Der EntzauberteDer kanadische Premier Justin Trudeau wird 50
Von Benno Schwinghammer, dpa
19.12.2021 - 17:58
Er verkörperte die Hoffnung in der kanadischen Politik wie einst Obama in den USA. Doch zu seinem 50. Geburtstag ist Premier Trudeau einigermassen entzaubert.
19.12.2021, 17:58
Die Strahlkraft des einstigen Stars der kanadischen Politik ist ein wenig verblasst. Zwar steht Justin Trudeau immer noch für einen Generationswechsel in Kanadas Politik und hat auch zwei Wahlsiege hinter sich. Dabei verpasste der Premierminister jedoch stets die absolute Mehrheit, die in seinem Heimatland so wichtig ist. Viele meinen deshalb, dass die Wahl im September die letzte für ihn war. Mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger bringen sich nun schon in Stellung. Am 25. Dezember feiert Trudeau seinen 50. Geburtstag.
Es war ein Oktoberabend im Jahr 2015, als der – damals wie heute – strahlend attraktive Politiker den grössten Sieg seiner Karriere feierte: Nach fast zehn Jahren einer konservativen Regierung führte der Sohn von Ex-Ministerpräsident Pierre Trudeau die kanadischen Liberalen zur absoluten Mehrheit. Den jubelnden Anhängern in seiner Heimatstadt Montreal rief er die Worte entgegen, die zum Mantra seines Regierungsstils werden sollten: «Sonnige Wege, meine Freunde. Sonnige Wege. Das ist, was positive Politik schaffen kann.»
Traumpaar mit Promi-Appeal
Als Kanadas 23. Premierminister nahm sich Trudeau zum Ziel, die politische Kultur zu verändern: Leicht, transparent, konstruktiv und modern sollte seine Regierung sein. Mit seiner Frau, der ehemaligen Journalistin Sophie Grégoire Trudeau, zog er in die Residenz der kanadischen Regierungschefs nach Ottawa – ein Traumpaar mit Promi-Appeal. Drei Kinder machten die Vorzeigefamilie perfekt.
Sechs Jahre später liegt Schatten über den sonnigen Wegen. Nach den ersten vier Amtsjahren konnte er nur mit einer Minderheitsregierung weiterregieren. Koalitionen gibt es Kanada traditionell keine. In diesem Sommer rief er dann Neuwahlen aus. Die Hoffnung, angesichts guter Umfragen wegen einer recht erfolgreichen Corona-Politik die absolute Mehrheit zurückzuerlangen, stellte sich als Fehlkalkulation heraus. Es kam erneut zu einer Minderheitsregierung.
Seine Entzauberung hatte Trudeau auch eigenen Fehlern zuzuschreiben: Das Image erlitt Kratzer durch einen Skandal wegen unterdrückter Korruptionsermittlungen gegen eine kanadische Firma. Hinzu kamen Rücktritte von Ministerinnen und ein altes Foto, auf dem Trudeau mit geschwärztem Gesicht zu sehen war, was ihm Rassismus-Vorwürfe einbrachte. Seit der Wahl im September wird auch die Kritik im eigenen Lager lauter.
Partei und Land thematisch in die Zukunft geführt
In Ottawa wird nun einigermassen offen darüber geredet, dass der Premier nicht wieder antreten oder sogar schon in absehbarer Zeit die Macht abgeben wird. «Die grösste Frage in der kanadischen Politik im Jahr 2022 ist also, ob Justin Trudeau am Ende des Jahres noch Premierminister sein wird», so der Kommentator Paul Wells.
Dabei würdigte Wells auch Trudeaus Errungenschaften. Er habe Partei und Land thematisch in die Zukunft geführt. «Er hat nicht trotz des Bündels an Vielfaltspolitik, Versöhnung (mit den Indigenen), Feminismus, Klima-Aktivismus und Abtreibungsrechten gewonnen, bei dem frühere Generationen von Liberalen mit ihren Fingernägeln an einer Tafel kratzten. Er gewann aufgrund dieser Haltungen.»
Macht er weiter?
So ist das Land trotz einiger nicht gehaltener Versprechen wie zum Beispiel das einer grossen Wahlrechtsreform ein ganz anderes als 2015. Glaubt man Trudeau selbst, hat er keinerlei Absichten aufzuhören. Auf die Frage, ob er auch als Spitzenkandidat in die nächste Wahl gehen werde, entgegnete er ohne Zögern und mit einem Grinsen schlicht: «Ja!». Die Antwort wird ihm als politischer Zirkus ausgelegt. Schliesslich verlöre Trudeau als Premier auf Abruf seine Autorität.
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