Unterschiede bei Versorgung Impfstoffe werden in Nahost zum Machtinstrument

AP/tjb

28.2.2021 - 16:38

Am 17. Februar treffen in Ramallah, dem Regierungssitz im Westjordanland, 1000 Dosen des russischen Impfstoffs Sputnik V ein. Für die Menschen in den Palästinensergebieten sind bisher kaum Vakzine verfügbar.
Am 17. Februar treffen in Ramallah, dem Regierungssitz im Westjordanland, 1000 Dosen des russischen Impfstoffs Sputnik V ein. Für die Menschen in den Palästinensergebieten sind bisher kaum Vakzine verfügbar.
Bild: Keystone/EPA/Mohammed Saber

Die begehrten Vakzine waren Teil eines Gefangenenaustausches und könnten dem israelischen Ministerpräsidenten zur Wiederwahl verhelfen. Die Palästinenser müssen dagegen noch auf Impfschutz warten.

In normalen Zeiten sichern Öl und Waffen im Nahen Osten politische Macht. Inmitten einer weltweiten Pandemie hat sich noch eine andere Währung als bedeutsam erwiesen: Corona-Impfstoffe. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hofft, sich mit einer erfolgreichen Impfkampagne und davon erhofften Normalisierung des Lebens seine Wiederwahl zu sichern.

Impfdosen spielten aber auch eine Rolle bei einem geheimnisumwitterten Gefangenenaustausch zwischen Syrien und Israel und könnten das politische Schicksal des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas entscheiden.

Israel kann derzeit auf die schnellste Impfkampagne weltweit verweisen. Mehr als die Hälfte der 9,3 Millionen Einwohner haben mindestens eine Dosis erhalten, etwa ein Drittel sogar schon zwei. Und das in weniger als zwei Monaten. Im Gegensatz zu Europa und den USA stehen in Israel die Impfstoffe für jeden zur Verfügung, der sie haben will. Kliniken bieten inzwischen schon kostenlose Mahlzeiten und Cappuccinos an, um die Impfbereitschaft der Menschen noch zu erhöhen. Mit Erfolg: Die Zahl der Neuinfektionen und schweren Verläufe sinkt.

Just vor den Wahlen wird geöffnet

Daher konnten die Behörden am Sonntag letzter Woche nach einem zweimonatigen Lockdown zahlreiche Einschränkungen wieder aufheben. Geschäfte und Einkaufszentren öffneten, in den Schulen wird wieder unterrichtet. In den kommenden Wochen sollen alle Schule und Restaurants wieder geöffnet werden, genau rechtzeitig vor der Parlamentswahl am 23. März.



«Das Timing kommt ihm zugute», sagt der Politikwissenschaftler Gideon Rahat von der Hebräischen Universität Jerusalem. Ob das allerdings reicht, um seinen laufenden Korruptionsprozess und die desolate wirtschaftliche Lage vergessen zu lassen, bleibt abzuwarten. Viel werde von Netanjahus Geschick abhängen, erklärt der Experte. «Er wird die ganze Zeit über die Impfungen sprechen.» Seine Kritiker würden sich dagegen eher auf seine Verfehlungen im vergangenen Jahr konzentrieren.

Während des Lockdowns in Israel verloren Hunderttausende Menschen ihre Arbeitsplätze, Unternehmen gingen bankrott. Die Öffentlichkeit reagierte ausserdem verärgert auf die Missachtung der Restriktionen besonders unter den Ultraorthodoxen, die eine wichtige politische Stütze des Ministerpräsidenten bilden. Auch wurde Kritik laut, Netanjahu habe zu spät den internationalen Flughafen geschlossen und damit die Ausbreitung von Virusvarianten ermöglicht.

Der Ministerpräsident zeigt sich unbeirrt und stellte am Samstag den grünen Impfpass vor, der es Geimpften ermöglicht, wieder an Kulturveranstaltungen teilzunehmen, ins Ausland zu fliegen oder Fitnessclubs zu besuchen. Alle Nichtgeimpften bleiben von diesen Annehmlichkeiten ausgeschlossen. «Ich fordere jeden auf, der noch nicht geimpft ist, lassen Sie sich impfen», erklärte der Regierungschef in einem Fitnesscenter in Tel Aviv. «Sie haben dann den grünen Pass und profitieren davon.»

Impfstoff im Tausch für eine israelische Geisel

International wurde Israel gerügt, weil die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen vom israelischen Impfprogramm weitgehend ausgenommen sind.

Allerdings soll Netanjahu nicht gezögert haben, Russland rund 1,2 Millionen Dollar für den Einkauf von Impfdosen zu zahlen, die dann Menschen in Syrien verabreicht werden sollen. Das Geschäft war Teil eines Deals, mit dem eine Israelin befreit wurde, die in Damaskus gefangen genommen worden war. So wurde es zumindest in israelischen Medien berichtet, das Büro des Regierungschefs äusserte sich nicht. Auch Netanjahu wich Fragen nach dem mutmasslichen Deal aus. Keine israelische Impfdosis sei an Syrien geliefert worden, erklärte er lediglich. Er wollte allerdings nichts dazu sagen, ob Israel Russland für Impfdosen bezahlte.

Es sei legitim, wenn die israelische Regierung von der Norm abweiche und in einer anderen Währung zahlen wolle, schrieb der israelische Korrespondent Yoav Limor in der Tageszeitung «Israel Hayom». «Aber die Entscheidung, das zu verschleiern, ist verblüffend und besorgniserregend. Offensichtlich war jemandem nicht wohl damit, dass diese Sache ans Licht kommt.»

Impfkampagne mit zweierlei Mass

Die Diskrepanz zwischen der eigenen, erfolgreichen Impfkampagne und der Versorgung der Palästinenser hat Kritik in den Reihen der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsorganisationen ausgelöst. Sie führen an, dass Israel dafür verantwortlich ist, auch die Menschen in den palästinensischen Gebieten zu impfen.

Israel erklärte dagegen, nach den gültigen Vereinbarungen sei das nicht der Fall. Ahmad Tibi, ein bekannter arabischer Abgeordneter im israelischen Parlament, schrieb auf Twitter: «Müssen wir auf einen jüdischen Menschen warten, der die Grenze zum Gazastreifen überschreitet, damit wir Impfungen verdienen?»

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hat bisher Schwierigkeiten, Impfstoffe zu organisieren. Er erhielt bisher 2000 Dosen aus Israel, um medizinisches Personal im Westjordanland zu impfen, sowie 10'000 Dosen aus Russland. Einer seiner grössten Rivalen, Mohammed Dahlan, arrangierte dagegen die Lieferung von 20'000 Dosen des russischen Impfstoffs Sputnik V aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Die Aktion schien teilweise dazu zu dienen, Abbas vor der geplanten Parlamentswahl im Mai schlecht dastehen zu lassen. Dahlan habe seine Position und politische Präsenz gestärkt, schrieb der Journalist Mustafa Ibrahim. «Das ist Teil des Wahlkampfs und stützt die Gruppe, die die Hilfe geliefert hat.»

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