Bachmut vor dem FallEine verlorene Schlacht, aber noch kein verlorener Krieg
Von Andreas Fischer
6.3.2023
Ukrainische Truppen in Bachmut unter Druck
Die Versorgung der Truppen wird nach Angaben aus Grossbritannien immer schwieriger. So gut wie alle Zufahrtsstrassen liegen unter russischem Beschuss.
04.03.2023
Die Ukraine wird das seit Monaten umkämpfte Bachmut wohl aufgeben müssen. Dies sei ein «signifikanter Moment», sagt Militär-Analyst Niklas Masuhr. Die Auswirkungen sind aber noch nicht abschätzbar.
Von Andreas Fischer
06.03.2023, 18:11
Von Andreas Fischer
Eine offizielle Bestätigung für einen Abzug gab es vom ukrainischen Militär bislang nicht, doch Militärbeobachter gehen davon aus, dass Kiew einen Teil seiner Streitkräfte aus der seit Monaten umkämpften Stadt Bachmut abziehen könnte. Die russische Armee greift die Stadt seit sechs Monaten an. Bislang haben die Ukrainer erfolgreich Widerstand geleistet.
Aber: Von einst 74'000 Einwohnern harren nach offiziellen Angaben nur noch etwa 5000 Zivilisten in den Ruinen aus. Bachmut ist praktisch komplett zerstört. Von Beobachtern wird angezweifelt, ob die Ukraine weiter Widerstand zur Verteidigung Bachmuts leisten sollte.
Für die Moral ist Bachmut wichtig
Auch Niklas Masuhr äussert sich auf Nachfrage von blue News skeptisch. «Es verdichten sich die Anzeichen, dass seit der Einnahme der flankierenden Ortschaften das Verlustverhältnis in Bachmut zu russischen Gunsten liegt», analysiert der Sicherheitsforscher am Center for Security Studies der ETH Zürich.
Die Frage, ob der Ort für die Ukraine noch «zu halten» ist, sei weniger relevant als die Frage zu welchen Kosten. «Bachmut hat beschränkten militärischen Wert. Man muss davon ausgehen, dass die Ukraine weiter westlich Verteidigungsstellungen errichtet hat», so Masuhr. Allerdings sei der politische Wert – etwa die Moral in den Truppen und in der Bevölkerung – höher, weshalb «Kiew hier möglicherweise eine höhere Verlusttoleranz hat.»
Russland nutzt ukrainische Truppen ab
Analysten messen Bachmut nur einen geringen strategischen Wert zu, da nach der Vertreibung der russischen Truppen aus dem Gebiet Charkiw keine Einkesselung des Ballungsraums zwischen Slowjansk und Kramatorsk drohe. Für Niklas Masuhr ist eine andere Frage entscheidend: Nämlich «ob und zu welchem Grad die ukrainische Führung ihre qualifizierteren Truppen eingesetzt hat, um sich in Bachmut Zeit zu kaufen».
Diese Truppen würden andernorts fehlen. «Ein russischer Erfolg bei Bachmut wäre es möglicherweise weniger, die Frontlinie nach Westen zu verschieben», erläutert Masuhr, «sondern ausreichend ukrainische Truppen abgenutzt zu haben, um zukünftige Gegenoffensiven zu erschweren oder zu verzögern.» Es würden widersprüchliche Angaben kursieren, zu welchem Grad dies insbesondere in den vergangenen Wochen passiert sei, «inklusive der Frage, ob ukrainische Luftlandetruppen zum Decken des Abzugs oder zum Halten der Position nachgeführt wurden».
Russland gewinnt den Krieg nicht in Bachmut
Wie es nach der allfälligen Eroberung Bachmuts durch Russland in der Region weitergehen wird und welche Optionen der Ukraine in dem Fall blieben, sei nicht vorherzusehen, so Masuhr. «Als Sewerodonetsk im Sommer 2022 gefallen ist, schien für manche klar, dass Russland diesen Krieg gewinnen würde. Dann aber konnte die Ukraine die US-Raketenwerfer HIMARS einsetzen und die Initiative an sich reissen, was in den bisher erfolgreichsten Gegenoffensiven mündete.»
Masuhrs Punkt sei nicht, «dass sich dieses Muster notwendigerweise wiederholt, sondern dass aktuell niemand wissen kann, welchen Effekt die Situation in Bachmut auf den weiteren Kriegsverlauf haben wird.» Der Unterschied zum Sommer sei allerdings, dass Russland noch Reserven aus der Mobilisierungswelle zur Verfügung habe. «Aber dies trifft auch auf die ukrainische Seite zu, deren Truppen zudem mit NATO-Ausrüstung ausgebildet werden.»
Überleben nahe Bachmut: «Es ist einfach unerträglich»
In der Kleinstadt Tschassiw Jar nahe der heftig umkämpften Stadt Bachmut im Osten der Ukraine sind die meisten Einwohner geflohen. Wer geblieben ist, muss unter widrigen Bedingungen überleben – meist ohne Wasser, Strom und Heizung.