US-Wahl Geprellt und geplagt: USA halten bis zum Ende des Wahlkampfs durch

AP/twei

2.11.2020

Alle vier Jahre wird in den USA ein neuer Präsident gewählt, und auch in vorherigen Wahlkämpfen ging es schon heiss her. Doch dieser Wahlkampf 2020 war anders als vorherige.

Die Augen von Patra Okelo füllen sich mit Tränen, wenn sie an den Moment denkt, in dem ihr eine Wahrheit über die USA bewusst und ihre Unschuld weggewaschen wurde. Einen Moment lang dachte sie am 11. August 2017, es seien einfache Fackeln in der Entfernung an der Universität von Virginia, «das Schönste, was ich je gesehen hatte, Aufleuchten in der Dunkelheit».

Später sah sie die Flammen deutlicher im Fernsehen. Hunderte weisse Rassisten trugen diese Fackeln, entzündeten 24 Stunden des Zorns und des Todes, die aus der Stadt Charlottesville einen anhaltenden Schlachtruf der Präsidentschaftswahl 2020 machten. «Mein Herz brach in dieser Nacht», sagte die heute 29-jährige Okelo am Samstag, als Präsident Donald Trump und sein Herausforderer Joe Biden einige der letzten Wahlkampfauftritte vor der Wahl am Dienstag in einem gespaltenen Land absolvierten.



Präsidentschaftswahlen sind traditionell Momente, in denen die US-Amerikaner einen intensiven Blick in den Spiegel werfen. Doch zum Ende dieses stürmischen Wahlkampfs 2020 hat die Welt schon in die dunkelsten Ecken des Landes geblickt und ein böse zugerichtetes und geplagtes Bild zurückstarren sehen.

Die Präsidentschaft und die Mehrheit im Senat stehen zur Wahl, aber für viele gibt es etwas Dringenderes. Überleben ist das unmittelbare Ziel, sowohl als Menschen als auch als Land, in einer Zeit, in der selbst der Name – Vereinigte Staaten von Amerika – angesichts der Spaltung und Angst ehrgeizig wirkt.

Coronavirus und Polizeigewalt: Die USA im Krisenmodus

Die Liste der Bedrohungen ist lang und persönlich: Mit dem Coronavirus sind mehr als 230'000 Menschen in den USA ums Leben gekommen, und die Zahl der Infektionen nimmt in fast jedem Bundesstaat zu. Die Wirtschaft und mit ihr Familien leiden unter Unsicherheit. Das Erbe der Sklaverei hat in diesem Jahr erneut einen Riss durch die Gesellschaft gebracht, nachdem George Floyd in Polizeigewalt in Minneapolis getötet wurde, landesweit Proteste ausbrachen und Sicherheitskräfte hart dagegen vorgingen.

Okela kann eine Verbindung von jener Nacht im August 2017, als sie die Fackeln zum ersten Mal sah, bis zur Wahl 2020 ziehen. Sie hat ihre Stimme für Biden abgegeben. Am 12. August 2017, während der Parade, steuerte James Alex Fields Jr. sein Auto in eine Gruppe Protestierender und tötete Aktivistin Heather Heyer. Die Kreuzung an der 4th Street ist jetzt mit lilafarbenen Blumen und Kreidebotschaften dekoriert. Okela sagt, sie habe die Gegend seitdem gemieden.

Wer wird am 3. November zum US-Präsidenten gewählt: Amtsinhaber Donald Trump (links) oder sein Konkurrent Joe Biden von den Demokraten?
Wer wird am 3. November zum US-Präsidenten gewählt: Amtsinhaber Donald Trump (links) oder sein Konkurrent Joe Biden von den Demokraten?
Bild: AP Photo/Patrick Semansky

Trump machte damals «beide Seiten» verantwortlich. In diesem Jahr sicherte er mithilfe von Bundespolizisten das Weisse Haus, um es vor Protestierenden zu schützen, die nach Floyds Tod gegen Polizeigewalt demonstrierten. Wenn er gefragt wird, weigert er sich meistens, Vertreter des Glaubens an die weisse Vorherrschaft zu verurteilen.

Ereignisreiche Amtszeit

Okelo, die schwarz ist, hörte es, als Biden seinen Präsidentschaftswahlkampf mit dem Wort «Charlottesville» begann. «Mein jüngerer Bruder ist in Gefahr», sei ihr klar geworden, «also stand ich in der Schlange und habe gewählt, wie ich gewählt habe».

Doch seit 2017 ist viel passiert. Vor einem Jahr waren die US-Bürger von einem Amtsenthebungsverfahren im Repräsentantenhaus gegen den Präsidenten gefesselt. Der Senat sprach Trump Anfang dieses Jahres von den Vorwürfen seiner Bitte um politische Hilfe aus der Ukraine frei, es folgten Trumps Siegerrunde und Nancy Pelosis Zerreissen seiner Rede zur Lage der Nation.



Ein Wahlkampf, der mit mehr als zwei Dutzend demokratischen Bewerbern um die Kandidatur begann, endete mit Biden als Nominiertem, und seiner Rivalin, der Senatorin aus Kalifornien Kamala Harris, als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft. Sie ist die erste schwarze Frau oder Frau indischer Abstammung in dieser Rolle einer der beiden grossen Parteien.

Es erscheint wie eine weit entfernte, unschuldigere Zeit. Als Harris ihre Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten vor beinahe zwei Jahren bekanntgab, tat sich dies vor fast 20'000 Menschen bei einer Veranstaltung in ihrer Heimatstadt Oakland in Kalifornien. Während der letzten Woche vor der Präsidentschaftswahl sprach Harris in Las Vegas vor Menschen, die auf Decken gut anderthalb Meter voneinander entfernt sassen.

Der Wahlkampf der Lügen

Jetzt zeigen weisse Kreise um Stühle herum den gebotenen Abstand an, das Hupen von Autos hat die Rufe der demokratischen Unterstützer ersetzt. «Hupt, wenn ihr begeistert seid! Hupt, wenn ihr bereit seid!», rief der frühere Präsident Barack Obama bei seinem jüngsten Auftritt.

Von den Anhängern der Republikaner dagegen wird Trump bei Massenveranstaltungen bejubelt, Menschenmengen, die aus überwiegend unmaskierten Teilnehmern bestehen, entgegen des Rats der höchsten Gesundheitsexperten von Trumps eigener Regierung.



Der Präsident besuchte zuletzt vor allem die umkämpften Staaten, behauptete fälschlicherweise erneut, das Coronavirus verschwinde, und fiel auf bekannte Themen zurück, wie seine 2016 besiegte demokratische Rivalin Hillary Clinton und den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko.

«Dienstag ist unsere Riesensache als Land», sagt Trump am Sonntag, als er Böen und starkem Wind in Michigan trotzte. Er versucht sich die Unterstützung in von Weissen geprägten, ländlicheren Teilen der Staaten mit der Warnung zu sichern, dass es der Wirtschaft schlecht ergehe, wenn Biden gewinnen sollte. Trotz schlechter Umfragewerte und eines finanziellen Nachteils gegenüber Biden zeigte er sich selbstbewusst und sagte über Biden: «Ich glaube nicht, dass er weiss, dass er verlieren wird.»

Akzeptiert Trump eine mögliche Niederlage?

Bei den Veranstaltungen von Biden und Harris in Michigan, Georgia und Pennsylvania dagegen wurde dazu aufgerufen, Abstand zu wahren und Masken zu tragen. Häufig kamen die Zuschauer in ihren Autos. Bei einer Veranstaltung am Sonntag trat jemand aus Bidens Team kurz vor Harris' Auftritt auf die Bühne: «Ihr müsst alle zurück zu euren Autos gehen», hiess es. «Wir sind kein Trump-Kundgebung.»

Der Wahlkampf wird in diesem Jahr auch von einem möglichen Ende voller Unsicherheit geprägt. Trump weigert sich bisher, eine friedliche Machtübergabe zu garantieren, sollte er gegen Biden verlieren. Sein Aufruf an seine Unterstützer, sich bereit zu halten, um sicherzustellen, dass die Auszählung der Stimmen legitim abläuft, hörte sich für einige nach einer Warnung an Wähler und Wahlbeamte an.

Bilder und Berichte wie die einer Kundgebung in North Carolina am Samstag, die damit endete, dass Sicherheitsbeamte Pfefferspray gegen die Menschenmenge einsetzten, hielten das Land auf Trab. Der Polizei zufolge hatten Demonstranten die Strasse ohne Erlaubnis blockiert. In Texas tauchten Trump-Unterstützer in Autos und Lastwagen in Schwärmen um einen Bus von Bidens Wahlkampfteam auf der Autobahn auf.

Die kollektive Beklemmung fordert ihren Tribut. Mary Williams, eine Demokratin aus Port Huron in Michigan, sagt, sie sei «so nervös», weil sie sich an das Gefühl der Sicherheit erinnere, bevor Hillary Clinton 2016 verblüffenderweise gegen Trump verlor. «Ich schrecke nachts auf», sagt Williams.

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