Trotz Kriegen und IsolationHamas hält sich in Gaza hartnäckig
AP/toko
22.12.2021 - 00:00
Die militant-islamistische Palästinenserorganisation Hamas regiert schon seit 2007 im Gazastreifen. Und wie es aussieht, wird sich daran auf lange Sicht nichts ändern. Israel scheint das zu wissen.
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22.12.2021, 00:00
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Jeden Monat rollen Hunderte von Lastwagen mit Treibstoff, Zement und anderen Gütern durch ein Niemandsland zwischen Ägypten und dem Gazastreifen – und die Hamas wird stärker. Schätzungen gehen dahin, dass die militant-islamistische Palästinenserorganisation am Grenzübergang in der Stadt Rafah monatlich Millionen Dollar an Steuern und Zollgebühren kassiert.
Das hilft, eine Regierung und einen mächtigen bewaffneten Flügel am Laufen zu halten, während internationale Unterstützung den grössten Teil des Grundbedarfs der zwei Millionen Einwohner in Gaza abdeckt.
Stillschweigende Duldung
Dies alles läuft mit stillschweigender Duldung Israels ab, das die Hamas doch als Terrorgruppe einstuft. Mag das überraschen, gibt es Gründe dafür. Die Öffnung des Grenzübergangs «lag im allgemeinen Interesse aller Seiten, um eine Rettungsleine für die Hamas sicherzustellen, die es ihr ermöglicht, Ruhe in Gaza aufrechtzuerhalten und eine Explosion zu verhindern», erklärt Mohammed Abu Dschajjab, ein Volkswirtschaftler in Gaza.
Aber es steckt noch mehr dahinter. Nachdem die Hamas vier Kriege und eine fast 15-jährige Blockade überlebt hat, ist sie nur noch widerstandsfähiger geworden – und Israel notgedrungen zur Einsicht gelangt, dass sein Todfeind langfristig bleiben wird. Es hat die Hamas-Herrschaft in Gaza weitgehend akzeptiert, eine länger dauernde Invasion wird als zu kostspielig betrachtet.
Zugleich liefert die Gruppe der israelischen Regierung ein zweckdienliches Argument: Lässt sich doch die Frage stellen, wie den Palästinensern ein eigener Staat gewährt werden kann, wenn sie zwischen zwei Regierungen – Hamas in Gaza und der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland – aufgespalten sind und eine davon Israel hartnäckig das Existenzrecht abspricht?
«Die Hamas war hartnäckig»
Auf der anderen Seite hat die Bereitschaft der Hamas zur Gewalt etwa in der Form von Raketen und Protesten an der Grenze geholfen, Israel Konzessionen abzuringen. «Die Hamas ist fest bei ihren Positionen geblieben, und Israel hat (nach dem jüngsten Krieg im Mai) eine Menge Kompromisse gemacht», sagt Omar Schaban, ein politischer Analyst in Gaza. «Die Hamas war hartnäckig.»
Die Gruppe hatte 2007 der Autonomiebehörde die Macht in Gaza abgenommen. Israel und Ägypten verhängten dann eine massive Blockade, und als Folge entwickelte sich eine rege Wirtschaft auf der Basis von Schmuggel-Tunneln in und um Rafah. Die Hamas erhob Steuern auf Güter, die ins Palästinensergebiet gebracht wurden. Ägypten ordnete nach dem Sturz der damaligen ägyptischen Regierung 2013 die Zerstörung des Untergrundsystems an, aber vier Jahre und einen weiteren Gaza-Krieg später gab es Hamas-Forderungen nach, einen kommerziellen Grenzübergang zu öffnen.
Importe durch Gazas einzigen zweiten funktionierenden Übergang – mit Israel – werden bereits von israelischen Stellen besteuert, die einen Teil der Einkünfte der Autonomiebehörde zukommen lassen. Die Hamas kann allenfalls geringe Zollgebühren erheben, ohne die Preise spürbar in die Höhe zu treiben. Aber Rafah gehört der Hamas.
Die israelische Rechte- und Beobachterorganisation Gischa schätzt, dass im September etwa 2000 Lastwagenladungen mit Zement, Treibstoff und anderen Gütern über den Übergang in den Gazastreifen gebracht wurden, fast zwei Mal so viele wie der monatliche Durchschnitt 2019 und 2020.
Rami Abu Risch, der in der Hamas-Regierung für die Grenzübergänge zuständig ist, sagt, dass man nicht mehr als eine Million Dollar im Monat durch den israelischen und bis zu sechs Millionen Dollar durch Rafah einnehme. Aber das Finanzministerium der Autonomiebehörde schätzt, dass die Hamas bis zu 30 Millionen Dollar im Monat einstreicht, hauptsächlich durch Steuern auf Treibstoff und Tabakwaren, die über Rafah nach Gaza gelangen.
Nach Angaben eines Zigarettenimporteurs in dem Palästinensergebiet führt eine kleine Gruppe von Händlern monatlich 9000 bis 15'000 Kisten mit Zigaretten ein. Die Hamas erhebe auf jede 1000 bis 2000 Dollar, was allein durchschnittlich 18 Millionen Dollar an Einkünften bescheren würde. Abu Dschajjab, der Volkswirtschaftler, geht sogar von 27 Millionen Dollar im Monat durch Tabakwaren aus.
Israel lehnt direkte Gespräche mit der Hamas ab, hat aber im vergangenen Jahrzehnt mit Hilfe von Ägypten, Katar und UN-Vermittlern eine Reihe von informellen Feuerpausen ausgehandelt, mit Lockerungen der Blockade im Gegenzug für Ruhe. So erlaubte es die israelische Regierung Katar, Koffer mit Bargeld über einen israelischen Übergang nach Gaza zu schicken.
Naftali Bennett war ein ausgesprochener Kritiker dieses Schrittes – bevor er selbst Ministerpräsident wurde. Binnen weniger Monate nach seinem Amtsantritt im Juni wurden die Zahlungen an bedürftige Familien wieder aufgenommen, mit Hilfe eines von den UN betriebenen Gutscheinsystems, und zugleich setzte Katar seine Beiträge für die Hamas-Regierung in der Form von Benzinlieferungen fort.
Die Hamas wird bleiben
Israel bestreitet, dass es Hamas-Forderungen nachgebe. Die neue Regierung sagt, sie habe Massnahmen modifiziert, um sicherzustellen, dass die Hamas nicht von humanitären Hilfen profitiere.
Derweil unterstützt die internationale Gemeinschaft die Bevölkerung in Gaza, ungeachtet der Einkünfte, die die Hamas eintreibt. UN-Einrichtungen haben seit dem Krieg von 2014 mehr als 4,5 Milliarden Dollar dafür ausgegeben, 600 Millionen Dollar davon allein im Jahr 2020. Die meisten Mittel laufen über die UN-Stelle für palästinensische Flüchtlinge, die Nahrungsmittelhilfe sowie Gesundheitsfürsorge leistet und Schulen betreibt. Katar hat seit 2012 1,3 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau und gesundheitliche Dienste nach Gaza geschickt.
Die Hamas wird bleiben – und Israel weiss es. «Sie sind hier mit einer Reihe von Problemen konfrontiert», sagt Mchaimar Abussada, ein Politikwissenschaftler an Gazas Al-Azhar-Universität, über die Gruppe. «Aber Widerstandskraft ist Teil ihrer Strategie. Sie werden nicht aufgeben.»