Einen Monat danach Wie der Tod von George Floyd die USA verändert

dpa/red.

25.6.2020

Ein Mann schreit eine Polizistin an während einer «Black Lives Matter»-Kundgebung in Washington.
Ein Mann schreit eine Polizistin an während einer «Black Lives Matter»-Kundgebung in Washington.
Bild: Keystone

«Ich kann nicht atmen» – die Aufnahmen von George Floyds qualvollem Tod haben die USA verändert. Im Land wird über Rassismus und Polizeigewalt debattiert, sogar die Präsidentschaftswahl könnte beeinflusst werden.

«Papa hat die Welt verändert» – das sagte George Floyds sechsjährige Tochter Gianna schon kurz nachdem ihr Vater bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis ums Leben gekommen war.

Einen Monat später steht fest, dass der Tod des Afroamerikaners in den USA tatsächlich Veränderungen angestossen hat. Im ganzen Land haben sich Menschen aller Hautfarben an Massenprotesten beteiligt, die eine Debatte über systematischen Rassismus und Polizeigewalt angestossen haben. Im Sport, in der Politik, der Wirtschaft und bei der Polizei hat sich mehr verändert als in vielen Jahren zuvor. Aber es gibt auch Widerstand. 

Wandel in den Köpfen

Nach Floyds Tod am 25. Mai haben in zahlreichen US-Städten jeweils Tausende Menschen demonstriert – trotz Corona-Beschränkungen. Beobachtern zufolge, darunter etwa Ex-Präsident Barack Obama, hatten sich zuvor noch nie so viele Weisse an solchen Protesten beteiligt. Millionen Menschen äusserten sich zudem in sozialen Medien und solidarisierten sich mit der Bewegung «Black Lives Matter». Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass inzwischen eine Mehrheit der Amerikaner Rassismus für ein grosses Problem hält und die Proteste dagegen unterstützt.



Symbole der Unterdrückung

Plötzlich werden Statuen von Persönlichkeiten, denen Sklavenhaltung oder die Unterdrückung von Schwarzen oder Ureinwohnern vorgeworfen wird, infrage gestellt. Im Bundesstaat Virginia soll eine Statue des einstigen Südstaaten-Generals Robert E. Lee abgebaut werden, in San Francisco und Boston geht es um den Kolonialisten Christopher Kolumbus.

Im Kapitol in Washington wurden historische Porträts abgehängt, weil es dort keinen Platz für den «brutalen Fanatismus und grotesken Rassismus der Konföderierten» gebe, hiess es. Ein Gedenktag zum Ende der Sklaverei soll nun in vielen Bundesstaaten ein Feiertag werden. Filmklassiker wie «Vom Winde verweht» sollen künftig nur noch mit Erklärungen zu deren rassistischen Vorurteilen gezeigt werden.



Polizeireformen

Minutenlang drückte ein weisser Polizist sein Knie in Floyds Nacken. Mehrere Bundesstaaten und Städte – darunter Minneapolis, Atlanta, New York und Washington — brachten als Konsequenz Polizeireformen auf den Weg, um exzessive Gewaltanwendung zu unterbinden. Sie haben Polizisten zum Beispiel Würgegriffe und Halsfixierungen verboten.

Auch auf nationaler Ebene gibt es Bewegung. US-Präsident Donald Trump unterschrieb eine Verfügung mit ersten Polizeireformen, die vielen jedoch nicht weit genug gehen. Die Demokraten schlugen im Kongress sehr weitgehende Reformen vor, die Republikaner wollen ein weniger ambitioniertes Gesetz.

Unternehmen wollen Wandel

Einer Analyse der Online-Plattform Axios zufolge haben Amerikas grösste Unternehmen seit Floyds Tod versprochen, zusammengenommen rund zwei Milliarden Dollar für den Kampf gegen Rassismus und Ungleichheit zu spenden. Darunter waren Banken, Tech-Firmen und Einzelhändler. Viele Firmen sagten auch zu, Angehörige von Minderheiten gezielt zu fördern. Der Sportartikelhersteller Adidas etwa will bei den Marken Adidas und Reebok in den USA künftig mindestens 30 Prozent aller neuen Stellen mit Schwarzen oder Latinos besetzen. «Wir müssen und werden besser sein», hiess es.

In New York halten am 19. Juni 2020 Demonstranten Bilder von George Floyd, der am 25. Mai 2020 in Polizeigewahrsam in der US-Stadt Minneapolis getötet wurde, in die Höhe.
In New York halten am 19. Juni 2020 Demonstranten Bilder von George Floyd, der am 25. Mai 2020 in Polizeigewahrsam in der US-Stadt Minneapolis getötet wurde, in die Höhe.
Bild: Miguel Juarez Lugo/ZUMA Wire/dpa

Luft nach oben gibt es reichlich: Obwohl Schwarze 13 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, haben nur vier der 500 umsatzstärksten Firmen einen afroamerikanischen Geschäftsführer.

Veränderungen am Esstisch

Etablierte Marken durchleuchten, inwieweit ihre Namen und Logos rassistische Stereotypen bedienen. Der Getränke- und Lebensmittelmulti Pepsi etwa gibt seiner 130 Jahren alten Frühstücksmarke «Aunt Jemima», die vor allem Backmischungen für Pfannkuchen und Sirup umfasst, nun einen neuen Anstrich. Kritiker stören sich vor allem am Logo, das in ihren Augen klischeehaft eine schwarze Frau als Maskottchen im Stil einer freundlichen Dienerin abbildet.

Der US-Lebensmittelkonzern Mars wiederum kündigte an, seine Reismarke Uncle Ben's «weiterzuentwickeln». Das Produkt zeigt den Kopf eines älteren schwarzen Mannes mit weissen Haaren. Mars wolle helfen, rassistische Vorurteile zu bekämpfen. «Es gibt in der Gesellschaft keinen Platz für Rassismus», erklärte der Hersteller.



Auswirkungen auf die Präsidentenwahl

Floyds Tod hat wenige Monate vor der Präsidentenwahl auch die Politik verändert. Experten gehen davon aus, dass sich Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten infolge der Massenproteste verstärkt politisch engagieren werden – und dann im November auch tatsächlich abstimmen werden. Eine höhere Wahlbeteiligung dieser Gruppen dürfte dem designierten demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden in die Hände spielen. Barack Obamas früherer Vizepräsident erfreut sich bei Minderheiten grösserer Beliebtheit als Trump. Zudem haben sich seit Floyds Tod die Anzeichen vermehrt, dass er eine nicht-weisse Frau als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft auswählen könnte.

Trump redet Rassismus klein

Vor allem einer tritt bei den Veränderungen auf die Bremse: Präsident Trump. Er hat das brutale Vorgehen gegen Floyd als Einzelfall verurteilt, erkennt jedoch weder Polizeigewalt gegen Schwarze noch systematischen Rassismus als grosses Problem an. Die Proteste nahm er als Kampfansage wahr und drohte Demonstranten mit dem Einsatz «bösartiger Hunde» und den Streitkräften – anstatt Verständnis zu zeigen und das Land zu einen. Eingriffe in die Erinnerungskultur verbittet er sich, wofür er Beifall von seinen konservativen Anhängern bekommt. «Unsere Helden sind keine Quelle der Schande», sagte Trump am Dienstag in Arizona. «Wir müssen unsere Vergangenheit wertschätzen, wir müssen gut oder schlecht wertschätzen.»



Sport im Wandel

Der Sport hat in den USA grossen Einfluss, sowohl die Stars einzelner Sportarten als auch deren Verbände. Die National Football League (NFL) vollzog nach Floyds Tod eine Kehrtwende. NFL-Boss Roger Goodell gestand Fehler ein, positionierte sich so deutlich wie noch nie gegen Rassismus und «die systematische Unterdrückung schwarzer Menschen». Er ermunterte alle, friedlich zu protestieren.

Goodell hatte 2016 den schwarzen Quarterback Colin Kaepernick kritisiert, der aus Protest gegen Polizeigewalt während des Abspielens der Nationalhymne gekniet hatte. Der US-Fussballverband kippte eine seiner Regeln und entschuldigte sich für das Verbot zu knien und die Ignoranz gegenüber seinen schwarzen Spielerinnen und Spielern. Und die populärste und vor allem im Süden der USA beliebte Motorsportserie Nascar hat inzwischen die Kriegsflagge der Konföderierten bei ihren Rennen verboten.



Der Hintergrund: Floyd und Rassismus

Der unbewaffnete Floyd (46) war bei einer Festnahme in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota getötet worden. Ein Polizist kniete rund acht Minuten auf seinem Hals. Floyd war wegen des Verdachts festgenommen worden, mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben.

Mit «systematischem Rassismus» ist die strukturelle Benachteiligung Schwarzer gemeint. Schwarze in den USA leben im Durchschnitt weniger lang, sind weniger gesund und weniger gebildet als Weisse. Schwarze werden bei gleichen Verbrechen zu längeren Haftstrafen verurteilt als Weisse. Das durchschnittliche Vermögen einer schwarzen Familie entspricht einem Zehntel des Vermögens einer weissen Familie – ein Verhältnis, das sich seit Jahrzehnten kaum verändert hat.

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