DeutschlandErdogan erklärt deutschen Botschafter zur unerwünschten Person
SDA
23.10.2021 - 18:22
Im Streit um die Inhaftierung des Kulturförderers Osman Kavala hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Botschafter Deutschlands, der USA und mehrerer anderer Staaten zu unerwünschten Personen erklärt.
Keystone-SDA
23.10.2021, 18:22
SDA
Er habe den Aussenminister dazu angewiesen, sagte Erdogan am Samstag in Eskisehir. «Ich sagte, kümmern Sie sich darum, diese zehn Botschafter so schnell wie möglich zur «Persona non grata» zu erklären», so Erdogan. Ein solcher Schritt führt in der Regel zur Ausweisung der Diplomaten.
Hintergrund ist der Einsatz der Diplomaten für den inhaftierten Kulturförderer Osman Kavala. Der 64-Jährige sitzt seit 2017 in Istanbul in Untersuchungshaft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schon 2019 seine Freilassung angeordnet hatte. Die Türkei ignoriert das Urteil bislang.
Der Eklat bahnte sich schon am Montag an: Die Botschaften von zehn Ländern forderten in einem Aufruf mit Verweis auf das EGMR-Urteil die Freilassung Kavalas. Veröffentlicht wurde die Erklärung von den Botschaften aus Deutschland, den USA, Frankreich, Kanada, Finnland, Dänemark, den Niederlanden, Neuseeland, Norwegen und Schweden. Ankara verstand das als Einmischung in innere Angelegenheiten und reagierte scharf. Schon einen Tag später mussten die Diplomaten im türkischen Aussenministerium vorstellig werden. Der Aufruf sei «masslos» und «inakzeptabel» wurde ihnen deutlich gemacht.
Auch Erdogan tobte: «Steht euch zu, der Türkei so eine Lektion zu erteilen? Wer seid ihr schon?», hatte er am Donnerstag gesagt. Deutschland oder die USA liessen «Ganoven, Mörder und Terroristen» auch nicht einfach frei. Indirekt deutete Erdogan auch schon eine bevorstehende Ausweisung an.
Würden die Diplomaten wirklich zu unerwünschten Personen erklärt, würde die Türkei deren Tätigkeit auf ihrem Staatsgebiet vorzeitig beenden. Der Entsendestaat müsste die Botschafter innerhalb einer bestimmten Frist abberufen.
Ein solcher Schritt würde zu einer tiefen Krise in den Beziehungen des Nato-Lands Türkei zu Europa und den USA führen. Deutschland und die Türkei hatten sich eigentlich wieder angennährt, nachdem die Inhaftierung von deutschen Staatsbürgern 2017 zu einem tiefen Zerwürfnis in den bilateralen Beziehungen geführt hatte. Erst vergangene Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch bei Erdogan die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Beziehungen betont.
Erdogan greift den Kulturförderer Kavala auch immer wieder persönlich an. Erst vor Kurzem bezeichnete er ihn als «Soros-Überbleibsel» – im Bezug auf den US-Philantropen und Investor George Soros. Wie Soros fördert Kavala zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte. Kavala ist etwa Gründer der Organisation Anadolu Kültür in der Türkei, die unter anderem mit dem Goethe-Institut und anderen deutschen Stiftungen zusammenarbeite.
Erdogan ist solches Engagement zutiefst suspekt. Er sieht Kavala als Teil eines internationalen Netzwerks, um Unruhen in seinem Land zu schüren. Seine Angst: ein Umsturzversuch ähnlich wie ihn die Türkei 2016 erlebt hat. Auch die regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 sind für Erdogan nichts anderes als der Versuch gewesen, seine Regierung zu stürzen.
Kavala war ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die Gezi-Proteste finanziert und organisiert zu haben. Dann folgte ein juristisches Gerangel: Im Februar vergangenen Jahres sprach ein Gericht Kavala frei und er sollte, wie auch vom EGMR angeordnet, freigelassen werden. Ein neuer Haftbefehl sorgte allerdings dafür, dass Kavala in Haft blieb. Diesmal wurde ihm «politische und militärischen Spionage» im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Auch das Verfahren im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten wurde neu aufgerollt. Kavala und mehr als 50 weitere Angeklagte müssen sich für die Vorwürfe in einem Verfahren in Istanbul verantworten.
Aus Protest gegen die Anschuldigungen Erdogans hatte Kavala am Freitag über seine Anwälte wissen lassen, dass er an zukünftigen Gerichtsverhandlungen nicht mehr teilnehmen werde. Ein fairer Prozess sei unter diesen Umständen ohnehin nicht mehr möglich.
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