Erdogan in Brüssel EU will Flüchtlingspakt mit der Türkei retten

dpa/tpfi

10.3.2020

Ursula von der Leyen (l-r), Präsidentin der Europäischen Kommission und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates sprechen mit Recep Tayyip Erdogan, Präsidenten der Türkei und Mevlut Cavusoglu, Aussenminister der Türkei im Rahmen des Treffens der Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei.
Ursula von der Leyen (l-r), Präsidentin der Europäischen Kommission und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates sprechen mit Recep Tayyip Erdogan, Präsidenten der Türkei und Mevlut Cavusoglu, Aussenminister der Türkei im Rahmen des Treffens der Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei.
dpa

Die Grenze zur EU ist für Migranten offen — das erzählt jedenfalls der türkische Präsident Erdogan. In Brüssel und Berlin sieht man das ganz anders. Finden beide Seiten im persönlichen Gespräch wieder zueinander?

Im Streit um das gemeinsame Flüchtlingsabkommen haben die EU und die Türkei versucht, die tiefen Gräben zu überwinden.

«Wir haben unterschiedliche Meinungen zu verschiedenen Punkten und deshalb ist es wichtig, einen klaren und offenen Dialog zu führen und zu schauen, wie wir die verschiessdenen Probleme überwinden können», sagte EU-Ratschef Charles Michel am Montagabend vor einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Brüssel. Erdogan betonte: «Wir wollen die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa — so Gott will — deutlich stärken.»

Spannungsgeladenen Gespräche

Das Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara ist angespannt. Erdogan hatte Ende Februar erklärt, die Grenze zur EU sei für Migranten offen. Daraufhin hatten sich Tausende auf den Weg in Richtung Griechenland gemacht. Dort wurden sie am Grenzübertritt gehindert, auch mit Tränengas und Wasserwerfern. Von Seiten der Migranten flogen immer wieder Steine. Zudem nimmt Griechenland vorübergehend keine Asylanträge mehr an, was Hilfsorganisationen kritisieren.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die am Montag ebenfalls an dem Treffen mit Erdogan teilnahm, rief Athen nun erstmals zur Mäßigung auf. Übermässige Gewalt müsse vermieden und die Grundrechte müssten gesichert werden — darunter das Recht, in der EU einen Asylantrag zu stellen. Es war das erste Mal, dass von der Leyen ein wenig auf Distanz zum griechischen Vorgehen ging. Bei einem Besuch vor einer Woche an der griechisch-türkischen Grenze hatte sie sich noch vorbehaltlos hinter das Vorgehen gestellt.

Nachdem die Türkei Anfang März ihre Grenzen für offen erklärt hat, versuchen Tausende Flüchtlinge und Migranten ins EU-Land Griechenland zu kommen.
Nachdem die Türkei Anfang März ihre Grenzen für offen erklärt hat, versuchen Tausende Flüchtlinge und Migranten ins EU-Land Griechenland zu kommen.
Bild: Emrah Gurel/AP/dpa

«Heute sind wir inmitten eines tiefen Dilemmas», sagte von der Leyen. Die Geschehnisse deuteten eindeutig auf politisch motivierten Druck auf die EU-Aussengrenzen hin. Zugleich bräuchten die Migranten, die an der Grenze ausharrten, ebenso Hilfe wie Griechenland.

EU-Türkei-Abkommen soll stehen

Michel und von der Leyen wollten bei dem Treffen mit Erdogan darauf dringen, dass Ankara sich wieder an das EU-Türkei-Abkommen von 2016 hält. Dies sieht unter anderem vor, dass die Türkei gegen illegale Migration in die EU vorgeht. Die Umsetzung dieser Vereinbarung sei der EU sehr wichtig, sagte Michel. Es gehe darüber hinaus um eine Stabilisierung der Lage in Syrien. Erdogan selbst dürfte auf weitere Hilfsgelder von der EU dringen.

Die Bundesregierung stellte am Montag klar, dass die Migranten an der griechischen Grenze nicht ohne weiteres nach Europa oder Deutschland weiterziehen können. «Die Türkei, ganz klar, trägt die Verantwortung dafür, diese verzweifelten Menschen in eine Sackgasse geschickt zu haben», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Er reagierte damit auch auf Äusserungen Erdogans. Der Präsident hatte Griechenland am Sonntag unverhohlen dazu aufgerufen, die Migranten an der Grenze in Richtung Mitteleuropa durchzulassen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, es gelte in der aktuellen Migrationskrise Zustände wie vor fünf Jahren zu vermeiden. «2020 ist nicht 2015», sagte sie. Die Bürger könnten erwarten, dass es die Politik schaffe, Flucht und Migration zu ordnen, zu steuern und zu verringern. Merkel nannte das Vorgehen der Türkei an der Grenze zu Griechenland erneut «inakzeptabel». Bei allem Verständnis für die grosse Last der Türkei, die 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen habe, könne diese kein Verständnis erwarten, wenn sie eigene Probleme auf dem «Rücken» von Flüchtlingen zu lösen versuche — die dann an der Grenze in einer Sackgasse landeten.

Hilfe für Kinder

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sagte auf derselben Veranstaltung in Berlin, Griechenland und die EU liessen sich von der Türkei nicht «erpressen». Die Türkei versuche, aus Zehntausenden Migranten «illegale Eindringlinge» zu machen. Die EU-Außengrenze müsse geschützt werden. Auch Regierungssprecher Seibert sagte, illegale Grenzübertritte könnten nicht erzwungen werden, «schon gar nicht mit Gewalt».

Von der Leyen betonte mit Blick auf schutzbedürftige Flüchtlingskinder auf den griechischen Ägäis-Inseln, den Verletzlichsten müsse geholfen werden. Es sei dringend nötig, Menschen auf das europäische Festland zu bringen. Es gebe bereits positive Reaktionen auf ihren Appell von vergangener Woche an die EU-Staaten, etwa von Frankreich, Portugal, Luxemburg, Finnland und Deutschland.

SPD und Union hatten in der Nacht bei einem Treffen im Kanzleramt beschlossen, dass Deutschland zusammen mit anderen EU-Staaten bis zu 1500 Kinder aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufnimmt. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte, diese humanitäre Aktion sei kein deutscher Alleingang.

Es geht dabei um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre sind, die meisten davon Mädchen. Auf europäischer Ebene werde derzeit verhandelt, um in einer «Koalition der Willigen» die Übernahme dieser Kinder zu organisieren. «In diesem Rahmen steht Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil zu übernehmen», teilte die Koalition mit.

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