Österreichs Regierung Eiserne Regeln und ungewollte Schlagzeilen: 100 Tage Kurz

von Matthias Röder, dpa

26.3.2018

Die ÖVP-FPÖ-Regierung in Österreich hat in ihren ersten 100 Tagen mehr Sicherheit und weniger Steuern versprochen. Regierungschef Sebastian Kurz propagierte einen neuen Stil, er wollte Einigkeit demonstrieren. Trotzdem kam es zu vielen Schlagzeilen: Es ging um Nazi-Lieder und das Aus fürs Rauchverbot.

Der Plan schien einfach und wirkungsvoll. Jede Woche ein Thema aus dem Koalitionsvertrag bespielen, Gemeinsamkeit demonstrieren, Zeichen der Veränderung setzen. Der im Wahlkampf propagierte «neue Stil» im Vergleich zur völlig zerstrittenen Vorgänger-Koalition sollte die Bürger gleich zum Auftakt überzeugen. Doch in den ersten 100 Tagen ihrer Regierung las die neue rechtskonservative Regierung Österreichs öfter Schlagzeilen, die nicht ins Drehbuch passten. «Rauchverbot wird Test für Regierung», «Koalition: Einwände unerwünscht», «Regieren statt agitieren», titelten Wiener Zeitungen kritisch über Themen und Auftreten der Koalition aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ.

So soll das Überwachungspaket, mit dem der Staat verdachtsabhängig die Kommunikation im Internet mittels Spionagesoftware deutlich leichter kontrollieren kann, ohne parlamentarische Begutachtung zum Gesetz werden. Das Kippen des ab Mai geplanten Gastro-Rauchverbots sorgte für hitzige Angriffe der Opposition und viele hämische Kommentare. Eine Durchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), deren Anlass und Folgen noch schwer durchschaubar sind, rückte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) in den Mittelpunkt des Interesses. Und über allem schwebte der Verdacht, dass FPÖ-Funktionäre immer noch verankert sind im NS-Gedankengut.

Vorwurf des Antisemitismus

In zwei Fällen mussten FPÖ-Politiker sich vehement gegen den Eindruck wehren, dass sie sich im judenfeindlichen Umfeld tummeln. In Burschenschaften, in denen sie verkehren, waren Liedtexte mit antisemitischem Inhalt aufgetaucht. Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch ortete im Februar in einer 47-seitigen Analyse bei der FPÖ eine jahrelange «systematische Unterstützung von Antisemitismus» mittels Anzeigen beim extrem rechten Monatsmagazin «Aula». Angesichts der Kritik lässt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine Historikerkommission die Geschichte der Partei durchleuchten.

Trotz oder gerade angesichts mancher Wirbel hat die Koalition eisern an ihrer Regel Nummer eins festgehalten: Geschlossenheit und keinen regierungsinternen Streit. Es soll ums grosse Ganze und nicht mehr um kleine parteitaktische Siege gehen: «Was ich in den ersten 100 Tagen positiv erlebt habe, ist, dass es möglich ist Veränderung einzuleiten und auch einen Kurswechsel zustande zu bringen, wenn man sich anstrengt, wenn man möchte, und wenn auch der politische Wille da ist», sagt Kurz im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Der Koalitionspakt lege fest: Mehr Sicherheit, weniger Steuerlast. «Und mit dem Zweijahres-Budget gibt es erstmals seit über 60 Jahren ein Ende der Schuldenpolitik in Österreich», sagt Kurz.

Nur der Regierungschef hat Regierungserfahrung

Der 31-Jährige, jüngster Regierungschef in Europa, hat seine ersten 100 Tage unfallfrei absolviert. Um den Kritikern seiner Koalition den Wind aus den Segeln zu nehmen, reiste er nach Amtsantritt demonstrativ zuerst zu den EU-Spitzen nach Brüssel. Niemand solle Wien einen anti-europäischen Kurs vorhalten können. Von dort nahm er den Satz mit, der seitdem auch in anderen europäischen Hauptstädten gilt. «Wir wollen sie an den Taten messen», versprachen die europäischen Partner einen fairen Umgang auch mit der FPÖ. In der zweiten Jahreshälfte wird Österreich den EU-Ratsvorsitz übernehmen. Schon jetzt ist klar, dass Kurz Signale zur Budgetdisziplin in Brüssel angesichts des Brexits aussenden wird. Obendrein könne die illegale Migration nach Europa so nicht weitergehen, meint er.

Beim Blick auf die Aussenpolitik der Regierung in den ersten 100 Tagen fällt auf, dass Österreichs neue Chefdiplomatin Karin Kneissl eine bemerkenswert souveräne Figur macht. Der 53-jährigen vielsprachigen Nahost-Expertin ist es mit Kompetenz, Charme und alter diplomatischer Schule gelungen, den Dauerstreit zwischen Wien und Istanbul zu entkrampfen. Strittiges, wie den möglichen EU-Beitritt der Türkei, lässt man aussen vor, nähert sich aber auf vielen anderen Feldern an. Auf FPÖ-Ticket in die Regierung bestellt, zählt die Parteilose zweifelsohne zu den Gewinnern unter den 15 Neueinsteigern im Kabinett Kurz. Nur der Regierungschef hat Regierungserfahrung.

Rückenwind bekommt die Regierung von der Konjunktur, die so gut läuft wie lange nicht mehr. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sagt für 2018 ein reales Wachstum von 3,2 Prozent voraus, 2019 soll es bei 2,2 Prozent liegen - mit entsprechend positiven Folgen fürs Budget und für die Arbeitslosenzahlen.

Stimmungstest zeigt erfolgreiche ÖVP

Dass zumindest die ÖVP und Kurz die Erwartungen zu erfüllen scheinen, legen Umfragen und auch die jüngsten Landtagswahlen nahe. Der Stimmungstest in Tirol und Niederösterreich zeigte eine äusserst erfolgreiche ÖVP, in Kärnten gelang der SPÖ dank des populären SPÖ-Ministerpräsidenten Peter Kaiser ein fulminanter Erfolg. Ohnehin spürt die SPÖ auch bundesweit einen leichten Aufwind. Die FPÖ hingegen, Anlass fast aller Negativ-Schlagzeilen, muss laut Umfragen deutliche Einbussen hinnehmen. Sie liegt nur noch bei 22 Prozent, vier Prozentpunkte weniger als bei der Wahl im Oktober 2017.

In einer Umfrage - dem ATV Österreich Trend - wird die Arbeit der Regierung erstmals seit März 2009 überwiegend positiv bewertet. 49 Prozent der Befragten sind demnach sehr oder eher zufrieden, 44 Prozent weniger bis gar nicht.

Auffällig ist: Die Inszenierung hat eine überragende Bedeutung. Die Auftritte der Regierungsmitglieder nach dem wöchentlichen Ministerrat sind im Gegensatz zum freien Gegeneinander in der früheren grossen Koalition streng auf Harmonie bedacht. Das geht manchen schon zu weit. «Es herrscht ein Angstregime vor», zitiert die «Kleine Zeitung» einen Insider. «Der Druck ist enorm, keine Fehler zu machen.»

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