Proteste im Iran «Das Regime kann nicht still und heimlich hinrichten»

Von Gil Bieler

24.12.2022

Teilnehmer*innen einer Kundgebung in Bern solidarisieren sich mit den Demonstrant*innen im Iran.
Teilnehmer*innen einer Kundgebung in Bern solidarisieren sich mit den Demonstrant*innen im Iran.
Bild: Keystone

Im Iran wächst die Sorge um inhaftierte Demonstrant*innen: Dutzenden drohe eine baldige Hinrichtung. GLP-Nationalrätin Corina Gredig setzt sich dafür ein, das Schicksal dieser Menschen wenigstens publik zu machen.

Von Gil Bieler

24.12.2022

Ob Amir Nasr-Azadani das neue Jahr erlebt, hängt allein von der Gnade der Mullahs ab. Der iranische Fussballprofi war im November im Zuge von regimekritischen Massendemonstrationen festgenommen worden. Ihm wird laut Medienberichten unter anderem «Aufruhr gegen die Behörden» und «Krieg gegen Gott» vorgeworfen.

Dafür droht ihm die Todesstrafe. Nasr-Azdani ist 26 Jahre alt.

Das Schicksal des Spitzensportlers hat ein grosses Echo ausgelöst – es ist aber kein Einzelfall. Während Europa sich den Festtagen widmet, könnte das iranische Regime eine regelrechte Hinrichtungswelle starten. Das berichtet CNN: Journalist*innen des US-Nachrichtensenders haben gemeinsam mit der Aktivist*innengruppe «1500Tasvir» Dokumente, Zeugenaussagen, Videos und andere Unterlagen aus dem Iran ausgewertet. Die Schlussfolgerung: mindestens 43 Menschen drohe eine baldige Hinrichtung. Dabei würden auch die juristischen Prozesse abgekürzt.

Bisher hat das Regime zwei Demonstrations-Teilnehmer hingerichtet, einer davon – der 23-jährige Madschid-Resa R. – wurde in der Stadt Maschad öffentlich gehängt.

Auch um Amir Nasr-Azadani machen sich Bekannte grosse Sorgen, berichtet CNN am Freitag: In der zentraliranischen Stadt Isfahan sei eine Hinrichtungsbühne errichtet worden. «Der Gedanke, dass sie ihn jeden Tag exekutieren könnten, ist sehr belastend für uns», sagt die namentlich nicht genannte Quelle in dem Bericht. Und die Entwicklung der jüngsten Tage sei überaus beunruhigend.

«Die Signalwirkung ist da»

Im Falle eines anderen zum Tode verurteilten Sportlers, Sahand Noor Mohammadzadeh, zeichnet CNN anhand von Tonaufnahmen nach, wie er zu einem «Geständnis» gezwungen worden sei. Ein Richter habe ihm ein dreiseitiges Dokument vorgelegt, das er unterzeichnen sollte, um zu erklären, dass er keinen Einspruch erhebe. Zeit, etwas durchzulesen, erhielt er nicht – dennoch unterzeichnete er das Papier.

Bei der nächsten Anhörung habe sich die Anklage komplett verändert, klagt Noor Mohammadzadeh in einer Aufnahme. Auf einmal sei von «Moharabe» die Rede gewesen, was so viel heisst wie «Krieg gegen Gott». Für den Staatsanwalt sei der Fall sofort klar gewesen: «Richtet ihn hin!»

Die Zürcher GLP-Nationalrätin Corina Gredig hat eine politische Patenschaft für Sahand Noor Mohammadzadeh übernommen. Über die Bedingungen seiner Haft kann sie sich nur indirekt informieren: «Die Gruppe Free Iran hält mich auf dem Laufenden, so gut es geht», sagt sie im Gespräch mit blue News. Doch dürfe man sich keinen Illusionen hingeben: «Mit der Patenschaft kann ich das Schicksal von Sahand Noor Mohammadzadeh an die Öffentlichkeit bringen, mehr leider nicht.»

Dennoch sei die Patenschaft von Bedeutung: «Die Signalwirkung ist da. Die iranische Botschaft in Bern nimmt von der Anteilnahme in der Schweiz sehr wohl Notiz.»

Die GLP-Nationalrätin zeigt sich erfreut, dass auch Politiker*innen aus anderen Ländern solche Patenschaften übernommen haben. «Die Botschaft ist klar: Europa schaut genau hin, was im Iran passiert. Das Regime kann diese Menschen nicht einfach still und heimlich hinrichten, auch wenn sie das gerne würden.»

Noch mehr freue sie sich aber über Rückmeldungen aus der iranischen Bevölkerung, die sie über Familienangehörige in der Schweiz erreichten. «Den Iranerinnen und Iranern bedeutet es viel, dass sie in Europa gehört werden und nicht allein sind in ihrem Freiheitskampf.» Wenn dies erreicht werde, habe sich ihr Engagement bereits gelohnt.

Auch am Iran-Kurs des Bundesrats übt Gredig Kritik: Die Landesregierung habe die EU-Sanktionen gegen die für die brutale Unterdrückung von Demonstrierenden verantwortlichen Regierungsmitglieder nicht übernommen. 

Auch weitere Politiker*innen, aber auch Prominente und Bürger*innen fordern den Bundesrat offen dazu auf, die EU-Sanktionen vollständig zu übernehmen. Das Zürcher Stadtparlament hat erst am Mittwoch beschlossen, eine entsprechende Resolution an den Bundesrat zu schicken.

Die Schweiz hat bisher einzig EU-Sanktionen gegen iranische Personen und Unternehmen übernommen, die in Zusammenhang mit iranischen Drohnenlieferungen an Moskau für den Krieg in der Ukraine stehen. 

«Um Gottes willen, rettet meine Söhne»

Ob sich die im CNN-Bericht erwähnten Befürchtungen als begründet erweisen, wird sich zeigen. Von mindestens 43 Inhaftierten wisse man, dass eine unmittelbare Exekution drohe, heisst es in dem Bericht. Aktivist*innen im Land dagegen gingen von einer noch höheren Dunkelziffer aus.

Die Verzweiflung der Angehörigen von inhaftierten Demonstrant*innen illustriert die Aussage einer Frau, deren beide Söhne hinter Gittern sitzen: «Bitte hören Sie die Hilferufe meiner Söhne. Meine Söhne sind jung, und sie haben Kinder, die auf ihre Freilassung warten. Bitte rettet sie. Um Gottes willen, rettet meine Söhne», wird die Frau zitiert. Wohlwissend, dass auch sie sich damit in Gefahr bringt.

Zweite Hinrichtung im Zusammenhang mit Protesten im Iran
1:10

Zweite Hinrichtung im Zusammenhang mit Protesten im Iran

Im Iran ist nach Angaben der Staatsmedien ein zweiter Demonstrant im Zuge der systemkritischen Proteste hingerichtet worden. Der wegen "Kriegsführung gegen Gott" angeklagte Madschid-Resa R. wurde am Montag in der Stadt Maschad im Nordosten des Landes öffentlich gehängt, wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete.