Regierungschaos in Italien Italiens Regierungschaos schürt Angst vor neuer Finanzkrise

von Annette Reuther, dpa

29.5.2018

Lega-Parteichef Matteo Salvini erklärte zur Ernennung von Carlo Cottarelli als Übergangspremier: «Sergio Mattarella hat die Märkte und Europas Regeln anstelle der Stimme der Italiener gewählt». (Archiv)
Lega-Parteichef Matteo Salvini erklärte zur Ernennung von Carlo Cottarelli als Übergangspremier: «Sergio Mattarella hat die Märkte und Europas Regeln anstelle der Stimme der Italiener gewählt». (Archiv)
Keystone

Das Gespenst der Euro- und Schuldenkrise ist zurück. Das Psychodrama um eine italienische Regierung lässt die Märkte nun richtig zittern. Der Übergangsregierung sind die Hände gebunden. Geplante Demos gegen den Staatschef verheissen weiteres Ungemach.

Nach dem Scheitern einer Regierungsbildung in Italien droht neben der politischen Krise nun eine handfeste Finanzkrise. Kursstürze an der Börse weckten böse Erinnerungen an den Höhepunkt der Staatsschuldenkrise 2011/2012, die ganz Europa erfasst hatte. Auch die geplante Übergangsregierung des Finanzexperten Carlo Cottarelli beruhigte die Märkte nicht. Aussichten auf eine Neuwahl im Spätsommer, bei der die EU-kritischen Parteien Fünf Sterne und Lega weiter erstarken könnten, versetzten die Anleger vollends in Alarm. Die Europäische Zentralbank (EZB) warnte vor einer Eskalation der Lage.

Ausgangspunkt der Krise ist die geplatzte Koalition zwischen den Sternen und der fremdenfeindlichen Lega. Staatspräsident Sergio Mattarella hatte deren Wunschkandidaten für das wichtige Amt des Finanzministers, den Euro-Gegner Paolo Savona, nicht akzeptiert. Weil die populistischen Parteien das für undemokratisch halten, haben sie zum Angriff gegen den Präsidenten geblasen und sogar mit einem - in Realität schwer umsetzbaren - Amtsenthebungsverfahren gedroht. Seit der Wahl am 4. März geht die Angst um, dass die Populisten-Koalition den sowieso schon hohen Schuldenberg des Landes weiter vergrössert.

Mattarella wollte mit der Ernennung einer neutralen Technokratenregierung eigentlich die nervösen Märkte beruhigen, was ihm aber nicht gelang. Nicht nur der Euro geriet am Dienstag unter Druck und fiel fast bis auf 1,15 US-Dollar. Der Mailänder Leitindex FTSE MIB sackte um bis zu 3,7 Prozent ab. Besonders heftig erwischte es Bankaktien wie Intesa Sanpaolo und Unicredit, die um rund 6 Prozent einbrachen. Die Rendite für zweijährige italienische Staatsanleihen stieg auf 2,5 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 2012 - damals schossen die Renditen allerdings auf ganz andere Höhen empor.

«Unglaubliche Preisbewegungen»

Die Renditen bei Staatsanleihen signalisieren, welcher Zinssatz fällig würde, wenn ein Land frisches Geld am Kapitalmarkt leihen muss. Grössenordnungen von fünf bis über sieben Prozent wie 2011/12 wären für den extrem hoch verschuldeten italienischen Fiskus ein Riesenproblem.

«Wir sehen einige unglaubliche Preisbewegungen bei italienischen Anleihen», sagte Analyst Neil Wilson. «Der Markt bewegt sich mit einer Geschwindigkeit, die man seit den schwersten Zeiten der Euro-Krise nicht gesehen hat.» Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners sprach gar von «ersten Spuren von Panik», vor allem am Anleihenmarkt.

«Auch wenn der neue Premier und seine Minister ein hohes Ansehen haben, die neue Regierung wird damit kämpfen, die Investoren und die Märkte zu beruhigen», sagte Wolfango Piccoli vom Think Tank Teneo. Denn die Überlebensdauer für die Technokratenregierung wird auf höchstens ein paar Monate eingeschätzt, da ihr die Unterstützung des Parlaments fehlt. Wenn Cottarelli vereidigt ist, muss er sich in den kommenden Tagen einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Dort haben seine Gegner Lega und Sterne aber die Mehrheit - und die werden sich an Cottarelli als nicht-gewähltem Premier abarbeiten.

Einige Politanalysten werten die unvermeidbare Neuwahl schon als Volksabstimmung über einen Verbleib Italiens in der Eurozone. Andere jedoch halten den Ball flacher: Es sei zu bezweifeln, dass die Sterne und die Lega wirklich ein Euro-Ausstiegsszenario heraufbeschwören wollten, sagte Piccoli. Die populistischen Parteien lancieren seit Wochen europakritische Botschaften - auch wenn in ihrem Koalitionsvertrag nichts von einem geplanten Euro-Ausstieg steht.

Die Lage beruhigt sich auf längere Sicht wohl nicht

Finanzmärkte sind aber auch psychologischen Faktoren ausgesetzt, weshalb allein schon Spekulationen über solche Szenarien Anleger aufschrecken. EZB-Vizepräsident Vitor Constâncio warnte Italien vor einer erneuten Staatsschuldenkrise. «Als 2012 Finanzmärkte das Land attackiert haben, hat das gezeigt: Sie können in ihrer Wahrnehmung sprunghaft sein und die Risikoeinschätzung für einen Schuldner abrupt und schnell ändern, manchmal mit gravierenden Folgen», sagte er dem «Spiegel».

Der Gouverneur der italienischen Notenbank, Ignazio Visco, forderte die Politik in Rom auf, die Reformpolitik fortzusetzen. Mit Blick auf die Turbulenzen betonte er aber zugleich: «Es ist schlimm, was wir heute beobachten (...). Es gibt keine Rechtfertigung für das, was an den Märkten passiert.»

Auf längere Zeit ist nicht absehbar, dass sich die Lage beruhigt. Vor allem Staatschef Mattarella sieht sich harten Angriffen ausgesetzt. Sterne-Parteichef Luigi Di Maio kündigte an, er wolle sicherstellen, dass bei der nächsten Wahl «nicht derselbe Präsident» an der Macht sei, der eine «Regierung des Wandels» verhindern wolle. Den nächsten Präsidenten müssten die Bürger wählen, «nicht die Ratingagenturen, die Banken oder die Deutschen», so Di Maio.

Er rief für kommenden Samstag zu einer grossen Demonstration im Herzen Roms auf. Er will nach eigenen Worten damit ein Zeichen für die Demokratie setzen. Der 2. Juni ist der Tag der Republik, der Nationalfeiertag Italiens, der in der Hauptstadt mit einer grossen Militärparade gefeiert wird.

Aber es formiert sich auch Unterstützung: Für Freitag riefen die Sozialdemokraten, die bei der Wahl eine schwere Niederlage einstecken mussten, zu Demonstrationen in Rom und Mailand auf. Sie wollen damit die Institutionen und den Präsidenten verteidigen. Ihr Engagement wird aber vermutlich nur ein Tropfen auf den heissen Stein sein.

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