Brasilien Lufttaxi als letzte Rettung für Corona-Patienten

AP/tafu

26.5.2020

Das nächste Krankenhaus ist fast 1'000 Kilometer entfernt, die örtliche Krankenstation nicht für Intensivbehandlung gerüstet: Das Coronavirus hat selbst entlegene Ortschaften im Nordosten von Brasilien erreicht.

Hoch über dem tropischen Regenwald bereiten sich der Arzt Daniel Siqueira und die Pflegerin Janete Vieira auf ihre Mission vor. Mit ihrer Turboprop-Maschine wollen sie zwei Patienten mit Covid-19 aus einer entlegenen Kleinstadt im Nordwesten Brasiliens in eine Klinik bringen.

Auf dem Spiel stehen das Leben eines 89-Jährigen und das des Bürgermeister von Santo Antônio do Içá, wo bereits fast 500 Infektionen mit dem Coronavirus bestätigt wurden. Die Stadt mit ihren 22'000 Bewohnern verzeichnet damit die höchste Infektionsrate im Verhältnis zur Einwohnerzahl aller brasilianischen Gemeinden.



Von Manaus, der Hauptstadt des Staates Amazonas an der Grenze zu Peru, Kolumbien und Venezuela, verbreitete sich das Coronavirus flussaufwärts bis nach Santo Antônio do Içá, rund 880 Kilometer entfernt. Die Region ist dünn besiedelt und nicht für eine Pandemie gerüstet: In einigen Gemeinden können Sauerstofftanks nicht wieder aufgefüllt werden, andere verfügen nicht über ein einziges Beatmungsgerät, sodass die Pfleger neben den Patienten stehen und ihnen per Hand Luft in die Lungen pumpen müssen. Wenn doch einmal Beatmungsgeräte vorhanden sind, machen häufige Stromausfälle die Behandlungen schwierig.

«Wenn wir sie dort liessen, würden sie sterben»

Benötigen Patienten eine aufwendigere Behandlung, müssen sie auf einen Flug nach Manaus warten. Die Stadt ist der einzige Ort im Staat Amazonas, in dem Intensivbetten zur Verfügung stehen. Während sie warten, verschlechtert sich ihr Zustand weiter.

«Es ist gelungen, die entlegenen Gebiete für eine Weile zu isolieren, aber jetzt hat das Virus diese Gebiete erreicht», sagt der Arzt Siqueira. «Vielen Patienten geht es immer schlechter und sie müssen in die Hauptstadt gebracht werden. Wenn wir sie dort liessen, würden sie sterben.»



Allerdings ist auch der Flug nach Manaus nicht ohne Risiko. Der Luftdruck in der Höhe kann den ohnehin belasteten Lungen eines Patienten zusetzen, der Zustand kann sich innerhalb von Minuten verschlechtern. Genau das passierte Siqueira am Tag zuvor: 35 Minuten nach dem Start starb der Patient. Aber eine Alternative gibt es nicht. In der Region gebe es nicht genügend medizinisches Personal, erklärte Gouverneur Wilson Lima in einem Interview.

Der Verzweiflung nah

In Santo Antônio do Içá stand für die Einwohner nur ein Arzt zur Verfügung, bis Anancy Lasmar, eine Nichte des Bürgermeisters, in ihren Heimatort zurückkehrte, um zu helfen. «Es ist schwer, nicht zu verzweifeln», sagt sie. So viele Freunde und Bekannte von früher seien erkrankt. Zwei Onkel und 20 weitere ihrer Patienten hat sie verloren. Ein Richter urteilte inzwischen, die Lage in der Region sei derart kritisch, dass die Behörden die Kapazitäten in einem Militärkrankenhaus dort umgehend ausbauen müssten.

Bis das geschehen ist, bleibt für die Schwerkranken nur der Flug. Per Boot würde die Reise von Santo Antônio do Içá nach Manaus mehrere Tage dauern. Das Flugzeug ist natürlich schneller, kann aber nur einen kritischen Patienten und einen weniger schwer Erkrankten aufnehmen. Die Zahl der Namen auf der Warteliste für einen solchen Transport hat sich zuletzt verdreifacht, wie Siqueira erklärt.

Dramatische Szenen an Bord

Er und seine Begleiterin müssen in Santo Antonio do Inca schon handeln, bevor die Patienten überhaupt an Bord sind. Der 89-jährige Castelo Branco muss künstlich beatmet werden, Siqueira legt den Beatmungsschlauch noch auf dem Rollfeld. «Mein Vater war nie krank. Nicht einmal die Grippe konnte ihm etwas anhaben», sagt Telma Maria, die Tochter des Patienten. «Aber dieses verdammte Virus hat ihn niedergestreckt.»

Bürgermeister Lasmar ist selbst auf dem Weg in die Klinik noch ganz Politiker. Er lächelt und winkt den Menschen zu, die sich am Flughafen versammelt haben, um die Kranken zu verabschieden. Einen vollständigen Satz kann er jedoch nicht mehr sprechen, so schwer fällt ihm das Atmen bereits. Angehörige sahen zu und beteten, als das Flugzeug abhob.

An Bord tun der Arzt und die Pflegerin alles in ihrer Möglichkeit, um Castelo Branco am Leben zu halten. Erst schiesst sein Puls plötzlich in die Höhe, dann fällt sein Blutdruck dramatisch ab. Zwei Krankenwagen warten am Flughafen von Manaus und nehmen beide Patienten in Empfang. Angeschlossen an Maschinen, wird Castelo Branco aus dem Flugzeug gebracht. Er hat noch einen Puls.



«Jetzt ist es nicht länger meine Verantwortung» sagt Siqueira, offensichtlich erleichtert, nicht wieder einen Patienten in der Luft verloren zu haben. Lasmar kann selbst in den anderen Krankenwagen steigen und reckt einen Daumen in die Höhe. Zwischen kurzen Atemzügen bringt er noch ein Wort heraus: «Danke!»

Hunderte Kilometer flussaufwärts warten in Santo Antônio do Içá fünf weitere Patienten auf einen Lufttransport, der möglicherweise nicht mehr rechtzeitig eintrifft.

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