Wo die Idylle trügt In dieser US-Kleinstadt wuchern die Verschwörungstheorien

AP / tchs

1.12.2022

Für John Kraft aus Wisconsin ist die USA ein dunkler Ort geworden. 
Für John Kraft aus Wisconsin ist die USA ein dunkler Ort geworden. 
Bild: KEYSTONE

Eine äusserst rechtskonservative Bewegung in einer Ecke von Wisconsin hat sich zu einer starken politischen Kraft entwickelt. Ihre Sichtweisen sind extrem, und dennoch kontrolliert sie die örtliche Republikanische Partei.

AP / tchs

1.12.2022

John Kraft lebt in Hudson, einer Stadt in einem malerischen Winkel im Westen des US-Staates Wisconsin. Es ist ländlich und ruhig hier, aber wenn dieser Mann über seine Gemeinde hinausblickt, sieht er ein Land, das viele Amerikaner nicht wiedererkennen würden.

Für ihn ist Amerika ein dunkler gefährlicher Ort, in dem eine tyrannische Regierung die Demokratie auszuhebeln versucht, man nur wenigen Offiziellen trauen kann und Nachbarn sich vielleicht eines Tages zusammenschliessen müssen, um sich gegenseitig zu schützen. Es ist das Land, in dem die meisten Grundüberzeugungen und Werte - Glaube, Familie, Freiheit - bedroht sind.

Kraft steht mit seinen Sichtweisen nicht alleine da. Er ist Teil einer stark rechtskonservativ orientierten Bewegung, die in dieser Ecke zunehmend hervorsticht. Und es dreht sich nicht mehr nur um Politik, wie Kraft klar macht, «nicht mehr um Links gegen Rechts, Demokrat gegen Republikaner. Es geht direkt um Gut gegen Schlecht.»

Kraft, ein Softwarearchitekt und Datenanalyst, weiss, wie er klingt. Er hat die Verachtung von Leuten gespürt, die ihn als einen Fanatiker, einen Verschwörungstheoretiker betrachten. Aber in dieser wachsenden stark rechten Bewegung ist er ein Held. Und hätte ihr Gerede von Marxismus, Übergriffen der Regierung und geheimen Plänen, Familienwerte zu zerstören, sie noch vor ein paar Jahren dem äusserst rechten Rand der Republikanischen Partei zugeordnet, ist das jetzt anders.

Wahlerfolge für Qanon-Kandidaten

Heute sind Leute wie sie ein Eckpfeiler der konservativen Wählerbasis. Zwar ist es bei den kürzlichen Kongress- und Gouverneurswahlen nicht zu jener durchschlagenden Welle von republikanischen Siegen gekommen, die viele vorausgesagt hatten. Aber in zahlreichen Teilen des Landes verzeichneten Kandidaten, die Qanon - der Bewegung von Verschwörungsheoretikern - anhängen oder beispielsweise die Trennung von Kirche und Staat für einen Fehler halten, auf verschiedenen Wahlebenen Erfolge.

In Wisconsin wurde mit Ron Johnson ein US-Senator wiedergewählt, der mit Verschörungstheorien und Pseudowissenschaft herumspielt. In St. Croix County, jenem Bezirk, in dem Hudson liegt, schlug er seinen Opponenten geradezu vernichtend.

Der republikanische Senator Ron Johnson gewann im Hudson-Bezirk haushoch gegen seinen Kontrahenten.
Der republikanische Senator Ron Johnson gewann im Hudson-Bezirk haushoch gegen seinen Kontrahenten.
Bild: KEYSTONE

Und da ist zum Beispiel Mark Carlson, ein freundlicher sanft wirkender Mann, der gerne kocht, selten das Haus ohne seine Pistole verlässt und glaubt, dass Tyrannei über Amerika lauert. «Es gibt einen Plan, uns von innen her zum Sozialismus, Marxismus, einer Art kommunistischer Regierung zu führen», sagt der Bezirksrat, der unlängst nach 20 Jahren Arbeit in einer Jugendstrafanstalt in den Ruhestand gegangen ist, um dann den Verwaltungsposten in St. Croix County zu übernehmen.

Carlson wurde dank rebellischer Rechtskonservativer ins Amt gewählt, die einen mächtigen örtlichen Wählerblock zustande brachten - angetrieben von Zorn über Corona-Lockdowns, Impfmandaten und die Unruhen im Gefolge der Tötung des Schwarzen George Floyd durch einen Polizisten 2020 im nur 45 Minuten entfernten Minneapolis (Minnesota).

Die Bewegung schaffte es, binnen zwei Jahren die Kontrolle über die Republikanische Partei in St. Croix County zu übernehmen. Führungspersonen, die sie als Marionetten einer Regierung ohne Stehvermögen betrachteten, wurden vertrieben und mehr als ein Dutzend eigener Gefolgsleute in Ämter auf Bezirksebene, in Stadträte und Schulvorstände gewählt.

«Sie erkennen nicht, dass wir es gut meinen»

In ihrem Amerika hat die US-Regierung Covid-Ängste orchestriert, um ihre Macht zu zementieren, kauft die Steuerbehörde IRS Riesenarsenale von Munition auf und ist der frühere Präsident Barack Obama vielleicht der mächtigste Mann im Land. Umfragen deuten darauf hin, dass gut 60 Prozent der Republikaner in den USA nicht glauben, dass Joe Biden die Wahl 2020 gewonnen hat, und rund ein Drittel lehnt es ab, sich gegen Covid impfen zu lassen.

Cranberry-Ernte in Wisconsin: Der US-Bundesstaat im Mittleren Westen ist der grösste Produzent des Landes.
Cranberry-Ernte in Wisconsin: Der US-Bundesstaat im Mittleren Westen ist der grösste Produzent des Landes.
Verena Wolff/dpa-tmn

Carlson, ein bärtiger weisser Waffenbesitzer mittleren Alters, der für Donald Trump gestimmt hat, weiss, dass er in manchen Augen wie eine Karikatur aussieht. Aber er betont, dass er das nicht ist. «Ich bin schlicht eine normale Person», sagt er, während er auf einem Sofa an einem Panoramafenster sitzt, mit Ausblick auf den grossen Garten, den er und seine Frau pflegen. «Sie erkennen nicht, dass wir es gut meinen.»

Carlson kann verwirrend sein. Er nennt friedliche schwarze Demonstranten nach Floyds gewaltsamem Tod «redlich». Er stellt organischen Joghurt her. Er fährt einen Tesla. Er ist ein konservativer Christ, der AC/DC, die australische Hardrock-Band, liebt. Er lebt in einem Gebiet, in dem der Islam manchmal mit offener Feindseligkeit betrachtet wird, aber sagt, dass er die örtliche kleine muslimische Gemeinde unterstützen würde, wenn sie das Bestreben hätte, eine Moschee zu eröffnen.

Munitionskäufe nahmen überall im Land zu

Manchmal hört man Leute davon sprechen, was sie tun wollen, wenn sich die Dinge in Amerika zum wirklich Schlechten entwickeln sollten. Es gibt Solarpaneele für den Fall, dass das Stromversorgungsnetz versagt, Extra-Benzinvorräte für Autos und Diesel für Generatoren, Regale voller haltbarer Lebensmittel, in manchen Fällen genug für eine Reihe von Monaten.

Und da sind die Waffen, obwohl fast nie mit Fremden darüber gesprochen wird. «Ich habe genügend», sagt ein Mann in einem Café in Hudson. «Ich würde das Thema lieber nicht mit einem Reporter erörtern», sagt Kraft.

Die Vorstellung, dass es vielleicht zu Gewalt kommen könnte, beunruhigt Leute wie Paul Hambleton, der in Hudson wohnt und mit der Demokratischen Partei im Bezirk zusammenarbeitet. «Etwas stimmt wirklich da draussen nicht.»

Hambleton ist ein Hobbyjäger, der erlebt hat, wie schwierig es war, nach den Protesten von 2020 - als Schusswaffenverkäufe überall in Amerika drastisch in die Höhe schnellten - Munition zu kaufen. Fast zwei Jahre lang waren die Regale fast leer. «Ich fand das bedrohlich», sagt Hambleton. «Denn es ist unmöglich, dass Hirschjäger so viel Munition aufkaufen.»