Late Night USA «Das gilt weder für Syrien noch für Kinder, du gruseliges Monster»

Von Philipp Dahm

28.10.2019

Sie haben nicht angeklopft und alle überrascht: Donald Trump erklärt, wie das US-Militär al-Baghdadi erledigt hat, als wären wir alle Vierjährige. Das wiederum überrascht John Oliver so gar nicht.

«Heute Morgen hatte Donald Trump grosse Neuigkeiten für uns», beginnt John Oliver am Sonntagabend seine HBO-Show «Last Week Tonight». «Abu Bakr als-Baghdadi, Kopf des (sogenannten) IS, ist getötet worden, und Trump hat es in seiner ihm eigenen Art geschafft, etwas grundsätzlich Positives auf die verrückteste Art auszudrücken, die man sich vorstellen kann.»

Den Beweis bringt der Brite ab Minute 0:26: «Sie haben viele Schiessereien und viele Explosionen veranstaltet. Sie sind nicht mal durch die Haustür gegangen. Wisst Ihr, man denkt, man geht durch die Tür. Wenn du eine normale Person bist, machst du ‹Klopf, klopf, darf ich reinkommen?› Tatsächlich haben sie sich den Weg ins Haus freigesprengt. Sie haben ein wunderschönes, grosses Loch gemacht, sind reingerannt und haben alle überrascht.»

US-Soldaten haben Abu Bakr al-Baghdadi liquidiert – für John Oliver trotzdem kein Grund zum Feiern.
US-Soldaten haben Abu Bakr al-Baghdadi liquidiert – für John Oliver trotzdem kein Grund zum Feiern.
Screenshot: YouTube

«Was machst du?», erregt sich John Oliver. «Hat Trump gerade erst gelernt, wie Soldaten arbeiten? ‹Hört mal, diese Typen waren erstaunlich. Sie hatten diese Chamäleon-Anzüge an und grosse Schiesseisen und Wummen. Sie sagen nicht ‹klopf, klopf› wie die normalen Leute, sondern gehen durch grosse, wunderschöne Löcher und rufen: ‹Überraschung!› Das ist vielen Leuten neu, aber warten Sie, bis Sie gehört haben, wie Trump ein Teammitglied ganz besonders heraushebt.»

«Diese Leute im Stich zu lassen, war wirklich scheisse»

Ab Minute 1:17 sagt Trump: «Eine K9[-Einheit]*, wie sie es nennen oder wie ich es nenne: ein Hund. Ein wunderschöner Hund, ein talentierter Hund.» Oliver parodiert: «Ich nenne sie Hunde, nicht wie andere Leute, die sie behaarte Echsen nennen oder bellende Katzen oder kleine Elefanten nennen.» Es sei zwar eine gute Neuigkeit, dass Baghdadi von der Bildfläche verschwunden sei, aber eine weitere Entscheidung Trumps sei für die Region sehr viel weitreichender – und sie habe sogar Trumps «Cheerleader bei ‹Fox and Friends›» verstört, wie ab Minute 1:57 zu sehen ist.

[*Anm. d. Verf.: K9 klingt auf Englisch zudem wie das Wort «canine», ein anderes Wort für Hund]

Abziehende US-Truppen: Sogar «Fox and Friends» sind schockiert.
Abziehende US-Truppen: Sogar «Fox and Friends» sind schockiert.
Screenshot: YouTube

Trotz Bedenken seiner Berater ziehe Trump die US-Truppen ab, die ja mit den Kurden zusammengearbeitet haben, um den sogenannten IS einzudämmen und die Bevölkerung zu schützen. Das Abrücken habe zu mindestens 120 zivilen Opfern und 180'000 Flüchtenden geführt – eine «Katastrophe», die sogar von Republikanern massiv kritisiert worden ist. «Diese Leute im Stich zu lassen, war wirklich scheisse, und ich hoffe, Präsident Trump überlegt es sich noch mal. Er ist dabei, den grössten Fehler seiner Präsidentschaft zu begehen», meinte etwa der Abgeordnete Parteikollege Lindsey Graham.

Zugegeben: Die Lage vor Ort sei kompliziert, aber dann dürfe man auch nicht so tun, als sei sie es nicht, so Oliver – und zeigt ab Minute 4:13, wie Trump das Ganze angeht: «Die Situation ist halb-kompliziert – nicht zu kompliziert, wenn man schlau ist.» Der 42-Jährige lästert, dass Trump in den 90ern scheinbar Nahost-Politik studiert hat – und nicht, wie der Moderator bisher dachte, «alles Geld seines Vaters verloren und erfolglos versucht hat, Madonna zu knallen».

Nur Sand und Tod

Die 30 Millionen Kurden seien die grösste Ethnie ohne eigenen Staat – und bis dato ein enger Verbündeter der USA gewesen: «Fakt ist, dass die Kurden gekämpft haben, um Amerika zu helfen – inklusive Golf- und Irak-Krieg. Das heisst, dass sie in mindestens zwei Kriegen mehr mit dem US-Militär gekämpft haben, als es Trump jemals tun wird.» Eine Anspielung auf das präsidiale Überbein am Fuss, mit dem sich der New Yorker aus dem Vietnamkrieg heraushalten konnte.

Hastig verlassene US-Basis: Der Kühlschrank ist noch voll.
Hastig verlassene US-Basis: Der Kühlschrank ist noch voll.
Screenshot: YouTube

2015 habe die Abmachung noch so ausgesehen: «Wir bieten Training und Luftunterstützung, und sie sind die Front-Truppe, die in den Nahkampf geht. Es war eine sehr enge Partnerschaft.» Das US-TV berichtet (ab Minute 6:22) so: «Das US-Militär hat seinen Verbündeten derart fest vertraut, dass die Kurden amerikanische Luftangriffe geleitet haben.» Das sei ein «unglaubliches Level von Vertrauen», fasst es John Oliver zusammen.

Während seither in der Region sechs US-Soldaten gestorben seien, hätten die Kurden 11'000 Opfer zu beklagen gehabt, ruft der Moderator in Erinnerung. «Und diese Allianz ist einer der Gründe, warum der sogenannte IS alle Gebiete verloren hat, die er noch 2015 kontrolliert hat.» Auch Baghdadi sei letztlich nur dank der Informationen kurdischer Agenten gefasst worden: Warum also hat Trump die Kurden fallen lassen? Im Ausschnitt ab Minute 7:21 sagt der Präsident: «Ich will nicht ewig in Syrien sein: [Dort gibt es nur] Sand und Tod.»

«Don’t be a tough guy»

«Seit wann hat Trump was gegen Sand und Tod? Ihm gehört ein Golfklub in Florida», scherzt Oliver mit Blick auf die vielen Rentner in dem US-Bundesstaat. Doch immerhin sei seine Ansage, die Jungs nach Hause zu holen mal eine «reale, kohärente aussenpolitische Ansage». Aber: Seit Mai hätten die USA 14'000 zusätzliche Soldaten in den Nahen Osten geschickt – unter anderem nach Saudi-Arabien, das dafür laut Trump auch zahle – eine Lüge, wie John Oliver noch festhält.

Trump machte es möglich: Kriegsverbrechen embedded beim türkischen Militär.
Trump machte es möglich: Kriegsverbrechen embedded beim türkischen Militär.
Screenshot: YouTube

«Sorry, Kurden, aber solange Ihr Donald Trump nichts gebt, was er haben will wie Hunter Bidens E-Mail-Passwort oder Melania Trumps Handynummer, könnt Ihr offensichtlich nur erwarten, von ihm [verarscht] zu werden.»

Was also war ausschlaggebend für den plötzlichen Kurswechsel? Na klar, Trumps Telefonat mit Recep Tayyib Erdogan. Das konnte auch ein naiver Brief aus dem Weissen Haus nicht mehr geraderücken, in dem Trump Erdogan auffordert: «Don’t be a tough guy» – mach nicht auf harten Hund.

Erdogan soll den Brief weggeworfen und noch am selben Tag seine Offensive gestartet haben. Die Gis zogen derweil so überhastet ab, dass die Kühlschränke in ihren Stützpunkten noch gefüllt waren, als die Russen nachrücken – zu sehen ab Minute 12:12. «Im Grunde sind die Amerikaner so eilig abgerückt wie jemand, der bei einer Party das Klo verstopft hat: Man lässt alles zurück und zwingt jemand anderen, mit der ganzen Scheisse klarzukommen.»

«... sondern auch ein beschissener Vater»

Die Folgen: Kurden, die inhaftierte IS-Kämpfer bewacht haben, müssen nun um ihr Leben kämpfen, während ihre Häftlinge entkommen können. Donald Trump behauptet zwar, diese seien wieder eingefangen worden, doch James Jeffery, sein Sondergesandter für Syrien, sagte noch am Mittwoch, der Verbleib von mehr als 100 dieser Leute sei unklar. Warum es noch schlimmer kommt? «Wenn man einem Autoritären grünes Licht gibt, können schlimme Dinge passieren – und schlimme Dinge sind passiert.»

Lasst sie doch kämpfen, meint Donald Trump.
Lasst sie doch kämpfen, meint Donald Trump.
Screenshot: YouTube

Oliver meint Kriegsverbrechen, die jene arabischen Truppen begehen, die mit den Türken in Nordsyrien einrücken – Bilder dazu gibt es ab Minute 14:37, sie stehen im diametralen Widerspruch zu jenen Aussagen Trumps bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dallas. «Sie müssen eine Weile ein bisschen miteinander kämpfen. Manchmal muss man sie ein wenig miteinander kämpfen lassen, damit die Leute herausfinden, wie tough das Kämpfen ist. Manchmal muss man sie kämpfen lassen, es ist wie bei Kindern: Du lässt sie kämpfen und trennst sie dann.»

John Oliver ist fassungslos: «Das gilt weder für Syrien noch für Kinder, du gruseliges Monster. Er hat gerade enthüllt, was wir schon immer wussten: Er ist nicht nur ein beschissener Präsident und eine beschissene Person, sondern auch ein beschissener Vater. Gott sei Dank musste er nie irgendwelche Kinder grossziehen.» Nur weil Russland in das Machtvakuum vorgestossen und der neue Königsmacher in Syrien sei, habe sich die Lage etwas beruhigt.

Erdogan? Trump: «He's a tough man»

Tatsächlich habe sich Wladimir Putin mit Erdogan getroffen und die Kurden sich mit Bashar al-Assad arrangiert, sodass nun Washingtons Feinde in der Region das Sagen haben. Und was macht Trump? Lobt nach einer Waffenruhe Präsident Erdogan über den grünen Klee (ab Minute 16.59). «Er ist ein Freund von mir, und ich bin froh, dass wir kein Problem haben, denn er ist – ehrlich gesagt – ein Teufelskerl als Anführer. Er ist ein harter Mann und ein starker Mann, und er hat das Richtige getan.»

Gestärkte US-Gegner: Russlands Wladimir Putin, Recep Tayyib Erdogan, Bashar al-Assad und der sogenannte IS.
Gestärkte US-Gegner: Russlands Wladimir Putin, Recep Tayyib Erdogan, Bashar al-Assad und der sogenannte IS.
Screenshot:  YouTube

Es sei nicht einfach, in dieser Region bei dieser Materie alles richtig zu machen, aber es sei noch schwerer, es derart falsch zu machen, so Oliver. «Wir haben eine grundsätzlich stabile Situation aufgegeben, einen strategisch wichtigen Verbündeten betrogen und unserem Ruf enormen Schaden zugefügt.» Kein Wunder, dass die US-Truppen am Ende von der Bevölkerung der Region mit Erdäpfeln beworfen würden, als sie abgerückt seien.

Olivers Schlussplädoyer: «Das war ein Fehler, der ohne Not gemacht worden ist. Trump selbst hat sich ausgesucht, etwas so Plötzliches, Ungestümes und Zerstörerisches zu tun, und er wird sich nicht ändern. […] Es gibt nichts Gefährlicheres, als jemanden mit massiv viel Macht, einem Fetisch für Diktatoren und der Unfähigkeit anders zu denken als in Geschäftsbeziehungen – und der dann auch noch blöd genug ist, zu denken, dass das alles nicht so kompliziert ist, wenn man nur klug ist.»

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Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

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