«Big Four» Italien will zurück auf die grosse EU-Bühne

Von Johannes Neudecker und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

28.4.2021 - 19:32

Mario Draghi (r), Ministerpräsident von Italien, spricht bei seiner Präsentation des Aufbauplans im Senat mit Daniele Franco, Finanz-und Wirtschaftsminister von Italien.
Mario Draghi (r), Ministerpräsident von Italien, spricht bei seiner Präsentation des Aufbauplans im Senat mit Daniele Franco, Finanz-und Wirtschaftsminister von Italien.
Roberto Monaldo/LaPresse via ZUMA Press/dpa

«Das Schicksal Italiens» – so bezeichnet Mario Draghi das Milliarden-Hilfspaket der EU. Seine noch junge Regierung hat den Plan auf den Weg gebracht und damit die Feuertaufe bestanden. Doch der frühere EZB-Chef will noch mehr für Italien.

Von Johannes Neudecker und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

In Rom und Brüssel liefen die Telefone heiss. Wenige Tage vor Fristende zum Einreichen des italienischen Investitionsplans für milliardenschwere EU-Coronahilfen gab es immer noch Zweifel über Details. Doch jetzt ist das Programm fertig und vom Parlament in Rom gebilligt. Ministerpräsident Mario Draghi gibt sich selbstgewiss, dass sein Plan Italien aus der wirtschaftlichen Krise holt. Dann könnte der EU-Gründerstaat auch politisch endlich wieder eine Hauptrolle auf der europäischen Bühne spielen.



Symbolisch wichtig präsentierten am Mittwochmorgen Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland ihre Aufbaupläne gemeinsam in einem Online-Auftritt. Die «Big Four» der EU mit zusammen mehr als 250 Millionen Einwohnern gemeinsam auf der virtuellen Bühne: «Was für ein starkes Symbol: Europa ist geeint», lobte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz. Italien mittendrin – eigentlich selbstverständlich für die drittgrösste Volkswirtschaft der Eurozone. Und doch war das in den vergangenen Jahren ein ungewohntes Bild.

«Ohne Italien gibt es kein Europa»

«Ohne Italien gibt es kein Europa», hatte Draghi in seiner Antrittsrede als Regierungschef Mitte Februar gesagt. Das Land solle stolz auf das sein, was es zur Entwicklung Europas beigetragen hat, sagte der 73-Jährige damals im Parlament. Italien sei eine wirtschaftliche und kulturelle Macht. Es war ein Mutmach-Appell, denn die Liebesbeziehung der Italiener zu Europa war zeitweise ziemlich ramponiert.

Das Mittelmeerland sei eigentlich eine sehr proeuropäische Nation, sagt Tobias Mörschel, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom. Italien habe sich aber in den vergangenen Jahrzehnten zusehends in der EU als Akteur zurückgezogen und wurde weniger einbezogen.

Ein Treiber war der ewige Streit über das schwache Wachstum und die hohe Verschuldung, verbunden in Italien mit der Furcht vor einem Spardiktat aus Brüssel. Nicht nur die populistische Fünf-Sterne-Bewegung gab sich EU-skeptisch, sondern auch die rechtspopulistische Lega. Beide taten sich 2018 vorübergehend in der Regierung zusammen – für viele in der EU ein Alptraum.

Auch Draghi hat die beiden Parteien in seinem Regierungsbündnis, das ein breites Spektrum von rechts bis links abdeckt und ein Kabinett aus Experten und Politikern stützt. Viele sahen das anfangs skeptisch. Doch Experte Mörschel unterstreicht, wie wichtig gerade die Einbindung der rechten Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini war: «Sie sorgte vor allem dafür, dass die Polemiken zwischen den Parteien über die EU weitgehend in den Hintergrund getreten sind.» Die EU taugt auch viel weniger zum Feindbild, seit sie sich zum Kraftakt der gemeinsamen Corona-Hilfen durchrang und Italien mit mehr als 190 Milliarden Euro zu einem der grössten Nutzniesser machte.

Stoischer Regierungsschef

Anders als sein Vorgänger Giuseppe Conte, dessen Regierung im Streit über die EU-Milliarden zerbrach, tritt Draghi ruhig auf. Der ehemalige Schüler eines Jesuiten-Gymnasiums und spätere Präsident der Europäischen Zentralbank gilt als stoisch. Seit er Regierungschef ist, gab er weder in Print-Medien noch im Fernsehen ein Exklusiv-Interview. Im Gegensatz zu anderen italienischen Politikern nutzt Draghi auch die sozialen Medien nicht als Lautsprecher.

In Europa geniesst Draghi Respekt als «Retter des Euro». Legendär sein Satz von 2012, die EZB werde tun «whatever it takes» – was immer nötig ist. Der Vorstandsvorsitzende des Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, beschrieb ihn unlängst in einem Interview als entschlossen und stark. Man respektiere ihn in Europa und der Welt.

Nach vielen Jahren bei der Zentralbank hat Draghi ein Netzwerk in Brüssel, regelmässig kam er schon in der früheren Funktion zu Gipfeln der Staats- und Regierungschefs. Nun wundert man sich, wie schnell Draghi in die neue Rolle wuchs. «Er ist viel mehr Politiker, als wir das je erwartet hätten», sagt ein EU-Vertreter. Es sei wichtig, in Italien einen verlässlichen Partner zu haben.

Neuer Motor gesucht

Eindruck machte Draghi mit einer klaren Ansage im Impfstoffstreit mit Astrazeneca, aber auch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, den er als «Diktator» betitelte. Er kommuniziere knapp, klar und entschieden, berichtet ein EU-Diplomat, Draghi bringe politisches Gewicht. Vielen europäischen Partnern kommt das recht, zumal die Achse Berlin-Paris in den vergangenen Jahren nicht immer rund lief. Draghis Verhältnis zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei gut und leichtgängig, berichtete der französische Europastaatssekretär Clément Beaune der «Financial Times».

In wenigen Monaten wird die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eine Lücke in Europa reissen, Macron wird im Wahlkampf 2022 stehen und von EU-Kritikern attackiert werden. In Brüssel werden neue Bündnisse gebraucht, ein neuer Motor gesucht für das oft so zähe Projekt EU. Draghi könnte ein wichtiger Akteur werden – wenn, ja wenn er zuhause Erfolg hat und zumindest eine Weile im Amt bleibt. Die nächste italienische Wahl steht offiziell 2023 an.