Parlament «grilliert» Premier Johnson sieht keinen Grund für Rücktritt

dpa/uri

6.7.2022 - 12:50

Boris Johnson will trotz Rücktrittswelle «weitermachen»

Boris Johnson will trotz Rücktrittswelle «weitermachen»

Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson will trotz der Rücktrittswelle in seiner Regierung im Amt bleiben. Im Abgeordnetenhaus sagte er, die Aufgabe eines Premierministers bestehe darin, auch «unter schwierigen Umständen weiterzumachen».

06.07.2022

Mehrere Minister schmeissen hin, Mitglieder der konservativen Partei rebellieren. Dennoch will der angeschlagene britische Premierminister Boris Johnson an seinem Amt festhalten. 

dpa/uri

Boris Johnson erlebt die womöglich schwerste Krise seiner Amtszeit: Nach dem Rücktritt von zwei wichtigen Ministern sowie weiterer Regierungsmitglieder steht der britische Regierungschef geschwächt da – und bekommt das am Mittwoch auch deutlich zu spüren. 

«Denkt der Premierminister, es gibt es überhaupt Umstände, unter denen er zurücktreten sollte?», wurde Johnson während der traditionellen Befragung im Parlament gefragt – und zwar von einem Parteikollegen, Tim Loughton.

Johnsons Antwort: «Natürlich, wenn es Umstände gäbe, unter denen die Regierung das Mandat, was ihr gegeben wurde, nicht umsetzen könnte», zitiert der «Spiegel» aus der hitzigen Debatte im Unterhaus. Als Regierungschef müsse er aber auch in schwierigen Zeiten weitermachen. «Und das werde ich auch tun.»

Es wird nicht die letzte kritische Frage nach seinem Rücktritt bleiben, denn am Nachmittag steht Johnson auch noch einem Parlamentsausschuss Rede und Antwort.

Neues Misstrauensvotum gefordert

Ohnehin werden auch die Forderungen nach einem neuen Misstrauensvotum gegen den Premierminister immer lauter. Es gibt aber ein Problem: Der konservative Politiker hatte erst vor einem Monat eine Misstrauensabstimmung in seiner Fraktion überstanden, wenn auch nur knapp. Den Regeln der Tory-Partei zufolge darf während zwölf Monaten nach einer solchen Abstimmung kein neuer Versuch unternommen werden. 

Doch die Regeln könnten geändert werden. Es sei nun «entscheidend», dass das sogenannte 1922-Komitee die Voraussetzungen für eine neue Vertrauensabstimmung schaffe, schrieb der konservative Abgeordnete Chris Skidmore in einem Brief an dessen Vorsitzenden Graham Brady am Mittwoch.

Erwartet wird, dass noch vor der Sommerpause eine neue Zusammensetzung des Gremiums gewählt wird. Sollten die Johnson-Gegner die Oberhand gewinnen, stünde einer Regeländerung nichts im Wege.

Johnson soll Pistole auf die Brust gesetzt werden

Der in Tory-Kreisen hervorragend vernetzte Journalist James Forsyth vom konservativen «Spectator»-Magazin zitierte ein einflussreiches Mitglied des Gremiums damit, man wolle sogar schon jetzt Johnson die Pistole auf die Brust setzen. Sollte er nicht freiwillig zurücktreten, werde man den Weg für das Misstrauensvotum freimachen.

Johnson war am Dienstag massiv in Bedrängnis geraten: Sowohl Finanzminister Rishi Sunak als auch Gesundheitsminister Sajid Javid waren zurückgetreten, am Mittwoch folgten weitere Kabinettsmitglieder. Die beiden wichtigen Minister verbanden ihre Rücktritte mit Vorwürfen gegen den Partei- und Regierungschef, er beschädige den Ruf der Konservativen.

Kämpferisch musste sich Boris Johnson vor dem britischen Unterhaus oft geben: Hier im Juni dieses Jahres. Die Skandale um den britischen Premier reissen nicht ab. (Archiv)
Kämpferisch musste sich Boris Johnson vor dem britischen Unterhaus oft geben: Hier im Juni dieses Jahres. Die Skandale um den britischen Premier reissen nicht ab. (Archiv)
KEYSTONE

Am Mittwochmorgen traten auch noch Bildungsstaatssekretär Will Quince, der Johnson oft verteidigt hatte, zurück sowie die Abgeordnete Laura Trott, die einen Posten im Verkehrsministerium innehatte. Auch die Tory-Abgeordnete Jo Churchill legte ihr Amt im Umweltministerium nieder.

Die meisten Kabinettsmitglieder bekannten sich allerdings zu Johnson. Der 58-Jährige ist seit Juli 2019 im Amt und hat schon mehrere Skandale hinter sich.

Auslöser des neuesten Politbebens war, dass Johnson den konservativen Abgeordneten Chris Pincher in ein wichtiges Fraktionsamt hievte, obwohl ihm Vorwürfe der sexuellen Belästigung bekannt waren. Vorige Woche trat Pincher zurück, weil er betrunken zwei Männer begrapscht hatte.

Die Tories sind seither in offenem Aufruhr, Johnson bleibt aber unbeeindruckt: Nur Stunden nach den Rücktritten berief er zwei Getreue als Minister. 

Chris Pincher am 1. Juli 2022: Johnsons Parteifreund ist zu einem zusätzlichen Problem geworden. (Archiv)
Chris Pincher am 1. Juli 2022: Johnsons Parteifreund ist zu einem zusätzlichen Problem geworden. (Archiv)
Keystone

Der neu ernannte Finanzminister Nadhim Zahawi nahm Johnson in Schutz. Der Regierungschef sei integer und «entschlossen, zu liefern», sagte Zahawi dem Sender Sky News. Johnson habe sich für sein Verhalten im Fall Pincher entschuldigt, nun gehe es darum, das Land voranzubringen. Zahawi gilt selbst als möglicher Nachfolger Johnsons, dementierte aber aktuelle Ambitionen.

Britische Finanz- und Gesundheitsminister treten zurück

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Die Bevölkerung habe das Recht auf «eine ordnungsgemässe, kompetente und seriöse Amtsführung», hatte Finanzminister Sunak geschrieben.

06.07.2022