Late Night USA «Eure Revolution ist so f*cking toll und ihr so umwerfend besser»

Von Philipp Dahm

7.2.2023

Moderator Bill Maher spricht über Winston Marshalls «Fehltritt», der ihn seinen Job bei Mumford & Sons kostete.
Moderator Bill Maher spricht über Winston Marshalls «Fehltritt», der ihn seinen Job bei Mumford & Sons kostete.
Screenshot: YouTube/Real Time with Bill Maher

Bill Maher ist ein liberaler Demokrat. Doch es gibt einen neuen Trend unter Linken, der den Late-Night-Host wütend macht. Er nennt es die «Woke-Revolution» – und liefert treffende Beispiele.

Von Philipp Dahm

Wenn Bill Maher seine «New Rules» präsentiert, wird es meistens giftig. Diesmal knöpft sich der bekennende Demokrat in seiner «Real Time» die eigenen Leute vor.

«Falls Sie Teil der heutigen Woke-Revolution sind, müssen Sie etwas über den Teil von Revolutionen lernen, die ausser Kontrolle geraten, weil sich die Revolutionäre so sehr an ihrem Reinheitselixier berauschen, dass sie glauben, sie könnten die Natur des Menschen neu erfinden», leitet der 67-Jährige seine Attacke ein.

De Kommunisten hätten geglaubt, sie könnten den Eigensinn ausrotten. «Die russischen Revolutionäre haben vom neuen sowjetischen Mann geträumt, der nicht von Eigeninteressen motiviert ist, sondern Teil eines Kollektivs ein will. Dann aber hat sich herausgestellt: Er will im Gucci-Trainer auf einer Yacht sein und einen Wodka und eine Prostituierte in der Hand halten.»

Anstehen für eine Kartoffel

Anstehen für eine Kartoffel sei da keine Alternative, schiebt Maher hinterher. Das Problem mit dem Kommunismus wie auch mit moderneren Ideologien sei aber, dass Leute glaubten, sie könnten die Realität ändern, indem sie «sie anschreien». Es gebe aber nun mal einen Unterschied «zwischen der Realität und deiner Mama», ätzt der New Yorker.

Der neue sowjetische Mann von anno dazumal erlebt quasi sein Comeback.
Der neue sowjetische Mann von anno dazumal erlebt quasi sein Comeback.
Screenshot: YouTube/Real Time with Bill Maher

Maher zitiert den früheren US-Präsidenten Abraham Lincoln, der sagte, man könne die Geschichte widerrufen, aber nicht den menschlichen Charakter. «Aber er wurde auch gecancelt», sagt der Moderator und zeigt das Bild einer gestürzten Lincoln-Statue. «Also scheiss auf ihn.»

Maher weiter: «Gestern habe [ich den Chatbot] ChatGPT gefragt: Gibt es Parallelen zwischen der heutigen Woke-Revolution und der Kulturrevolution des Vorsitzenden Mao [Zedong in China] in den 60ern gibt, und es hat geantwortet: ‹Wie viel Zeit hast du?›»

«Es gab viel Erniedrigung»

Der «grosse Vorsitzende» habe in Asien versucht, die Geschichte des Menschen neu zu schreiben: «Mao befahl seinen Bürger*innen, die ‹vier Alten› abzustreifen: altes Denken, alte Kultur, alte Bräuche und alte Gewohnheiten. Dein ganzes Leben ist also über Nacht in den Müll gewandert. Nichts Grosses.»

«Viel Erniedrigung»: Eselshüte in der Kulturrevolution.
«Viel Erniedrigung»: Eselshüte in der Kulturrevolution.
Screenshot: YouTube/Real Time with Bill Maher

Wer nicht mitziehen wollte, sei von einer «Armee von Reinigern» angegriffen worden: Diese Rote Garde habe Eselshüte im Land verteilt. «Es gab viel Erniedrigung und Mit-dem-Finger-zeigen. Oh, und eine Million Tote. Und der einzige Weg zu überleben war, für das Verbrechen nicht ausreichend radikal zu sein, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren.»

Dann habe man sich entschuldigen und dem Staat danken müssen, dass er einem gezeigt habe, was für ein «Stück Scheisse» man sei. Danach folgte die Umerziehung. «Oder wie wir es in Amerika nennen: Erstsemester-Orientierung.»

Fall aus der echten Welt

Womit Maher beim Thema ist: Er berichtet vom Fall eines Jus-Professors der Universität Illinois in Chicago. «Jason Kilborn hat das Verbrechen begangen, bei einem seiner Examen den hypothetischen Fall einer schwarzen Arbeiterin zu nehmen, die ihren Arbeitgeber wegen rassistischer und sexistischer Diskriminierung verklagt.»

Fall aus der echten Welt: Jus-Professor Jason Kilborn hat jede Menge Ärger am Hals.
Fall aus der echten Welt: Jus-Professor Jason Kilborn hat jede Menge Ärger am Hals.
Screenshot: YouTube/Real Time with Bill Maher

Demnach hätten Vorgesetzte zwei Slang-Schimpfworte benutzt. «Es ist der Typus eines Falls aus der echten Welt, dem Student*innen eines Tages wirklich begegnen könnten», weiss Maher. «Und weil [der Professor] die extreme Empfindlichkeit der heutigen Studenten kennt, hat er beim Test die beiden Tabu-Wörter nicht ausgeschrieben, sondern nur den jeweils ersten Buchstaben benutzt.»

Der Mann hab seinen Schüler*innen beibringen wollen, dass man Rassismus bekämpfen muss, wo es am wichtigsten ist: im Justizwesen. Doch nur die Andeutung der Wörter sei trotz der guten Intention zu viel gewesen: «Er würde vom Campus verbannt, auf unbestimmte Zeit beurlaubt und gezwungen, einen Eselshut zu tragen.»

«Wöchentliche mit einem Diversitätstrainer»

Letzteres ist natürlich eher bildlich zu sehen. Es sei die «amerikanische Version» des Eselshuts, mit dem der Delinquent gestraft worden ist, nervt sich der Moderator: acht Wochen Sensibiliserungstraining. «Wöchentlich eine 90-minütige Sitzung mit einem Diversitätstrainer. Er musste fünf Texte über Selbstreflexion schreiben. Ein Scheiss-Erwachsener. Ein liberaler Jus-Professor.»

Wer die Parallelen zur Kulturrevolution nicht sehe, gehöre selbst ins Umerziehungscamp: «Wir haben unsere eigene Rote Garde, aber hier wüten sie auf Twitter», ärgert sich Maher und berichtet vom Fall eines Banjo-Spieler: Das Mitglied von Mumford & Sons hat per Tweet ein Buch empfohlen, das «offensichtlich nicht von der Revolution genehmigt wurde».

Dieses Buch wurde dem Musiker Winston Marshall zum Verhängnis.
Dieses Buch wurde dem Musiker Winston Marshall zum Verhängnis.
Gemeinfrei

«Natürlich musste er den Tweet löschen», legt Maher die Folgen dar, «dann musste er Zeit abseits der Band verbringen – oh mein Gott, glaubt ihr, das könnte Mumford & Sons etwas anhaben? Und dann kam eine hündische Entschuldigung: ‹Ich bin dahin gekommen, dass ich den Schmerz besser verstehen kann, den das Buch verursacht hat, das ich empfohlen habe.›»

«Deine Generation ist so umwerfend besser»

Schmerz durch ein Buch: Maher fragt sich, ob der Banjo-Spieler dem Schlagzeuger mit dem Schinken eins übergebraten hat. «Was ist aus ‹Ich kann lesen, was auch immer ich will› geworden?» Und mit Blick auf den Delinquenten sagt er: «Keine Sorge, ich bin Musiker, es kommt nicht wieder vor.»

Maher erinnert an John Lennon und sein Lied «Revolution». «Leute, die den Song nicht kennen, dachten, es ei ein Aufruf zur Revolution. Es war das Gegenteil. Die Lyrics sind: ‹Du willst eine Revolution? Wir alle wollen die Welt ändern. Aber wenn du Bilder von Mao mit dir herumträgst, wirst du mit niemandem zusammenkommen.›»

Late Night USA – Amerika verstehen
blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Lennon habe verstanden, dass gute Absichten in einer «verrückten Arroganz» münden können. So nach dem Motto: «Eure Revolution ist so fucking toll und eure Generation ist so umwerfend besser, dass ihr die Welt mit einer neuen Art Mensch beglückt habt. Gern geschehen.»

«Mit jeder Grösse gesund»

Maher weiter: «Dieser neue Mensch war bei den Kommunisten nicht mehr egoistisch. Im heutigen Amerika wird dieser Mensch nicht mehr als männlich oder weiblich geboren, und Fettleibigkeit beeinflusst die Gesundheit nicht mehr. Du kannst mit jeder Grösse gesund sein. Wirklich, wir haben darüber abgestimmt.»

Der Moderator zitiert «The Atlantic», ein «früher einmal seriöses Magazin», das vor einiger Zeit titelte: «Den Sport nach Geschlechtern zu teilen, macht keinen Sinn mehr».  Maher kontert: «Doch, tut es! Weil – nochmals – wir den Menschen nicht neu erfunden haben – seit Crystal Pepsi rausgekommen ist.»

Mahers Fazit: «Ich habe drei Jahrzehnte im Fernsehen damit zugebracht, Republikaner zu verarschen, die sagen, der Klimawandel sei bloss Theorie. Und nun muss ich mich mit Leiten rumschlagen, die sagen: Wisst ihr, was auch bloss eine Theorie ist? Biologie.»