Nato-Mitglied auf AbwegenDie Türkei pfeift auf den Westen
Von Gabriela Beck
25.10.2022
Russische Oligarchen scheinen in der Türkei einen sicheren Hafen für ihre Jachten gefunden zu haben, während Erdogan einen neuen Energie-Deal mit Russland plant. Das erhöht die Spannungen mit den USA.
Von Gabriela Beck
25.10.2022, 06:30
25.10.2022, 12:01
Gabriela Beck
In den letzten Monaten haben sich laut einer Analyse der «New York Times» mindestens 32 Luxusjachten, die mit russischen Oligarchen oder sanktionierten Unternehmen in Verbindung stehen, in türkische Gewässern geflüchtet oder in türkischen Häfen festgemacht. Allein vier Luxusboote, die dem russischen Oligarchen Roman Abramovich zugeordnet werden, befanden sich demnach im August in der Türkei.
Der Grund: Dort müssen sich die Besitzer keine Sorgen wegen einer Beschlagnahmung ihrer schwimmenden Wertanlagen machen, da sich die Türkei – als einziges NATO-Land – nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündete bereits im März, dass die Türkei wegen ihres Energiebedarfs und ihrer Industrieabkommen keine Sanktionen verhängen könne.
Die USA und die EU hatten zuletzt den Druck auf die Türkei erhöht, sich ihren Massnahmen gegen Russland anzuschliessen. Erdogan führt hingegen an, die Türkei könne als neutraler Akteur mögliche Waffenstillstandsgespräche zwischen Kiew und Moskau erwirken.
Doch die Türkei profitiert vor allem wirtschaftlich. Das Land kauft seit Kriegsbeginn grosse Mengen russisches Öl und hat seine Exporte in Putins Reich fast verdoppelt.
Während die westlichen Länder die Flugverbindungen nach Russland gekappt haben, ist die Türkei zum Knotenpunkt für den internationalen Luftverkehr mit Russland geworden. Im Sommer gab es an manchen Tagen bis zu 200 Flüge zwischen beiden Ländern.
Oligarchen-Jachten nur Teil des Problems
Die Ansammlung russischer Superjachten in türkischen Gewässern erhöht nun die Spannungen mit den Vereinigten Staaten, die die Aufnahme der Schiffe als Symptom für ein grösseres Problem sehen: dass sich Russland einen Zugang zum türkischen Finanzsystem verschaffen und somit die westlichen Sanktionen umgehen könnte.
Erst auf Druck des US-Finanzministeriums, das türkische Banken vor dem Verlust wichtiger Korrespondenzbeziehungen zu globalen Banken und des Zugangs zum US-Dollar warnte, sollte sich am florierenden Geschäft türkischer Unternehmen mit Russland nichts ändern, sahen mehrere türkische Banken im September davon ab, das Mir-Zahlungssystem zu akzeptieren – das russische Äquivalent zu Visa oder MasterCard.
USA drohen mit Sanktionen gegen die Türkei
Den Vereinigten Staaten stünden allerdings auch andere Instrumente zur Verfügung, um ihre Sanktionen gegen russische Oligarchen durchzusetzen, wird Daniel Tannebaum im Bericht der «New York Times» zitiert – selbst wenn sich deren Schiffe in türkischen Gewässern befänden und selbst wenn die türkische Regierung nicht zur Zusammenarbeit bereit sei. Der ehemalige Sanktionsbeamte stand in Diensten des US-Finanzministeriums und der Federal Reserve Bank of New York.
Eine Möglichkeit, sagte er, sei die Verhängung von Sanktionen gegen Unternehmen vor Ort, die die Jachten der Oligarchen in der Türkei warten – die Marinas, Caterer und Tankstellen. In diesem Fall wären aber nicht nur russische Jachtbesitzer betroffen, sondern auch die vielen amerikanischen Schiffseigner, die sich gerade in türkischen Gewässern aufhalten.
Türkische Unternehmen investieren in Russland
Doch die Problematik geht weit über das Jachten-Dilemma hinaus: Russische Unternehmer gründen immer mehr Firmen in der Türkei oder beteiligen sich an ihnen und können so die westlichen Sanktionen umgehen. Allein in den vergangenen sieben Monaten wurden in der Türkei 720 Unternehmen durch Russen oder mit russischer Beteiligung gegründet. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2021 waren es insgesamt 39 Unternehmen.
Laut dem türkischen Nachrichtenportal TGRT kaufen andererseits türkische Unternehmen in Russland europäische Unternehmen auf. So habe der türkische Schuhhersteller FLO mehr als 100 Läden des Sportartikel-Herstellers «Reebok» erworben.
Auch westliche Unternehmen nutzen die Türkei als Umschlagplatz für Waren, die sie wegen der Sanktionen nicht direkt nach Russland liefern dürfen.
Neuer Energiedeal zwischen Putin und Erdogan
Kremlchef Putin und sein türkischer Amtskollege Erdogan trafen sich in den vergangenen Monaten mehrmals. Der russische Präsident hat vorgeschlagen, die Türkei mithilfe russischen Gases zu einer Börse für Erdgas und einem Umschlaglatz und auszubauen, aus dem Erdgas in weitere Länder transportiert werden soll.
«Heute sind die Preise himmelhoch und wir könnten sie dort ruhig regulieren auf ein normales Marktniveau ohne irgendwelche politische Einfärbung», sagte Putin Mitte Oktober bei einem Treffen der beiden Staatschefs in Astana im zentralasiatischen Kasachstan am Rande der Konferenz für Zusammenarbeit und vertrauensbildende Massnahmen in Asien (CICA).
Putin und Erdogan vereinbaren engere Zusammenarbeit bei Wirtschaft und Energie
Der russische Präsident Wladimir Putin und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan haben sich auf eine verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Energie geeinigt.
06.08.2022
Putin zufolge könnte mehr Gas über die Türkei nach Europa geleitet werden. Dies sei «aktuell der sicherste Lieferweg». Die Pipeline Turkstream, die durch das Schwarze Meer und die Türkei nach Südosteuropa führt, ist derzeit die einzige Leitung, die noch nennenswerte Mengen russisches Gas nach Europa liefert.
Der türkische Präsident verteidigte seinen kooperativen Kurs gegenüber Russland gegen scharfe Kritik aus den NATO-Partnerländern und forderte seine Regierung auf, «unverzüglich» mit der Arbeit an dem Drehkreuz zu beginnen.