From Hero to Zero Der tiefe Fall von «Amerikas Bürgermeister» Rudy Giuliani

Von Philipp Dahm

11.9.2021

Rudy Giuliani (links) zeigt US-Präsident George W. Bush (Mitte) am 14. September 2001 den Ground Zero.
Rudy Giuliani (links) zeigt US-Präsident George W. Bush (Mitte) am 14. September 2001 den Ground Zero.
KEYSTONE

Was für ein Abstieg: Nach den Anschlägen 2001 wird Rudy Giuliani nicht nur New Yorks, sondern «Amerikas Bürgermeister». Doch in 20 Jahren hat der einst gefeierte Politiker seinen Ruf völlig ruiniert.

Von Philipp Dahm

11.9.2021

Es ist der 17. September 2001. Sechs Tage zuvor ist in New York das Undenkbare passiert – und trotz des Schocks will Rudolph Giuliani zeigen, dass es weitergeht. Dass das Homeland sicher ist. Dass sich die Amerikaner nicht unterkriegen lassen. Trotzig ist deshalb für jenen Tag ein Baseball-Spiel anberaumt worden.

Als Bürgermeister von New York das Stadion der New York Mets betritt, regnet es von allen Seiten Applaus. Dass bald darauf «Rudy, Rudy»-Sprechchöre durchs Shea Stadion hallen, ist alles andere als selbstverständlich: Giuliani ist ein glühender Anhänger der New York Yankees. Das ist, als wenn ein bekennender GC-Fan ein paar Worte vor einem FCZ-Spiel sagen soll. 

Und dabei ist Giuliani vor den Anschlägen nicht gerade beliebt – obwohl er es in den maximal möglichen drei Amtszeiten geschafft hat, die Kriminalitätsrate in New York deutlich zu senken. Der Anwalt reformiert die Polizei, die nun auch bei Kleindelikten wie Schwarzfahren, Urinieren oder Betteln durchgreift. Mit der Kriminalität sinkt aber auch die Zustimmung: Nur 36 Prozent der Bürger sind mit dem Bürgermeister zufrieden.

Kriminalität in den USA: Die rote Linie steht für New York.
Kriminalität in den USA: Die rote Linie steht für New York.
Grafik: Commons/Gemeinfrei

Das ändert sich am 11. September 2001. «Ich bin am World Trade Center angekommen und wusste noch nicht, wie schlimm es wirklich war», erinnert er sich später an jenen Tag. «Ich konnte es emotional nicht erfassen, bis ich sah, wie ein Mann sich aus dem 104. Stock warf. Dieses Bild wird mir für immer bleiben. Irgendwie taucht es fast jeden Tag in meinem Kopf auf.»

«Leuchtfeuer, das die Stadt zusammengehalten hat»

In dieser schwarzen Stunde der amerikanischen Nation ist Rudy Giuliani gefühlt überall. Immer wieder besucht er den Ground Zero, spricht mit Rettungskräften, schüttelt die Hände der Arbeiter, die sich durch den Schutt wühlen, und hält Reden, die oft genug im Fernsehen übertragen werden.

Dabei findet Giuliani die richtigen Worte. Er fordert nicht nur die New Yorker auf, sich zu zeigen, sich keine Angst machen zu lassen und ihr Leben nicht aufzugeben, sondern wendet sich an alle Amerikaner. «Leute aus verschiedenen Teilen des Landes kamen hierher, weil ich sie darum gebeten hatte. Und ich war sehr, sehr glücklich darüber. Leute aus Tennessee, Los Angeles, Seattle und viele aus Oregon, die New York unterstützen wollen.»

Giuliani sticht in der schwarzen Stunde heraus. «Es gab einen Mann, der vor allen anderen das Leuchtfeuer war, das die Stadt zusammengehalten hat», preist CBS damals den Bürgermeister. Und zwei Tage nach dem Spiel der Mets findet im Stadion der Yankees eine grosse Trauerfeier für die Opfer statt, bei der TV-Gigant Oprah Winfrey Giuliani auf die Bühne holt.

«America's Mayor» und «Person of the Year»

Der Mann, der in Brooklyn geboren wird, bekommt Standing Ovations – und Winfrey kreiert den Übernamen «Amerikas Bürgermeister». Ende Oktober liegen seine Zustimmungswerte in New York statt bei 36 bei 79 Prozent, und am Ende 2001 verleiht das «Time»-Magazin ihm den Titel Person of the Year.

«America's Mayor»: Als Giuliani am 7. Oktober 2001 über den Times Square gehen will, wird der Bürgermeister frenetisch gefeiert.
«America's Mayor»: Als Giuliani am 7. Oktober 2001 über den Times Square gehen will, wird der Bürgermeister frenetisch gefeiert.
KEYSTONE

«Hartnäckig und klug, sicher. Aber wer hätte gedacht, dass Rudy so ein grosses Herz hat? Wie ein sehr menschliches Wesen übernatürliche Courage bewiesen hat», steht unter der Überschrift «Der Bürgermeister der Welt». 2002 schlägt ihn die englische Queen zum Knight Commander of the British Empire.

Time Magazine's
KEYSTONE

In den folgenden Jahren stellt sich Giuliani in den Dienst seiner Partei: Er unterstützt George W. Bush, der 2004 als Präsident bestätigt wird, doch er will mehr. 2008 steigt er ins Rennen um die Präsidentschaft der Republikaner ein. Sein Image bekommt erste Risse: 9/11-Überlebende werfen ihm vor, die Attentate für politischen Wahlkampf auszunutzen.

Mit Trump zurück ins Rampenlicht

Das Rennen macht jedoch John McCain, der wiederum den Kürzeren im Kampf mit Barack Obama zieht. In dessen Amtszeit kümmert sich Giuliani vor allem um seine eigenen Geschäfte in seiner Kanzlei, hält aber auch immer wieder Reden auf Veranstaltungen der Republikaner. Er wird wieder verstärkt aktiv, als Donald Trump 2016 in den Wahlkampf zieht.

Als Trump überraschend gewinnt, rechnen alle mit einem Kabinettsposten für Giuliani, doch er wird im Januar 2017 nur informeller Berater in Sachen Cybersecurity. Schlagzeilen macht er nur, weil er von Apple sein iPhone entsperren lassen muss, nachdem er zehnmal den falschen Code eingegeben hat – kein guter Ausweis für einen offiziellen Experten für technische Sicherheit.

Rudy Giuliani spricht vor dem Trump Tower in New York am 12. Januar 2017 mit Reportern, während Präsident in spe Donald Trump dort ein Meeting abhält.
Rudy Giuliani spricht vor dem Trump Tower in New York am 12. Januar 2017 mit Reportern, während Präsident in spe Donald Trump dort ein Meeting abhält.
KEYSTONE

Im April 2018 wird Giuliani Trumps persönlicher Anwalt, nachdem untersucht wird, ob Russen die Wahl 2016 manipuliert haben. Während der Mueller-Bericht Trump nicht zu Fall bringt, mündet der Ukraine-Skandal 2019 in einem Amtsenthebungsverfahren, das jedoch erfolglos bleibt.

Hausdurchsuchung und Milliardenklage

Giuliani spielt dabei die unrühmliche Rolle des Agenten, der für Trump in Osteuropa nach Munition für den politischen Kampf gegen Joe Biden sucht. Als die Republikaner dennoch die Wahl 2020 verlieren, ist es Giuliani, der an vorderster Front die Mär vom Wahlbetrug unters Volk bringt.

Temporäres Team: Rudy Giuliani (links) und Donald Trump am 20. November 2016 vor einem Golf-Club im US-Bundesstaat New Jersey.
Temporäres Team: Rudy Giuliani (links) und Donald Trump am 20. November 2016 vor einem Golf-Club im US-Bundesstaat New Jersey.
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Der Lohn? Nichts als Ärger: Der Ex-Bürgermeister hat im Bundesstaat New York im Juni seine Zulassung als Anwalt verloren. In Washington D.C. darf der frühere Generalstaatsanwalt von New York seit Juli nicht mehr juristisch tätig werden. Ausserdem ermittelt das FBI gegen Giuliani wegen seiner Rolle im Ukraine-Skandal: Erst im April wurde seine Wohnung in New York durchsucht.

Weiteres Ungemach droht durch private Kläger: Das Unternehmen Dominion Voting Systems will 1,3 Milliarden Dollar Schadenersatz, weil Giuliani deren Wahlmaschinen für manipuliert erklärt hat. Der Versuch, den Prozess abweisen zu lassen, ist gescheitert.

Vom einstigen 9/11-Helden ist wenig übrig geblieben: Rudy Giuliani am 24. Juni 2021 in New York.
Vom einstigen 9/11-Helden ist wenig übrig geblieben: Rudy Giuliani am 24. Juni 2021 in New York.
KEYSTONE

Von harmlosen Fürzen und fragwürdigen Filmszenen

Giulianis Verteidiger berufen sich ersten Dokumenten zufolge darauf, dass dessen Aussagen «substanziell wahr» wären – was vor Gericht erst einmal zu beweisen ist. Das könnte teuer werden, und schon jetzt kosten diese juristischen Streitereien jede Menge Geld: Kein Wunder, dass sich der einst so gefeierte Kopf jetzt auf Cameo als Grussaugust verdingt.

Der Absturz dieses Mannes nach dem 11. September ist enorm. Früher der patente Krisenmanager, der mal mit harter Hand, mal durch gefühlvolle Ansprachen hervorragte. Heute denkt man an ungelenke TV-Auftritte, wilde Interviews und andere Fauxpas – von harmlosen Fürzen bis zu fragwürdigen Szenen mit einer vermeintlichen Tochter im Film «Borat 2».

Die schlechten Nachrichten reissen nicht ab: Auf Cameo wird Giuliani hereingelegt und feiert Leute, die gegen einen Klienten kämpfen. NBC bringt Überschriften wie «Rudy Giuliani sagt, die USA würden ‹durchdrehen› und dementiert, dass er ein Alkoholproblem hat». Und nun wirft auch noch seine PR-Frau hin. Christianné Allen hat nach zwei Jahren gekündigt, doch die Welt steht ihr noch offen. Sie ist ja erst 22.

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