Politik «Hurrikan» Ventura versetzt Portugal in Angst und Ungewissheit

SDA

11.3.2024 - 15:34

Andre Ventura, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Chega, spricht zu seinen Anhängern nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der portugiesischen Parlamentswahlen in Lissabon. Foto: Joao Henriques/AP/dpa
Andre Ventura, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Chega, spricht zu seinen Anhängern nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der portugiesischen Parlamentswahlen in Lissabon. Foto: Joao Henriques/AP/dpa
Keystone

André Ventura hüpfte hinter dem Rednerpult und grinste wie ein Honigkuchenpferd, als er den überwältigenden Erfolg seiner rechtspopulistischen Chega bei der Parlamentswahl in Portugal feierte.

Keystone-SDA

«Sieg, Sieg, Sieg», skandierte er zusammen mit Anhängern am frühen Montagmorgen in einem Hotel in Lissabon. Die vom früheren TV-Sportkommentator erst 2019 gegründete Partei belegte zwar «nur» Platz drei hinter dem konservativen Bündnis AD und den zweitplatzierten Sozialisten (PS), die zuletzt sogar mit absoluter Mehrheit regiert hatten und nach gut acht Jahren an der Macht im Zuge mehrerer Korruptionsaffären abgewählt wurden.

Chega (Es reicht) konnte aber ihre Abgeordnetenzahl im 230-Sitze-Parlament auf mindestens 48 vervierfachen – und versetzt Portugal damit kurz vor dem 50. Jahrestag von «Nelkenrevolution» und Diktatur-Ende am 25. April in Angst und Ungewissheit.

Im Urlaubsland geht nun die Angst vor der Zukunft und der «Unregierbarkeit» um. Der Grund? AD-Spitzenkandidat Luís Montenegro lehnte in der Wahlnacht erneut jede Zusammenarbeit mit der Partei, die er als «ausländerfeindlich» und «rassistisch» bezeichnet, kategorisch ab.

In Portugal gibt es – ähnlich wie in Deutschland gegenüber der AfD – weiterhin eine sogenannte Brandmauer nach rechts. Das Problem ist, dass Montenegro ohne Unterstützung von Ventura mit kleineren Parteien nur eine schwache Minderheitsregierung wird bilden können, die keine lange Lebensdauer haben dürfte. Beobachter prophezeien deshalb bereits eine baldige Neuwahl.

«Chaos, Chega-Explosion und ein Land, das sich nur schwer wird regieren lassen», titelte die renommierte Zeitung «Público». Der Schriftsteller und Journalist Miguel Sousa Tavares (71), einer der angesehensten Intellektuellen des Landes, fasste im Interview des TV-Senders CNN Portugal in wenigen Worten das zusammen, was seine meisten Mitbürger – von den Chega-Wählern abgesehen – nun wohl denken: «Schlimmer hätte es nicht kommen können».

Das Blatt «Expresso» sieht «ein Land am Rande des Nervenzusammenbruchs». «Schwarzes Szenario» und «Wir sehen uns bald an den Urnen wieder» lauteten andere Kommentare.

Portugal hatte lange europaweit als «Bollwerk» gegen den in vielen Ländern zu beobachtenden Rechtsruck gegolten. Damit ist es endgültig vorbei. Manche sehen bei Chega – bekanntester Wahlslogan: «Portugal säubern» – die Grenze vom Populismus zum Rechtsextremismus längst überschritten.

Ventura und andere Parteivertreter punkteten im Wahlkampf mit Parolen gegen Einwanderer, machten diese für eine angebliche Zunahme der Kriminalität verantwortlich und schimpften über eine «korrupte Oligarchie» der etablierten Parteien.

Aber nicht nur in Portugal macht man sich Sorgen. Der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, Jens Geier, warnte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vor einer Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten: Chega sei «eine Ein-Mann-Partei ohne richtiges Programm, die gegen Minderheiten hetzt». Und eine der grössten Gefahren für die Zukunft der EU sei, dass Demokraten ausgewiesenen Demokratiefeinden zur Macht verhelfen.

Die AD kam nach Auszählung fast aller Stimmen auf mindestens 79 Sitze, die PS von Pedro Nuno Santos auf 77. Vier Sitze sind zwar in der Auszählung der Auslandsstimmen noch zu vergeben. An der heiklen Lage wird das aber nichts ändern. Eine «Grosse Koalition» gilt in Portugal als ausgeschlossen. Ähnlich wie im Nachbarland Spanien trennen die beiden Hauptparteien faktisch unüberwindbare Differenzen.

Für die PS, die bei der vergangenen Wahl Anfang 2022 noch 120 Sitze errungen hatte, ist der Wahlausgang ein politisches Desaster. Dabei war der frühere Erfolg der Sozialisten im In- und Ausland als das «portugiesische Wunder» gefeiert worden.

Nach der Eurokrise hat Ministerpräsident António Costa das einstige EU-Sorgenkind seit seiner Amtsübernahme Ende 2015 jahrelang sehr solide geführt. Ausgabendisziplin, aber auch soziale Verantwortung zeichneten seine Arbeit aus. Die Wirtschaft wuchs all die Jahre fast immer und bis zuletzt über EU-Schnitt, die Schulden, aber auch die Arbeitslosigkeit wurden stetig zurückgeschraubt.

Doch nach der Pandemie setzten gleich mehrere Korruptionsskandale – unter anderem bei der staatlichen Fluggesellschaft TAP und der Förderung von Lithium- und Wasserstoff-Projekten – der Erfolgsstory der Linken jäh ein Ende. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa rief im November Neuwahlen aus, nachdem Costa unter dem Eindruck der Affären zurückgetreten war. Costa ist seither geschäftsführend im Amt.

Neben den Korruptionsaffären wurde die Wahl auch von sozialen und wirtschaftlichen Problemen wie Wohnungsnot und hoher Inflation geprägt, die das Niedriglohnland besonders hart treffen – und laut Experten auch den Nährboden für den Rechtsruck boten.

Es seien «die Stimmen des Protestes, die Stimmen derjenigen, die empört und gegen das System sind, der Wutbürger und der Peripherie», kommentierte das Boulevardblatt «Correio da Manhã». Diese Wähler dürfe man nicht stigmatisieren. Ventura sei ein «Hurrikan», dessen Erfolg Warnung und Verwarnung für die Traditionsparteien sei.