USAGegen «Dämonisierung»: Biden will das Land einen und Pandemie stoppen
SDA
8.11.2020 - 08:28
Der gewählte US-Präsident Joe Biden will auf die Anhänger des unterlegenen Amtsinhabers Donald Trump zugehen und sich entschlossen für die Eindämmung der Coronavirus-Pandemie einsetzen.
«Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der danach strebt, nicht zu spalten, sondern zu einen», sagte Biden am Samstagabend (Ortszeit) in seiner Siegesrede in seinem Wohnort Wilmington im Bundesstaat Delaware. Trumps Anhänger bat er, ihm eine Chance zu geben, um gemeinsam für ein besseres Amerika zu arbeiten.
Er sei als Demokrat gewählt worden, aber er werde der Präsident des ganzen Landes sein und «genauso hart für alle arbeiten, die mich nicht gewählt haben», versprach Biden (77). «Es ist Zeit, die harsche Rhetorik beiseite zu legen», forderte Biden. «Geben wir uns gegenseitig eine Chance», sagte er. «Lasst uns diese düstere Ära der Dämonisierung hier und jetzt zu Ende gehen lassen», sagte Biden. Seine Aussagen liessen sich als deutliche Kritik an Trumps aggressivem Stil verstehen – obwohl Biden sich nicht direkt zu dem Republikaner äusserte. Der Demokrat Biden war am Samstag von US-Medien im Rennen um das Weisse Haus zum Gewinner ausgerufen worden.
Seine Regierung werde die «Seele Amerikas» wiederherstellen und die USA wieder zu einem weltweit respektierten Land machen, versprach Biden. Zudem kündigte er an, schon am Montag einen Expertenrat zur Eindämmung der Corona-Pandemie vorstellen zu wollen. Er werde im Kampf gegen das Virus keine Mühe scheuen. Die «führenden Wissenschaftler und Experten» würden ihm helfen, einen «Aktionsplan» zu entwickeln, der schon ab dem Tag seiner Amtseinführung am 20. Januar umgesetzt werden könne, sagte Biden. Mit der Ankündigung in seiner Siegesrede, die sonst eher allgemein blieb, unterstrich Biden die Bedeutung des Kampfes gegen die Pandemie für seine Amtszeit.
Die gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris sprach in ihrer Siegesrede von einer Zeitenwende. «Als unsere Demokratie selbst auf dem Wahlzettel stand, die Seele Amerikas auf dem Spiel stand und die Welt zuschaute, habt ihr einen neuen Tag für Amerika eingeläutet», sagte Harris. Die Amerikaner hätten sich mit der Wahl Bidens für Hoffnung, Einheit, Wissenschaft und Wahrheit entschieden, sagte Harris. Die 56-Jährige würde die erste Frau und Schwarze im Vizepräsidentenamt. Harris sagte: «Auch wenn ich die erste Frau in diesem Amt sein mag, werde ich nicht die letzte sein. Denn jedes kleine Mädchen, das heute Nacht zuschaut, sieht, dass dies ein Land der Möglichkeiten ist.»
Bidens Erfolg im Schlüsselstaat Pennsylvania besiegelte am Samstag Trumps Abwahl nach einer Amtszeit als Präsident. Biden kam am Ende einer tagelangen Zitterpartie über die Marke von 270 Wahlleuten, die für einen Erfolg erforderlich waren. Trump wiederum erkannte Bidens Sieg nicht an und erklärte: «Die einfache Tatsache ist, dass diese Wahl noch lange nicht vorbei ist.»
Trump stellt sich als Opfer systematischen Wahlbetrugs dar, ohne dafür stichhaltige Beweise vorzulegen. Er sieht sich als legitimer Sieger der Wahl. Mit Hilfe seiner Anwälte will Trump seine Niederlage noch abwenden. Die Erfolgsaussichten gelten aber als extrem gering. Anders als üblich verzichtete Trump daher auch darauf, den Gewinner anzurufen und seine Niederlage einzugestehen.
In den USA ist es selten, dass ein Präsident nach nur einer Amtszeit abgewählt wird. Zuletzt war das bei George Bush senior der Fall, der die Wahl 1992 verlor. Einfach dürfte es für Biden als Präsident nicht werden. «Die Wahlergebnisse zeigen auf jeder Ebene, dass das Land nach wie vor tief und bitter gespalten ist», erklärte Ex-Präsident Obama, der bei allen Amerikanern für die Unterstützung Bidens warb. Mehr als 70 Millionen Wähler hatten Trump ihre Stimme gegeben.
Die Nachricht von Bidens und Harris' Wahlsieg löste auf den Strassen New Yorks, Washingtons, Philadelphias und anderer Grossstädte des Landes Jubel und Hupkonzerte aus. An der Nordseite des Weissen Hauses feierten im Laufe des Tages Tausende ausgelassen Bidens Wahlsieg.
Mit Bidens Durchbruch in Pennsylvania ging ein Wahlkrimi zu Ende, wie ihn die USA in dieser Form noch nie erlebt hatten. Der Nachrichtensender CNN war am Samstag als erster kurz vor 17.30 Uhr deutscher Zeit mit dem Sieg Bidens auf Sendung gegangen – vier Tage nach der Wahl. Kurz darauf folgte dann auch die Nachrichtenagentur AP und die anderen Sender, inklusive Trumps Lieblingskanal Fox News.
In den USA ist es üblich, dass die Präsidentenwahl auf der Basis von Prognosen grosser Medienhäuser entschieden wird – normalerweise noch in der Wahlnacht. Die amtlichen Ergebnisse kommen teils erst viel später. Wegen der Corona-Pandemie hatten Millionen Amerikaner dieses Jahr aber per Brief abgestimmt, weshalb sich die Auszählung der Stimmen hinzog. Der US-Präsident wird nur indirekt vom Volk gewählt. Die Stimmen der Wähler entscheiden über die Zusammensetzung des Wahlkollegiums, das den Präsidenten dann im Dezember wählt. Für einen Sieg braucht ein Kandidat die Mehrheit der 538 Wahlleute.
Biden will die Beziehungen zu Verbündeten in aller Welt kitten und die USA in internationale Abkommen zurückführen. Zum Beispiel hat er eine Rückkehr der USA ins Pariser Klimaschutzabkommen angekündigt. Auch mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) will er – anders als Trump – weiter zusammenarbeiten.
In Deutschland sorgte der Sieg Bidens für Erleichterung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wünschte Biden «von Herzen Glück und Erfolg». «Unsere transatlantische Freundschaft ist unersetzlich, wenn wir die grossen Herausforderungen dieser Zeit bewältigen wollen.»
Bei der Abstimmung am Dienstag standen auch die 435 Sitze des Repräsentantenhauses und rund ein Drittel der Sitze im Senat zur Wahl. Beim Regieren kann Biden auf die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus setzen. Seine Partei konnte sich zunächst aber nicht die Kontrolle in der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, sichern. Über die Mehrheit für die kommenden zwei Jahre entscheiden voraussichtlich zwei Stichwahlen im Georgia Anfang Januar.
Die Auszählung der Stimmen dauerte unterdessen in mehreren Bundesstaaten noch an. In Georgia, Nevada, Arizona, North Carolina und Alaska gab es noch keinen Gewinner. Die ersten drei Staaten dürften relativ sicher an Biden gehen, die letzteren an Trump.
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