister von 29 der 30 Bündnisstaaten in der vergangenen Woche beraten, was ein russischer Atomwaffeneinsatz in der Ukraine für das Bündnis bedeuten würde und wie die nukleare Abschreckung der Nato angesichts der aktuellen russischen Drohungen maximiert werden kann.
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Das öffentliche Schweigen über mögliche Reaktionen der Nato auf einen russischen Atomwaffeneinsatz ist dabei auch Teil der Abschreckungsstrategie. Für den russischen Präsidenten Putin soll das Risiko eines solchen Schrittes unkalkulierbar gehalten werden.
Klar ist allerdings, dass die Reaktion am Ende davon abhängen würde, was Russland genau tut. Für den Fall eines russischen Atomwaffenangriffs auf Grossstädte wie Kiew gilt nicht einmal ein direktes Eingreifen der Nato als ausgeschlossen. Sollten alle Bündnispartner zustimmen, könnte die Nato dann etwa versuchen, die russischen Invasionstruppen in der Ukraine militärisch auszuschalten.
Welche Reaktion ist von Wladimir Putin zu erwarten?
Zunächst einmal: Auch Russland hält in jedem Jahr eine Atomwaffenübung ab. Sie soll kurz nach dem Nato-Manöver stattfinden. Stoltenberg sagte dazu, die Nato werde diese «wie immer überwachen». Angesichts der jüngsten russischen Atomwaffendrohungen sei dies nötiger denn je.
Die Nato steht angesichts der jüngsten Nuklearschlag-Drohungen von Wladimir Putin vor der Herausforderung, den Unterschied zwischen Übungen und der Realität zu erkennen. Zumal bei den russischen Manövern auch Teststarts von ballistischen Raketen erwartet werden, wie der TV-Sender CNBC US-Beamte zitiert. Man sei im Westen besorgt, dass Moskau absichtlich versuchen könnte, seine Absichten zu verschleiern.
Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, SDA und AFP.