Nusantara Deshalb baut Indonesien eine neue Hauptstadt

AP/toko

27.1.2022 - 20:48

Die Metropole Jakarta hat mit einer ganzen Reihe an Problemen zu kämpfen.
Die Metropole Jakarta hat mit einer ganzen Reihe an Problemen zu kämpfen.
AP Photo/Dita Alangkara/Keystone

Jakarta leidet unter einer Reihe von Problemen – von hoher Luftverschmutzung bis hin zur Gefahr, nach und nach im Meer zu versinken. Deshalb plant Indonesiens Regierung einen radikalen Schritt – und Umweltschützer sorgen sich.

27.1.2022 - 20:48

Die Strassen der indonesischen Hauptstadt Jakarta sind verstopft, die Luft ist verschmutzt. Die Metropole ist anfällig für Erdbeben und sinkt stetig in die Javasee ab. Und nun will die Regierung weg, soll eine völlig neue Hauptstadt auf der Insel Borneo entstehen. Präsident Joko Widodo sieht darin ein Rezept gegen die Probleme, die Jakarta plagen, indem die Bevölkerung reduziert wird. Zugleich soll der Bau einer neuen «nachhaltigen Stadt», die ein gutes öffentliches Verkehrssystem aufweist, in ihre natürliche Umwelt integriert und nicht so verwundbar für Naturkatastrophen ist, Indonesien so etwas wie einen frischen Start bescheren.

«Der Bau der neuen Hauptstadt ist nicht nur eine physische Verlegung von Regierungsbehörden», sagte Widowo vergangene Woche im Vorfeld der Billigung der Pläne durch das Parlament. «Das Hauptziel ist, eine smarte neue Stadt zu bauen, die auf der globalen Ebene wettbewerbsfähig ist, eine neue Lokomotive für die Transformation... in Richtung eines Indonesiens basierend auf Innovation und Technologie auf der Grundlage einer grünen Wirtschaft.»



Hauptstadt soll Nusantara heissen

Aber Skeptiker sorgen sich über die Auswirkungen auf die Umwelt,   wenn man eine Stadt mit einer Fläche von 2560 Quadratkilometern sozusagen in eine Gegend knallt, die Orang-Utans, Leoparden und viele andere Wildtierarten beheimatet. Auch fragen sie sich, ob es angesichts der Corona-Pandemie ratsam ist, umgerechnet rund 30 Milliarden Euro für das Projekt bereitzustellen.

Eine Umweltstudie zeige, dass es eine Reihe grundsätzlicher Probleme gebe, sagt Dwi Sawung von der Umweltgruppe Wahli. «Da sind Bedrohungen für die Wassersysteme und Klimawandelrisiken, Bedrohungen für Flora und Fauna und die Gefahr von Verschmutzung und Umweltschäden.»

Widodos Plan für die neue Hauptstadt Nusantara – ein alter javanischer Begriff für «Archipel» – ist seit 2019 im Entstehen begriffen. Er sieht vor, Regierungsgebäude und Wohnhäuser von Grund auf zu bauen. Anfängliche Schätzungen gingen dahin, dass etwa 1,5 Millionen öffentliche Bedienstete ins neue Regierungszentrum verlegt werden, aber Ministerien und Behörden sind noch dabei, die genaue Zahl auszuarbeiten.

Ein Junge spielt vor der Skyline eines Geschäftsbezirks von Jakarta.
Ein Junge spielt vor der Skyline eines Geschäftsbezirks von Jakarta.
AP Photo/Dita Alangkara/Keystone

Archipel mit mehr als 17'000 Inseln

Nusantara soll in der Provinz Kalimantan Timur entstehen, in der Nähe von Balikpapan, einer Hafenstadt mit etwa 700'000 Einwohnern, rund 2000 Kilometer nordöstlich von Jakarta. Indonesien ist ein Archipel mit mehr als 17'000 Inseln, aber derzeit leben 54 Prozent der mehr als 270 Millionen Einwohner auf Java, wo auch Jakarta liegt. Die bisherige Hauptstadt selbst beheimatet rund 10 Millionen Menschen, im Grossraum Jakarta sind es insgesamt gut 30 Millionen.

Jakarta wird als die am rapidesten versinkende Stadt auf der Welt beschrieben, nach Schätzungen könnte ein Drittel bis 2050 im Wasser untergetaucht sein. Der Hauptgrund ist unkontrolliertes Abschöpfen von Grundwasser, verschärft durch das Ansteigen des Meeresspiegels der Javasee als Folge des Klimawandels. Jenseits davon leidet die Stadt unter schwerer Verschmutzung der Luft und des Grundwassers, es kommt oft zu Überschwemmungen, und die Strassen sind so durch den Verkehr verstopft, dass das nach Schätzungen die Wirtschaft jährlich umgerechnet an die 40 Milliarden Euro kostet.

Mit dem gezielten Bau einer neuen Hauptstadt folgt Indonesien dem Beispiel mehrerer anderer Länder, so etwa Pakistan, Brasilien und Myanmar. Das Gremium, das den Bau überwacht, wird von Abu Dhabis Kronprinz Scheich Mohammed bin Said Al Nahjan geleitet, der auch für ehrgeizige Bauprojekte daheim in den Vereinigten Arabischen Emiraten bekannt ist. Zu den weiteren Mitgliedern zählen unter anderem der frühere britische Ministerpräsident Tony Blair, der derzeit das Tony-Blair-Institut für globalen Wandel (Tony Blair Institute for Global Change) betreibt, und Milliardär Masayoshi Son, Gründer und Chef der japanischen Holdinggesellschaft SoftBank.

19 Prozent der Kosten für das Projekt werden aus staatlichen Mitteln bestritten, der Rest soll unter anderem aus direkten Investitionen staatseigener Firmen und dem privaten Sektor kommen. 

Bis 2045 soll alles umgezogen sein

Der Regierung zufolge sind bereits gut 560 Quadratkilometer Land geräumt und gerodet worden – für den Bau des Präsidentenpalastes, des Parlamentsgebäudes und anderer Regierungseinrichtungen sowie von Strassen, die die neue Hauptstadt mit anderen Städten in Kalimantan Timur verbinden sollen. Ziel ist es, den Kern des Regierungsgebietes bis 2024 fertigzustellen, wie Wohnungsbauminister Basuki Hadimuljono sagt. Bis dahin sollen nach derzeitigen Plänen auch bereits 8000 öffentliche Bedienstete aus Jakarta übergesiedelt sein.

Widodo selbst hat die Erwartung geäussert, dass der Präsidentenpalast sowie unter anderem das Innen-, Aussen- und  Verteidigungsministerium in die neue Hauptstadt verlegt werden können, bevor seine zweite Amtsperiode 2024 zu Ende geht. Der gesamte Umzug soll nach den bisherigen Plänen bis 2045 abgeschlossen sein.

Unklar ist, wie sich das alles auf Jakarta und die Menschen, die zurückbleiben werden, auswirken wird, wie Agus Pambagio sagt, ein Experte für öffentliche Ordnung an der Universität von Indonesien. «Es wird sehr grosse soziale Veränderungen geben, sowohl für die Leute im öffentlichen Dienst als auch in der Gesellschaft als Ganzem und in der örtlichen Einwohnerschaft.»

AP/toko