USAEin Hauch von 2016 – Nervosität in Biden-Heimat Wilmington
SDA
4.11.2020 - 11:56
Es ist 00.42 Uhr, als Joe Biden in der Wahlnacht die Bühne betritt und sagt, was in seiner Heimatstadt Wilmington keiner hören will. Es könne noch dauern. Vielleicht bis zum Morgen. Vielleicht sogar noch länger. Der 77-Jährige zitiert dann auch noch seinen Grossvater, der immer gesagt habe: «Joey, behalte Deinen Glauben.»
Bidens Stimme hallt über den Parkplatz des Chase Center am Rande der Innenstadt, auf dem seine Unterstützer stundenlang bei wenigen Grad über Null in ihren Autos ausgeharrt hatten. Nun müssen sie noch länger warten. Denn die US-Präsidentenwahl 2020 wird zur Hängepartie.
Hundert Meter entfernt steht Erin hinter dem schwarzen Zaun, den der Secret Service grossräumig um den Veranstaltungsort aufgestellt hat. Die junge Frau, die nur ihren Vornamen nennen will, wohnt in Wilmington und hatte auf eine Siegesfeier gehofft. Stattdessen werden jetzt böse Erinnerungen wach: «Es ist die gleiche ängstliche Energie wie 2016», sagt sie. Wie vor vier Jahren, als die Umfragen Hillary Clinton klar vorne gesehen hatten – und sie am Ende doch gegen Donald Trump verlor. «Hoffentlich wiederholt sich die Geschichte nicht».
Eigentlich wollte Biden mit Freunden und Fans in dieser Nacht einen historischen Sieg feiern. Eingeladen waren Lokalpolitiker und andere Unterstützer. Viele brachten Familie mit. Die Umfragen waren vielversprechend. Biden und Wilmington, das ist eine Beziehung, die über fast sieben Jahrzehnte gewachsen ist. Man kann dem Ex-Vizepräsidenten in der 70 000-Einwohner-Stadt im Bundesstaat Delaware kaum entkommen, so tief ist er hier verwurzelt.
In Restaurants hängen Biden-Fotos mit stolzen Gastwirten. Bei Footballspielen der örtlichen Uni sieht man ihn oft – meistens im Gespräch mit den Leuten und einem breitem Lächeln. Auch in der Wahlnacht lächelt Biden, wenn auch müde und abgekämpft. «Wir glauben, dass wir auf dem Weg sind, diese Wahl zu gewinnen», sagt er und strahlt Zuversicht aus. Von den Autos vor ihm kommt ein Hupkonzert, dass aufmuntert sein soll, sich aber irgendwie kläglich anhört.
Über der Bühne weht die Flagge der Vereinigten Staaten, die wohl niemals in ihrer modernen Geschichte so gespalten waren wie heute. Biden will das Land in der Krise zusammenhalten und beruhigen. Er ruft: «Es ist nicht an mir und es ist nicht an Donald Trump, zu erklären, wer diese Wahl gewonnen hat. Das ist eine Entscheidung des amerikanischen Volkes». Wenig später erklärt Trump trotzdem seinen Sieg. Es ist ein Nervenkrieg historischen Ausmasses, auf dem Spiel steht alles.
Biden redet drei Minuten. Dann ist es für die Nacht vorbei. Ronny bahnt sich einen Weg durch die Autos, die nun davon fahren, ruhig und gesittet, aber auch ein bisschen unter Schock. Er habe natürlich für Biden gestimmt, sagt Ronny mit düsterer Miene. «Ich hätte nicht gedacht, dass das so eng wird». Er zieht an einer selbstgedrehten Zigarette. Es helfe alles nichts, meint er dann. Jetzt gelte es, Ruhe zu bewahren.
Auch Erin und Becca sind auf dem Weg nach Hause. «Es ist ein bisschen angsteinflössend, aber ich bin optimistisch», sagt Becca. Die Party ist abgesagt. Erstmal für diese Nacht. Vielleicht aber auch für immer.
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