Grabschen, küssen, Cuomo Ein Dinosaurier, der nicht aussterben will

Von Philipp Dahm

4.8.2021

Andrew Cuomo verteidigt sich am 3. August gegen neue Vorwürfe von sexueller Belästigung.
Andrew Cuomo verteidigt sich am 3. August gegen neue Vorwürfe von sexueller Belästigung.
AP

In der Pandemie galt er noch als präsidialer Gegenentwurf zu Donald Trump, doch nun steht Andrew Cuomo vor einem Scherbenhaufen: New Yorks Gouverneur steht nach neuen Vorwürfen vor dem politischen Aus.

Von Philipp Dahm

Die Interviews und Beweise enthüllen ein verstörendes, aber gleichzeitig klares Bild: Gouverneur Cuomo hat aktuelle und frühere Staatsbedienstete sexuell genötigt und damit sowohl gegen Bundes- als auch Staatsrecht verstossen. Viele davon waren junge Frauen. Er hat unerwünscht gegrapscht, geküsst und unangebrachte Sprüche gebracht.

Darüber hinaus sind der Gouverneur und sein Team mindestens gegen eine frühere Angestellte vorgegangen, weil sie ihre Geschichte, ihre Wahrheit vorgetragen hat. Die Administration von Gouverneur Cuomo hat einen toxischen Arbeitsort geschaffen. Angestellten fiel es nicht leicht, sich über Belästigungen zu beschweren – wegen eines Klimas der Angst und wegen der Machtverhältnisse.

Es ist starker Tobak, den Letitia James gestern gegen Andrew Cuomo vorbringt: Der Gouverneur des Bundesstaates New York steht vor dem Aus. Und das ausgerechnet, nachdem die Staatsanwältin, die er selbst mit einer Klärung von Vorwürfen betraut hat, nach denen er sich Frauen gegenüber falsch verhalten haben soll, ihn als Büro-Macho entlarvt.

Hässliche Geschichten

Der Demokrat selbst beraumt eiligst eine Pressekonferenz an, in der er um sein politisches Überleben kämpft. Es sei eine schwere Zeit für ihn und seine Familie gewesen, sagt der gebürtige New Yorker – «weil andere die Presse mit hässlichen Geschichten füttern».

Er habe die Untersuchung angestossen, sie nicht kommentiert, doch nun könne er «endlich die Wahrheit aufdecken». Er habe sich nie falsch verhalten, wohl gebe es aber Tausende Fotos, auf denen er sich Menschen nähere. Die Quintessenz seiner Verteidigung geht so:

Ich küsse Leute auf die Stirn. Ich küsse Leute auf die Wange. Ich küsse die Hand von Leuten. Ich umarme Leute. Ich drücke Leute. Männer und Frauen. Manchmal sage ich: ‹Ciao, Bella!› Mir rutscht manchmal ein ‹sweetheart›, ‹darling› oder ‹honey› raus. Ich scherze mit Leuten. Ich erzähle Witze – mal bessere, mal schlechtere. Ich bin öffentlich genau so, wie ich privat bin. 

Biden lässt Cuomo fallen

Sprich: Er ist einfach ein herzlicher Mann von altem Schlage, der will, dass sich die Menschen wohlfühlen – auch wenn er jetzt verstehe, dass es «kulturelle oder generationsbezogene Perspektiven» gebe, die anders seien. Seine Administration wolle «vorbildliches» Verhalten im Büro vorleben, und ein Experte überarbeite nun auch die offiziellen Richtlinien.



Andrew Cuomo betont, er werde nicht zurücktreten – doch sein Rauswurf ist nur noch eine Frage der Zeit. Es rumort an der Basis seiner eigenen Partei: Alle demokratischen New Yorker Abgeordneten im Kongress sprechen sich inzwischen für Cuomos Abgang aus – und auch Präsident Joe Biden hat genug.

«Ich denke, er sollte zurücktreten», macht der 78-Jährige auf Nachfrage von «CNN» deutlich. «Ich gehe davon aus, dass der Gesetzgeber [im Bundesstaat New York] ein Amtsenthebungsverfahren anstrebt, auch wenn ich nicht sicher bin.» Fest steht: Der Gouverneur ist auf sich allein gestellt.

«Er hat mich sexuell belästigt!»

Und wer soll dem 63-Jährigen noch glauben? Bei der Untersuchung wurden innert vier Monate 179 Zeugen befragt. Ein Fall sticht dabei heraus, weil Cuomo ihn bei seiner Verteidigung anspricht. Es geht um Charlotte Bennett, die einst sexuell missbraucht worden ist. Der Gouverneur versichert, er habe der jungen Frau nur helfen wollen, weil er sie verstanden habe.

Charlotte Bennett nennt Andrew Cuomos Verteidigung nur ein «Propaganda-Video». Sie will die Absetzung des New Yorker Gouverneurs.
Charlotte Bennett nennt Andrew Cuomos Verteidigung nur ein «Propaganda-Video». Sie will die Absetzung des New Yorker Gouverneurs.
Screenshot: YouTube

Bennett stellt die Sache bei «CBS» jedoch diametral anders dar. «Er versucht, sich selbst zu rechtfertigen, indem er so tut, als wüsste ich den Unterschied zwischen sexueller Belästigung und einem Mentor nicht», sagt die Betroffene. «Er hat mich sexuell belästigt! Ich bin nicht verwirrt und es ist nicht verwirrend. Ich lebe in der Realität, und er tut es leider nicht.»

Ob es stimmt, dass Cuomo ihr bloss durch eine «schwierige Zeit» habe helfen wollen, fragt «CBS»-Frau Norah O'Donnell. «Er wollte bloss mit mir schlafen», entgegnet Bennet klipp und klar. Und war das Ganze, wie Cuomo sagt, nur ein Missverständnis zwischen den Generationen? «Öffentlich spielt er den Dummen, privat weiss er, dass er Angestellte sexuell belästigt hat.»

Dinosaurier müssen aussterben

Wenn er wirklich Verantwortung übernehmen wolle, müsse er auch zurücktreten, sagt Bennett. «Eine Entschuldigung ist nicht nötig, sie ist fake.» Seine Erklärung nennt sie eine «Zirkusnummer»: «Ich finde seine Kommentare gefährlich. Es signalisiert den New Yorkern, dass sexuelle Belästigung nicht wichtig ist.»

Jene Frauen, die Anschuldigungen vorbringen, seien seriös, betont Staatsanwältin James: «Ich glaube ihnen. Und ich danke ihnen für ihren Mut. Und ich danke den unabhängigen Ermittlern, dass sie trotz der Attacken professionell geblieben sind und uns Gewissheit und die Wahrheit gebracht haben.»

Die Wahrheit ist, dass sich Andrew Cuomo Gedanken über einen neuen Job machen sollte. Der Versuch, sein Verhalten als etwas abzutun, was ältere Männer nun mal so machen – natürlich gänzlich ohne Hintergedanken –, ist zum Scheitern verurteilt. Es bringt nichts, sich damit zu verteidigen, dass man ein Dinosaurier ist: Ein Aussterben lässt sich damit nicht verhindern.