Nach dem Wahldebakel Droht Macron und Frankreich die «Katastrophe»?

Von Michael Evers, dpa

20.6.2022 - 19:44

Niederlage für Macron: Sein Wählerbündnis verliert absolute Mehrheit im Parlament

Niederlage für Macron: Sein Wählerbündnis verliert absolute Mehrheit im Parlament

Niederlage für Macron: Sein Wählerbündnis verliert absolute Mehrheit im Parlament

20.06.2022

Nach der Schlappe bei der Parlamentswahl muss Präsident Macron bei anderen Lagern um Unterstützung werben. Manche halten Frankreich bereits für unregierbar. Wird der 44-Jährige damit nun auch als Treiber in Europa ausgebremst?

Von Michael Evers, dpa

In Frankreich ist vieles auf den Präsidenten zugeschnitten – und für gewöhnlich wird er getragen von einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung, mit der sich locker durchregieren lässt. Seit der Wahl am Sonntag sieht das komplett anders aus – was Staatschef Emmanuel Macron in seiner zweiten Amtszeit vor grosse Probleme stellen dürfte. Der 44-Jährige hat in der Nationalversammlung künftig nur eine einfache Mehrheit hinter sich.

Die Aufgabe des Präsidenten und seiner Partei, aber auch der Opposition im Parlament ist es nun, Wege der Zusammenarbeit zu finden. Eine schwierige Aufgabe in einem politischen System, das solche Wege bisher nicht kannte und auch nicht brauchte. Ist Frankreich nun unregierbar?

Die örtliche Presse ist skeptisch, drückt dem Land teils schon den Stempel «Unregierbar» («Le Parisien») auf, «Libération» sieht «Macron im Belagerungszustand». Vokabeln wie «Minenfeld», «Chaos», «Katastrophe» und «Blockade» finden sich in den Analysen und Reaktionen. Es besteht die Sorge, dass Frankreich erst am Anfang einer politischen Krise mit Stillstand, Reformstau und Schaukämpfen, Strassenprotesten sowie einem zerstörerischen Kräftemessen konkurrierender Blöcke steht.

Wird Macron an seinen Reformplänen festhalten?

Kompromisse und Koalitionen sind in der französischen Politik unüblich, einen Wahlausgang wie am Sonntag gab es zuletzt vor mehr als 30 Jahren. Und so blasen an Tag eins nach der Wahl alle Konkurrenten des Macron-Lagers zur Attacke. Die erstarkten Ränder am linken und extrem rechten Rand lassen keinen Zweifel daran, dass sie es Macron so schwer wie möglich machen wollen – auch von einem Misstrauensantrag gegen die Regierung ist die Rede.

Und wie ist es vor diesem Hintergrund um die ambitionierten Reformpläne Macrons für Frankreich und in Europa bestellt? Kann er sich mit eingeschränkter Macht weiter in die Rolle des Treibers in Brüssel begeben und Frankreich trotz Widerständen modernisieren? Klar ist bereits, dass der von Kritikern als arrogant und autoritär bezeichnete Macron sich und seinen Politikstil wird umstellen müssen.

Statt über seine Pläne und Visionen zu dozieren, wird er mehr den Austausch und Dialog suchen müssen. Gestützt auf einen Zirkel von Beratern vom Élyséepalast aus möglichst alles selbst zu lenken und zu kontrollieren – dieses Konzept dürfte kaum noch funktionieren.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht vor einer komplizierten Zukunft.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht vor einer komplizierten Zukunft.
Bild: Ludovic Marin/AFP POOL/AP/dpa

Auf Frankreichs Präsidenten warten viele Baustellen

Entscheidend wird am Ende sein, ob es Macron gelingt, eine handlungsfähige Mehrheit auf die Beine zu stellen. Denn Absprachen mit anderen Parteien im Parlament, mühselig vor jeder Entscheidung und bei jedem Thema anders zusammengezimmert, dürften das Regieren in Paris mühselig und grosse Reformvorhaben wie etwa bei der Rente beschwerlich machen.

Und nicht nur bei diesem Thema gibt es in Frankreich Handlungsbedarf. Das Gesundheitswesen steckt in der Krise, Verbesserungen im Bildungssystem sind nötig, viele pochen auf mehr Einsatz gegen die Klimakrise und wollen schnelle Hilfe der Regierung gegen die rasant steigenden Preise.

Inwiefern Brüssel sich auf einen geschwächten Macron und ein wankelmütigeres Frankreich gefasst machen müssen, hängt ebenfalls davon ab, wie sicher Macron die Zügel wieder in die Hand bekommt, geteilte Macht hin oder her.

Risse im Linksbündnis könnten Macron in die Karten spielen

Wenn ständige interne Querelen den Präsidenten bremsen und er auch inhaltlich Gegenwind bekommen sollte, für seinen Einsatz für die deutsch-französische Achse und die Erneuerung der EU, könnte Macron nicht mehr mit so grossen Schritten voranschreiten wie bisher. Beides aber sind wichtige Ankerpunkte von Macrons Politik, bei denen er auch nach Ende der französischen EU-Ratspräsidentschaft zur Jahresmitte kaum Abstriche machen möchte.

Dass die Streitlust der Parteien auch nach dem Wahlabend munter anhielt, könnte Macron noch in die Karten spielen. Denn der Triumph seines profiliertesten Widersachers, Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, war noch keine 24 Stunden alt, als sich erste Risse in dessen Linksbündnis bildeten. Um noch mehr Macht auf seine Linkspartei zu zentrieren, schlug Mélenchon am Montag eine gemeinsame Fraktion im Parlament vor.

Dafür kassierte er prompt eine Absage der Sozialisten, Kommunisten und Grünen, die auf der getroffenen Regelung beharrten, dass jede Partei für sich im Parlament agiert. Der Himmel über dem Élyséepalast war da zumindest bereits wieder aufgeklart.