Nur noch etwa ein Fünftel des jungen Meereises von der russischen Nordküste erreicht einer neuen Untersuchung zufolge die zentrale Arktis und wird Teil der sogenannten Transpolardrift. Vor 20 Jahren war es noch rund die Hälfte.
Immer mehr vor Russland gebildetes Eis schmilzt auf seinem Weg in die zentrale Arktis. Das habe Auswirkungen auf das Ökosystem, schreiben deutsche Forscher vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (Awi) für Polar- und Meeresforschung im Fachmagazin «Scientific Reports». Wenn das Eis aufgrund des Klimawandels frühzeitig schmelze, werden eingeschlossene Nährstoffe nicht im Nordpolarmeer verteilt. Langfristig sei zu erwarten, dass sich dadurch die Arktis nicht nur physikalisch, sondern auch biologisch und chemisch verändere, sagte Awi-Forscherin Eva-Maria Nöthig: «Das Ausmass kennen wir noch nicht.»
In den sogenannten russischen Randmeeren des Arktischen Ozeans entsteht dem Awi zufolge im Winter fortwährend Meereis, auch weil dort die Lufttemperaturen extrem niedrig sind – bis zu minus 40 Grad. Ein starker, ablandiger Wind schiebt dann das im Flachwasser gebildete junge Eis auf das Meer hinaus.
Wie ein Förderband
Ein Teil dieses Eises wandert durch die Transpolardrift wie auf einem Förderband innerhalb von zwei bis drei Jahren einmal quer durch die zentrale Arktis bis in die Framstrasse. In diesem Seegebiet zwischen Grönland und Spitzbergen schmilzt es schliesslich. Vor rund 20 Jahren erreichte noch etwa die Hälfte des in den Randmeeren gebildeten Eises die zentrale Arktis. Mittlerweile seien es nur noch 20 Prozent, schreiben die Forscher. Der Grossteil schmelze vorzeitig.
Da immer weniger in den flachen Küstenzonen erzeugtes Meereis bis zur Framstrasse gelangt, kommen dort auch immer weniger Schwebstoffe und Mineralien an, die beim Gefrieren des Wassers im Meereis eingeschlossen werden. Das zeigen Analysen, die Awi-Biologen seit zwei Jahrzehnten in der Framstrasse durchführen. Mit dem vorzeitigen Schmelzen des Meereises sinken die Partikel früher ab. In den vom Awi aufgestellten Sedimentfallen in der Framstrasse finde man immer weniger sibirische Mineralien, sagte Nöthig.
Wichtiger Transportstrom reisst ab
Die Forscher verfolgten die Wanderung des Meereises mithilfe von Satellitendaten aus den Jahren 1998 bis 2017. «Jenes Eis, welches heutzutage die Framstrasse erreicht, wird zum grössten Teil nicht mehr in den Randmeeren gebildet, sondern stammt aus der zentralen Arktis», sagte Thomas Krumpen, ebenfalls Awi-Forscher. «Wir werden derzeit Zeuge, wie ein wichtiger Transportstrom abreisst und die Welt einem meereisfreien Sommer in der Arktis einen grossen Schritt näherkommt.»
Bestätigt wird das Ergebnis der Studie durch Messungen der Meereisdicke in der Framstrasse. «Eis, das heutzutage die Arktis durch die Framstrasse verlässt, ist rund 30 Prozent dünner als noch vor 15 Jahren», betonte Krumpen. Gründe dafür seien die steigenden Temperaturen im Winter und eine früher beginnende Schmelzsaison im Sommer.
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