Vier-Tage-Woche oder 40 Stunden? «Faule Deutsche» – Darum diskutieren unsere Nachbarn so sehr über die Arbeitsmoral

Maximilian Haase

2.5.2024

40 Stunden im Büro – oder lieber vier Tage die Woche von zu Hause arbeiten? Die Debatte über kürzere Arbeitszeiten nimmt in Deutschland wieder Fahrt auf. (Symbolbild)
40 Stunden im Büro – oder lieber vier Tage die Woche von zu Hause arbeiten? Die Debatte über kürzere Arbeitszeiten nimmt in Deutschland wieder Fahrt auf. (Symbolbild)
Sebastian Gollnow/dpa

Vom fleissigen zum faulen Deutschen? Bei unseren Nachbarn wird über die Arbeitsmoral diskutiert – und darüber, ob man sich eine Vier-Tage-Woche überhaupt leisten kann.

Maximilian Haase

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In Deutschland nimmt die Debatte über kürzere Arbeitszeiten und Arbeitsmoral weiter Fahrt auf.
  • Medien, Gewerkschaften und Politik diskutieren über die Vier-Tage-Woche und die Frage nach den «faulen Deutschen».
  • Auch Unternehmer Carsten Maschmeyer hat sich nun eingeschaltet.

Einst galten die Deutschen als besonders arbeitsam und fleissig. Doch was ist überhaupt noch dran am Klischee? Nicht viel, glaubt man einigen Stimmen in der aktuellen Debatte um Arbeitszeit und Arbeitsmoral. «Sind wir Deutschen einfach zu faul?», fragt provokant etwa der «Spiegel», der sich auf einen viel zitierten Artikel des Bloomberg-Kolumnisten Chris Bryant beruft. Dessen Frage wird derzeit bei unseren Nachbarn heiss diskutiert: «Haben die Deutschen ihre berühmte Arbeitsmoral vergessen?»

Der britische Journalist bringt damit einen Diskurs in Fahrt, der schon seit Längerem immer wieder durch die Politik und Medien in Deutschland geistert. Können wir uns eine Vier-Tage-Woche überhaupt leisten? Welche Work-Life-Balance ist eigentlich vertretbar? Und was hat das Arbeitsethos der viel gescholtenen Generation Z damit zu tun? Nicht selten kochen die Emotionen bei dem strittigen Thema hoch.

Deutsche arbeiten weniger als Spanier und Griechen

«Faule Deutsche?», fragt auch ein Artikel der «Frankfurter Rundschau» mit Verweis auf eine aktuelle Studie, der zufolge etwa die Spanier durchschnittlich mehr Stunden arbeiten. Laut einer Statistik des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) leisten die Deutschen 1031 Arbeitsstunden pro Einwohner – und damit auch weniger als beispielsweise die Briten und Griechen. «In Italien, in Frankreich und anderswo wird deutlich mehr gearbeitet als bei uns», wusste kürzlich auch Finanzminister Christian Lindner.

Das Problem der deutschen Wirtschaft sei ein Defizit an geleisteten Arbeitsstunden im Jahr, so der FDP-Politiker, der die Gründe dafür gleich mit aufzählte: Regeln zur Arbeitszeitverkürzung, die Demografie und ungewollte Teilzeit aufgrund mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Dass hierzulande weniger gearbeitet werde, «hat nicht unmittelbar mit Faulheit oder fehlender Motivation zu tun, sondern vor allem mit der Lage am Arbeitsmarkt», argumentiert in der Zeitschrift «Capital» auch der Ökonom Enzo Weber. Auch andere Medien wollen das «Märchen von den faulen Deutschen» entzaubern.

Denn, so wird oft betont: Die Erwerbstätigenquote sei in Deutschland nach wie vor die höchste aller Industrieländer. Das Potenzial sei gross, aber werde nicht genutzt. Zu den Gründen zählt Bloomberg-Kolumnist Bryant auch hohe Krankenzeiten, geringere Jahresarbeitszeit, frühe Renteneintrittsalter vieler Babyboomer und den daraus resultierenden Fachkräftemangel. Der Journalist fragt, ob man die Menschen nicht «mehr ermutigen kann, das ungenutzte Arbeitspotenzial auszuschöpfen, vor allem Frauen und Menschen, die kurz vor der Rente stehen».

Arbeitnehmer wollen weniger arbeiten

Und die Arbeitnehmer selbst? Die wollen lieber weniger arbeiten, glaubt man einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung. Demnach wünschen sich 81 Prozent aller Vollbeschäftigten in Deutschland die Vier-Tage-Woche. 17 Prozent der Befragten lehnen sie ab, zwei Prozent haben bereits auf vier Tage umgestellt. In diesem Klima fordern – wie kürzlich wieder am 1. Mai – Gewerkschaften wie Verdi, IG Metall und die zuletzt im Arbeitskampf erfolgreiche Lokführergewerkschaft GDL eine Reduzierung der Arbeitszeit auf vier Tage pro Woche.

Von Wirtschaftsminister Robert Habeck gab es dafür im März vor allem Unverständnis: Kürzere Arbeitszeiten «können wir uns in der Tat im Moment nicht leisten», kritisierte der Grünen-Politiker. Es werde «zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt». Viele andere stimmen zu – oft mit der Begründung, dass die Debatte angesichts über 700'000 unbesetzter Stellen und gravierenden Personalmangels fehl am Platz sei. «Diese Entwicklung gefährdet unseren Wohlstand. Deutschland kann es sich nicht leisten, die Arbeitszeit zu verkürzen», springt dem Minister auch Experte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft bei.

Doch die Vier-Tage-Woche wird vonseiten der Arbeitgeber in Deutschland nicht ausschliesslich skeptisch gesehen. Auch viele Unternehmen, je nach Befragung bis zu 50 Prozent, sind bereit, die Vier-Tage-Woche freiwillig einzuführen. Seit Februar testen in Deutschland 50 Unternehmen die verkürzte Arbeitszeit – wie bereits in Ländern wie Island, Spanien oder Grossbritannien vorerst für ein halbes Jahr.

«Ergebnisse zählen und nicht die abgesessene Arbeitszeit»

Mit Carsten Maschmeyer hatte sich zuletzt auch ein Schwergewicht des deutschen Unternehmertums in die Debatte eingeschaltet. «Wer Arbeitsleistung rein in geleisteten Arbeitsstunden misst, lebt wirklich im letzten Jahrhundert», kritisiert der 64-Jährige in einem Instagram-Post. Der Finanzunternehmer stellt klar: «Denn Ergebnisse zählen und nicht die abgesessene Arbeitszeit.»

«Täglich lese ich Forderungen, die Deutschen müssten ihre Arbeitszeit erhöhen. Ich halte das für Scheindebatten, die am Kernproblem vorbeigehen», schreibt Maschmeyer weiter und verweist darauf, dass Kambodscha und Myanmar die Länder mit den längsten Arbeitszeiten seien. «Daran wollen wir uns messen?», fragt er rhetorisch. «Wir brauchen etwas ganz anderes: Leistungswillen und die Renaissance des Leistungsgedankens», so der millionenschwere Firmengründer.

Ob nun 40 Stunden im Büro oder flexible Vier-Tage-Woche von zu Hause, ob Leistung oder Work-Life-Balance – eines scheint jedenfalls sicher: Erfahrungsgemäss wird die Debatte um kürzere Arbeitszeiten und die deutsche Arbeitsmoral jedes Jahr aufs neue die Gemüter erhitzen.