HaitiHaitis Rumpf-Senat wählt neuen Staatschef – vorerst keine US-Truppen
SDA
10.7.2021 - 17:19
Die USA wollen nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse Berichten zufolge vorerst keine Truppen dorthin schicken.
10.07.2021, 17:19
SDA
«Es gibt zur Zeit keine Pläne, US-Militärhilfe zu leisten», zitierte die «New York Times» am Freitag (Ortszeit) einen hochrangigen US-Regierungsbeamten. Haitis Interimsregierung hatte die frühere Besatzungsmacht gebeten, Truppen zu schicken, um bei der Sicherung von für die Infrastruktur wichtigen Orten zu helfen, wie Wahlminister Mathias Pierre internationalen Medien sagte. In Port-au-Prince zeichnete sich ein Machtkampf ab: Der Senat wählte einen neuen Übergangspräsidenten.
Das Oberhaus des haitianischen Parlaments ist seit Januar 2020 allerdings nicht mehr beschlussfähig. Acht der zehn noch amtierenden Senatoren stimmten nach Medienberichten am Freitag dennoch für den bisherigen Senatspräsidenten Joseph Lambert als Übergangs-Nachfolger des Staatschefs Moïse. Zwei enthielten sich demnach. «Ich spreche den politischen Institutionen, die mich unterstützen, meine bescheidene Dankbarkeit aus», schrieb Lambert auf Twitter. Er wolle den Weg für einen demokratischen Machtwechsel ebnen. Im September sind in Haiti Präsidenten- und Parlamentswahlen geplant.
Lamberts Wahl gilt als Herausforderung des Machtanspruchs des Interims-Premierministers Claude Joseph. Es war jedoch zunächst unklar, ob Lambert tatsächlich das Amt des Übergangspräsidenten antreten und einen eigenen Premierminister ernennen kann. Weil eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moïse ausgefallen war, gibt es nur noch 10 von 30 Senatoren, deren Amtszeiten nicht abgelaufen sind. Im Unterhaus, der Abgeordnetenkammer, sitzt niemand mehr.
Mehrere politische Parteien und Bewegungen in dem Karibikstaat, der sich die Insel Hispaniola mit der Dominikanischen Republik teilt, hatten sich einem gemeinsamen Schreiben zufolge auf Lambert als Interims-Staatschef geeinigt. Interims-Premierminister und damit Regierungschef soll demnach der Neurochirurg Ariel Henry werden. Den hatte Moïse am Montag zum siebten Premier seiner Amtszeit ernannt.
Henrys Vereidigung war nach dem Attentat aber ausgefallen. Der Aussenminister Joseph, der seit April Interims-Premierminister war, erklärte seinen einstweiligen Verbleib in dem Amt. Er hielt in den vergangenen Tagen Ansprachen an die Nation, unterzeichnete Erlasse und führte Gespräche mit Vertretern ausländischer Regierungen. In einem Interview der haitianischen Zeitung «Le Nouvelliste» sagte Henry, seiner Ansicht nach sei er Premierminister – nicht Joseph.
Der 53 Jahre alte Staatschef Moïse war in der Nacht zum Mittwoch in seiner Residenz überfallen und erschossen worden. Seine Ehefrau Martine wurde schwer verletzt. Nach Angaben der haitianischen Polizei führten 28 ausländische Söldner, die sich als Anti-Drogen-Agenten der USA ausgaben, den Mord aus: 26 Kolumbianer und zwei US-Amerikaner haitianischer Herkunft. Bisher wurden demnach 20 Tatverdächtige festgenommen und drei getötet. Kolumbiens Führung hat 13 Ex-Soldaten des südamerikanischen Landes als mutmasslich Beteiligte identifiziert.
Die Hintergründe der Tat waren unklar. Einige Aktivisten und Politiker äusserten den Verdacht, es handle sich um einen Putsch. Nach Berichten von «Le Nouvelliste» wurden mehrere Personen für Ermittlungen zu dem Attentat in den kommenden Tagen zur Staatsanwaltschaft gebeten – darunter die für die Sicherheit des Präsidenten zuständigen Männer sowie Oppositionspolitiker und zwei mächtige Geschäftsmänner, die sich im Ausland aufhalten sollen.
Proteste gegen Moïse, der seit 2017 im Amt war, hatten Haiti zuletzt immer wieder lahmgelegt. Ihm wurden Korruption, Verbindungen zu brutalen Banden und autokratische Tendenzen vorgeworfen. Im Februar ernannten Oppositionsparteien einen Übergangspräsidenten, weil aus ihrer Sicht Moïses Amtszeit abgelaufen war. Zuletzt trieben blutige Kämpfe zwischen Banden um die Kontrolle über Teile der Hauptstadt Tausende Menschen in die Flucht und behinderten den Warenverkehr. Die Durchführbarkeit der geplanten Wahlen ist daher fraglich.
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